Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung von Amts wegen nach Versäumen der Berufungsbegründungsfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird durch einen Schriftsatz innerhalb der Antragsfrist auf Wiedereinsetzung nach Versäumen der Berufungsbegründung die Berufung begründet, ist die Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren, wenn der Grund der unverschuldeten Versäumung der Berufungsbegründungsfrist – nämlich die Mittellosigkeit der Partei – offenkundig war.

2. Eine Berufungsbegründung kann auch dadurch erfolgen, dass durch Schriftsatz die Berufung eingelegt und zugleich ein Antrag angekündigt wird, wobei zur Begründung des angekündigten Antrags auf bereits früher eingereichte Schriftsätze im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren verwiesen wird.

 

Normenkette

ZPO § 236 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 24.06.2003)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1) wird der Beschluss des LG Frankfurt am Main - 11. Zivilkammer - v. 24.6.2003 aufgehoben.

Dem Beklagten zu 1) wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt; jedoch werden Gerichtskosten insoweit nicht erhoben (§ 8 GKG).

Beschwerdewert: 2.676,72 EUR.

 

Gründe

I.

Der Beklagte zu 1) ist durch Schlussurteil des AG Frankfurt am Main v. 19.11.2002 zur Räumung und Herausgabe seiner Wohnung an die Klägerin verurteilt worden. Nach Zustellung des Urteils am 29.11.2002 hat der Beklagte zu 1) mit Schriftsatz v. 12.12.2002, bei Gericht eingegangen am 13.12.2002, Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Berufung eingereicht sowie eine Berufungsschrift im Entwurf mit darin enthaltener Begründung beigefügt. Nachdem durch Beschluss des LG v. 7.3.2003 dem Beklagten zu 1) Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt worden ist, hat dieser mit Schriftsatz v. 10.3.2003 Berufung gegen das Urteil des AG eingelegt und zugleich wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, die ihm durch Beschluß v. 14.3.2003 gewährt wurde; in dem letztgenannten Beschluss ist der Beklagte zu 1) darauf hingewiesen worden, "dass damit nicht zugleich die Frage der Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung mitentschieden ist, auch wenn die Berufungsbegründung in der Berufungsschrift enthalten ist". Nach Hinweis des Vorsitzenden v. 14.4.2003, dass die Berufungsbegründungsfrist am 29.1.2003 abgelaufen und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gestellt worden sei, hat das LG durch Beschluß v. 24.6.2003 die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen; gleichzeitig hat es den Antrag des Beklagten zu 1v. 12.5.2003 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt.

Zur Begründung hat das LG ausgeführt, die Berufung sei als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten ab Zustellung des erstinstanzlichen Urteils, also bis zum 29.1.2003 begründet worden sei (§ 520 Abs. 2 S. 1 ZPO). Dem Beklagten zu 1) sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (gemeint: der Berufungsbegründungsfrist) zu gewähren, da der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden sei. Jedenfalls nachdem dem Beklagten zu 1) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt worden sei, hätte bis zum 28.3.2003 der Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werden müssen. Der Schriftsatz v. 10.3.2003 lasse sich nicht als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auslegen, da zu diesem Zeitpunkt die Berufungsbegründungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Es habe auch kein Anlass bestanden, von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1), mit der er sein Berufungsbegehren weiterverfolgt.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1) ist nach § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthaft und auch gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch sachlich begründet.

a) Zwar hat der Beklagte zu 1) die Frist zur Begründung der Berufung versäumt. Diese Frist begann mit Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils v. 29.11.2002 und endete damit am 29.1.2003 (§ 520 Abs. 2 S. 1 ZPO). Innerhalb dieser Frist hat der Beklagte zu 1) weder Berufung eingelegt noch eine solche begründet; mit Schriftsatz v. 12.12.2002 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1) lediglich Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt und eine von ihm unterzeichnete "Berufungsschrift im Entwurf" vorgelegt.

b) Zu Unrecht hat das LG jedoch dem Beklagten zu 1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

Nachdem dem Beklagten zu 1) durch Beschluss des LG v. 7.3.2003 unter Beiordnung von RA K. Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug bewilligt worden war, hat dieser mit Schriftsatz v. 10.3.2003 Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt sowie wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zugleich hat er den Antrag angekündigt, das Urteil des AG abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise dem Beklagten zu 1) eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren. Zur Begründung dieses Antrags ist auf die Schriftsätze des Beklagten zu 1) v. 12.12.2002 und 3.3.2003 im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren verwiesen worden. Damit hat der Beklagte zu 1) mit Schriftsatz v. 10.3.2003 nicht nur Berufung eingelegt, sondern diese auch begründet. Es ist anerkannt, dass eine Berufungsbegründung, die nach § 520 Abs. 3 S. 1 ZPO entweder bereits in der Berufungsschrift selbst oder in einem weiteren Schriftsatz beim Berufungsgericht einzureichen ist, auch dadurch erfolgen kann, dass auf andere, bereits früher eingereichte Schriftsätze Bezug genommen wird, die von einem beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sind und inhaltlich den Anforderungen einer Berufungsbegründung genügen; dabei kann auch die Bezugnahme auf ein bereits bei den Akten befindliches Prozesskostenhilfegesuch ausreichen. Da im Allgemeinen keine Partei die mit der Fristversäumung verbundenen Nachteile in Kauf nehmen will, ist anzunehmen, dass ein inhaltlich den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entsprechendes Prozesskostenhilfegesuch auch als Berufungsbegründung dienen soll, sofern nicht ein anderer Wille des Rechtsmittelführers zu erkennen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 9.11.1988 - IVb ZB 154/88, NJW-RR 1989, 184 unter II 2; Urt. v. 5.5.1993 - XII ZR 124/92, NJW-RR 1993, 1091 unter 2b aa). Im gegebenen Fall hat der Beklagte zu 1 seinen Willen, seine Schriftsätze im Prozesskostenhilfeverfahren in die Berufungsbegründung einzubeziehen, sogar ausdrücklich geäußert.

Hatte somit der Beklagte zu 1) mit Schriftsatz v. 10.3.2003 die eingelegte Berufung zugleich begründet, war ihm entgegen der Ansicht des LG gem. § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 ZPO gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren, da der Grund der unverschuldeten Versäumung auch der Berufungsbegründungsfrist - nämlich seine Mittellosigkeit - offenkundig war (vgl. BGH, Urt. v. 5.5.1993 - XII ZR 124/92, NJW-RR 1993, 1091). Dass der Beklagte zu 1) auf den nicht eindeutig zu verstehenden Hinweis des LG im Beschluß v. 14.3.2003, wonach "nicht zugleich über die Frage der Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung mitentschieden" sei, insoweit nicht innerhalb der Frist des § 234 ZPO einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat, ist daher unschädlich.

c) Auf die neuere Rechtsprechung des BGH, innerhalb welcher Frist eine versäumte Berufungsbegründung nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachzuholen ist (BGH, Beschl. v. 9.7.2003 - XII ZB 147/02, BGHReport 2003, 1155 = MDR 2003, 1308 = NJW 2003, 3275 ff.), kommt es daher nicht an.

III.

War danach dem Beklagten zu 1) Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, ist der die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das Urteil des AG Frankfurt am Main v. 19.11.2002 verwerfende Beschluss des LG gegenstandslos (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 238 Rz. 3, m. w. N.).

 

Fundstellen

BGHR 2004, 846

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