Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 02.07.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Juli 2002 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im übrigen (vom Vorwurf der Begehung einer weiteren Vergewaltigung) freigesprochen. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der Verurteilung, da die Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Eines Eingehens auf die erhobene Verfahrensrüge bedarf es deshalb nicht.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kam es ab Mitte 1974 bis Ende 1989/Anfang 1990 zu häufigen, sich in ihrer Intensität steigernden sexuellen Übergriffen des Angeklagten gegenüber seiner am 21. Januar 1964 geborenen Stieftochter Petra K.. Die sexuellen Handlungen – auch die Ausübung des Geschlechtsverkehrs – ließ die Geschädigte „in der Regel über sich ergehen”. Nur in den ausgeurteilten Fällen (II. 1. bis 3. der Urteilsgründe) zeigte sie dem Angeklagten „deutlich ihre Ablehnung”, was er erkannte. In diesen Fällen überwand er die „tatsächliche oder erwartete Abwehr” seiner Stieftochter durch „die Anwendung von Kraft” (UA 13 f.). Im Fall II. 1. (Durchführung des ersten Geschlechtsverkehrs), der sich nach August 1975 in der elterlichen Wohnung ereignete, als die Geschädigte zwischen 11 und 13 Jahre alt war, packte der Angeklagte Petra K., als sie ihn morgens aufweckte, an den Armen und zog sie ins Bett. Er hielt sie mit einer Hand fest und zog sie mit der anderen aus, legte sich auf sie, drückte mit seinen Beinen die Beine der Geschädigten auseinander und führte den Geschlechtsverkehr aus. Die Fälle II. 2. und 3. ereigneten sich anläßlich eines Urlaubs auf F. im August/September 1989, als Petra K. 25 Jahre alt war. Auch in diesen Fällen führte der Angeklagte mit seiner Stieftochter den Geschlechtsverkehr aus, wobei er in ähnlicher Weise vorging, wie im Fall II. 1.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung pauschal eingeräumt, seine Stieftochter sexuell mißbraucht und eine „inzestuöse Beziehung” zu ihr unterhalten zu haben. Er hat jedoch in Abrede gestellt, sexuelle Handlungen durch die Anwendung von Gewalt oder durch Drohungen erzwungen zu haben. Die Geschädigte hat in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, aber die Verwertung ihrer polizeilichen Aussage gestattet. Die Strafkammer stützt ihre Überzeugung, daß sich die Taten, sowie weitere sexuelle Handlungen des Angeklagten wie festgestellt zugetragen haben, auf die Aussage der Zeugin G., die die polizeiliche Vernehmung der Geschädigten durchgeführt und über deren Inhalt in der Hauptverhandlung berichtet hat.
Das Landgericht verkennt nicht, daß Angaben, die nicht durch Anhörung des tat- und sachnächsten Zeugen, sondern nur durch die Vernehmung eines „Zeugen vom Hörensagen”, wie hier der polizeilichen Vernehmungsbeamtin, vermittelt sind, nur ein eingeschränkter Beweiswert zukommt (st. Rspr. vgl. nur BGHR StPO § 261 Zeuge 13 m.w.N.). Seine Überzeugung, daß die Geschädigte bei der Polizei die Wahrheit gesagt und „der Angeklagte die Zeugin in der festgestellten Weise sexuell mißbraucht und vergewaltigt hat”, stützt das Landgericht deshalb „ganz wesentlich auch auf die Einlassung des Angeklagten” (UA 21). Weitere Beweisanzeichen für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten bei der Polizei sieht die Strafkammer im Inhalt eines Briefes des Angeklagten an seine Ehefrau und darin, daß die Geschädigte ihrem als Zeugen vernommenen Ehemann „im wesentlichen” der polizeilichen Aussage entsprechend über das Mißbrauchsgeschehen berichtet habe (UA 19).
Diese Umstände belegen zwar die Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten zu dem langjährigen Mißbrauchsgeschehen; sie stützen jedoch nicht deren Aussagen zur gewaltsamen Erzwingung des Geschlechtsverkehrs in den Fällen II. 1. bis 3. Daß der Angeklagte seine Stieftochter „vergewaltigt” hat, hat er gerade nicht eingeräumt; er hat jegliche Gewaltanwendung zur Durchsetzung sexueller Handlungen vielmehr ausdrücklich in Abrede gestellt. Auch aus dem Inhalt des Briefes des Angeklagten an seine Ehefrau kann dies nicht entnommen werden. Was die Zeugin ihrem Ehemann über die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten im einzelnen, insbesondere über die Erzwingung des Geschlechtsverkehrs mittels Gewalt, berichtet hat, teilt das Urteil nicht mit.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Urteil auf dieser widersprüchlichen und lückenhaften Beweiswürdigung beruht und die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Würdigung die Aussage der Geschädigten zur Frage der gewaltsamen Erzwingung des Geschlechtsverkehrs in den der Verurteilung zugrundeliegenden Fällen anders bewertet hätte. Im Fall II. 4. (Tatzeit: Winter 1989/1990), in welchem die Strafkammer den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner Stieftochter freigesprochen hat, ist die Strafkammer nämlich davon ausgegangen, daß der Angeklagte den Geschlechtsverkehr mit Petra K. nicht mittels Gewalt oder durch Drohung erzwang, obwohl – in der Intensität des Vorgehens durchaus mit den ausgeurteilten Fällen vergleichbar – er sie nach den Feststellungen auch in diesem Fall zunächst ins Schlafzimmer „drängte”, und die ihm „körperlich unterlegene Zeugin” auf das Bett drückte. Ein ähnliches Vorgehen des Angeklagten hat das Landgericht auch in weiteren Fällen festgestellt, ohne zu dem Ergebnis zu gelangen, der Angeklagte habe Petra K. mittels Gewalt zu der Durchführung des Geschlechtsverkehrs gezwungen.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Solin-Stojanović, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen