Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 13.05.2015) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 13. Mai 2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu der Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit Verfahrensbeschwerden und der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Zum Schuldspruch hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts anzumerken:
Rz. 3
Bedenken bestehen bereits gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge, weil sich die Revision nicht dazu verhält, welche zusätzlichen Ausführungen bei Schlussvorträgen in nicht öffentlicher Sitzung gemacht worden wären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 401/15; vom 23. Juni 1998 – 5 StR 261/98, NStZ 1998, 586; Urteile vom 10. Oktober 1978 – 4 StR 445/78, bei Holtz, MDR 1979, 109; vom 17. Januar 1979 – 3 StR 450/78, bei Holtz, MDR 1979, 458). Die Rüge ist aber jedenfalls unbegründet, weil auszuschließen ist, dass die Entscheidung auf der ungesetzlichen Erweiterung der Öffentlichkeit beruht. Es ist vor dem Hintergrund, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Vernehmung des Zeugen auf Antrag des Zeugen ausschließlich zu dessen Schutz angeordnet wurde, weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Schlussvorträge weitere den Angeklagten entlastende Gesichtspunkte erbracht hätten, wenn in nicht öffentlicher Sitzung plädiert worden wäre.
Rz. 4
2. Dagegen hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand, da eine tatrichterliche Entscheidung über das Absehen von der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG unterblieben ist.
Rz. 5
Wird aus Anlass der Straftat eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden gemäß § 63 StGB dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ist grundsätzlich zu prüfen, ob die angeordnete Maßregel die Ahndung mit Jugendstrafe entbehrlich macht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen. Dies führt wegen des Sachzusammenhangs zwischen Jugendstrafe und Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13 aaO; vom 22. Juli 2009 – 2 StR 240/09) zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruches.
Rz. 6
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 7
Ob eine vom Sachverständigen unter Heranziehung des Klassifikationssystems ICD-10 diagnostizierte Persönlichkeitsstörung die Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter wertend zu entscheiden hat. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob die Störung in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, BGHR StGB § 20 Seelische Abartigkeit 6 mwN; vom 21. September 2004 – 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327). Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird sich eingehender, als bisher geschehen, – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – mit dem Ausprägungsgrad der beim Angeklagten neben einer leichten Intelligenzstörung festgestellten sonstigen kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (ICD-10 F92.8) und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten zu befassen haben.
Unterschriften
Sost-Scheible, RinBGH Roggenbuck ist urlaubsbedingt abwesend und deshalb gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible, Cierniak, Franke, Bender
Fundstellen
Haufe-Index 9143926 |
NStZ-RR 2018, 198 |