Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen – 1. Zivilsenat – vom 26. Oktober 2001 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 35.780,37 EUR
Tatbestand
I. Die Klägerin hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Diese lief am 20. August 2001 ab. Die Berufungsbegründung ging erst am 21. August 2001 beim Berufungsgericht ein.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen ihres Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. H. und dessen Sekretärin Frau He. vorgetragen:
Der Berufungsbegründungsschriftsatz sei am 15. August 2001 im Entwurf erstellt und von ihrem Prozeßbevollmächtigten am 17. August 2001 überarbeitet worden. Die überarbeitete Fassung sei der Sekretärin ihres Prozeßbevollmächtigten, Frau He., am 20. August 2001 vormittags übergeben worden mit der Anweisung, die Korrekturen vorzunehmen und den Schriftsatz im Anschluß an ihre Bürotätigkeit in den Nachtbriefkasten des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen einzuwerfen. Gegen 16.30 Uhr habe Frau He. den Schriftsatz fertiggestellt gehabt. Anschließend habe sie diesen ihrem Prozeßbevollmächtigten gesondert zur Durchsicht und Unterschrift vorgelegt. Gegen 17.00 Uhr habe ihr Prozeßbevollmächtigter den unterschriebenen Schriftsatz Frau He. mit der nochmaligen Anweisung übergeben, ihn nach Beendigung ihrer Bürotätigkeit um 17.30 Uhr in den Nachtbriefkasten des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen einzuwerfen. Frau He. sei gegen 17.30 Uhr mit dem unterschriebenen Schriftsatz von ihrem Arbeitsplatz zur Postausgangsstelle im Büro ihres Prozeßbevollmächtigten gegangen. Dort habe sie den Schriftsatz in einen Briefumschlag gesteckt. Anschließend habe sie ein längeres privates Telefongespräch geführt. Im Anschluß daran habe sie das Büro ohne den Schriftsatz verlassen. Die für den Postausgang zuständige Mitarbeiterin habe den Schriftsatz, von dem sie habe annehmen müssen, daß er am nächsten Tag zu Gericht habe gebracht werden sollen, in den Gerichtspostkorb gelegt. Am nächsten Morgen sei der Schriftsatz auch von einem Boten zu Gericht gebracht worden.
Frau He. sei von 1998 bis 2001 im Büro ihres Prozeßbevollmächtigten als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte ausgebildet worden. Rechtsanwalt Dr. H. habe sowohl die Fristnotierung als auch die Botengänge von Frau He. in Stichproben geprüft. Beanstandungen habe es dabei nicht gegeben.
Der Vorsitzende des 1. Zivilsenats des Berufungsgerichts hat dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin aufgegeben, dem Gericht eine Kopie sämtlicher Eintragungen aus seinem Fristenkalender für den 20. und 21. August 2001 vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 19. September 2001 hat Rechtsanwalt Dr. H. lediglich eine Kopie des Fristenkalenders für den 16. August 2001 vorgelegt. Zugleich hat er in dem genannten Schriftsatz (erstmals) ausgeführt, die Akten seien ihm am 16. August 2001 als Ablauffrist wiedervorgelegt worden. Da die weitere Bearbeitung an diesem Tag nicht habe erfolgen können, sei die Frist auf den absoluten Ablauf vornotiert worden. Allerdings habe Frau He. die Frist nicht auf den 20. August, sondern versehentlich auf den 21. August 2001 vornotiert, weil sie übersehen habe, daß zwar das Urteil am 21. Juni 2001 zugestellt, die Berufung aber bereits am 20. Juli 2001 eingelegt worden war. Die fehlerhaft notierte Frist sei ihm, dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, bei der Überarbeitung des Schriftsatzes am Abend des 17. August 2001 aufgefallen. Aufgrund dessen habe er am Vormittag des 20. August 2001 Frau He. die Anweisung erteilt, den Schriftsatz im Anschluß an ihre Bürotätigkeit in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts einzuwerfen, so daß die Frist auf jeden Fall gewahrt gewesen wäre. Diese Anweisung habe er am 20. August 2001 gegen 17.00 Uhr noch einmal wiederholt, um sicherzustellen, daß der Schriftsatz auch rechtzeitig in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen werde.
Das Berufungsgericht hat den Antrag, der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin treffe unter Zugrundelegung seines eigenen Vortrags ein eigenes Verschulden daran, daß die Berufungsbegründungsschrift nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F., die am 20. August 2001 abgelaufen sei, bei dem Berufungsgericht eingegangen sei. Die der Sekretärin erteilte Weisung habe bei den besonderen Umständen des vorliegenden Falles für sich allein nicht ausgereicht, um den anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist zu genügen. Da der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die Frist zur Rechtsmittelbegründung bis zum letzten Tag und über das Ende der Dienststunden des Berufungsgerichts hinaus habe ausschöpfen wollen, habe ihm im Zusammenhang mit der Fristwahrung eine erhöhte Sorgfaltspflicht oblegen. Diesen erhöhten Sorgfaltsanforderungen werde das Verhalten des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nicht gerecht. Es sei zu berücksichtigen, daß seine Sekretärin, Frau He., erst „im Jahre 2001” ihre Ausbildung als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte abgeschlossen habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß Frau He. Ende August 2001 noch nicht über eine nennenswerte erfolgreiche Berufspraxis als Anwaltsgehilfin verfügt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Der Klägerin ist ein schuldhafter Verstoß ihres Prozeßbevollmächtigten gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht anzulasten (§ 85 Abs. 2 ZPO). Es ist nicht auszuschließen, daß dieses Verschulden zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beigetragen hat.
1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin seinen anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist unter den im vorliegenden Fall gegebenen besonderen Umständen nicht dadurch genügt hat, daß er seiner Sekretärin, Frau He., am 20. August 2001 die Anweisung erteilt hat, die Berufungsbegründungsschrift noch am selben Tag nach Büroschluß in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts einzuwerfen.
a) Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin steht fest, daß die Sekretärin ihres Prozeßbevollmächtigten den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist falsch berechnet und notiert hatte, nämlich auf den 21. August 2001, statt – wie es richtig gewesen wäre – auf den 20. August 2001. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hatte das Fehlverhalten seiner Sekretärin rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bemerkt. Es hätte ihm – wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat – Veranlassung geben müssen, die fehlerhafte Fristberechnung und -notierung gegenüber seiner Sekretärin ausdrücklich zu rügen, um einen möglichen Irrtum über den tatsächlichen Fristablauf auszuräumen und ihr zudem unmißverständlich zu verdeutlichen, daß die Weisung, die Berufungsbegründungsschrift noch am 20. August 2001 in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts einzuwerfen, wegen Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist unbedingt befolgt werden mußte. Daß eine derartige Aufklärung der Sekretärin durch den Prozeßbevollmächtigten erfolgt ist, hat die Klägerin innerhalb der Frist des § 234 ZPO weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.
b) Das Vorbringen der Klägerin in der Beschwerdebegründung vermag das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten nicht auszuräumen und die Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen, weil dieser Vortrag nicht berücksichtigt werden darf.
Zwar kann gemäß § 570 ZPO a.F. eine Beschwerde grundsätzlich auch auf neue Tatsachen gestützt werden. Soweit sich die Beschwerde jedoch gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden Beschluß richtet, ist zu beachten, daß alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO) vorgetragen werden müssen. Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, dürfen nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 26.11.1991 – XI ZB 10/91, NJW 1992, 697; Beschl. v. 4.5.1994 – XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097, 2098; Beschl. v. 8.4.1997 – VI ZB 8/97, NJW 1997, 2120, 2121; Beschl. v. 5.10.1999 – VI ZB 22/99, NJW 2000, 365, 366).
Bei dem Vorbringen der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung handelt es sich nicht um eine bloße Ergänzung oder Erläuterung des ursprünglich geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes. Die Klägerin hatte geltend gemacht, ihr Prozeßbevollmächtigter habe seiner Sekretärin eine konkrete Einzelanweisung erteilt gehabt, die diese nicht erfüllt habe. Dieser Grund war weder unklar noch unvollständig dargestellt, sondern enthielt eine in sich geschlossene und als solche nicht ergänzungsbedürftige Schilderung eines der Fristversäumung zugrundeliegenden Versäumnisses der Sekretärin des Prozeßbevollmächtigten (vgl. zur Einzelanweisung BGH, Beschl. v. 1.2.2001 – I ZB 39/00, Umdr. S. 4). In der Beschwerdebegründung macht die Klägerin nunmehr geltend, ihr Prozeßbevollmächtigter habe seine Sekretärin ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Schriftsatz zur Fristwahrung „heute noch” zum Oberlandesgericht gebracht werden müsse. Hierbei handelt es sich um neuen Vortrag zur Erfüllung der anwaltlichen Sorgfalt durch ihren Prozeßbevollmächtigten, nachdem das Berufungsgericht gerade auf dessen Fehlen die Versagung der Wiedereinsetzung rechtlich zutreffend gestützt hatte. Damit kann die Klägerin nicht mehr gehört werden.
2. Ein weiterer Sorgfaltspflichtverstoß des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin besteht darin, daß er nicht darauf hingewirkt hat, daß die falsch notierte Frist berichtigt worden ist. Wäre das geschehen, hätte die Erledigung der Fristsache vor Büroschluß nochmals überprüft werden müssen. Denn der Anwalt muß durch die Büroorganisation dafür Sorge tragen, daß die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders überprüft wird (vgl. BGH NJW 1997, 2120, 2121 m.w.N.). Die Notwendigkeit des Einwurfs der Berufungsbegründung am 20. August 2001 in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts wäre dann nochmals gesondert festgestellt worden.
III. Da somit Wiedereinsetzung nicht gewährt werden konnte, hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin mit Recht als unzulässig verworfen (§ 519b, § 519 Abs. 2 ZPO a.F.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant, Schaffert
Fundstellen
Haufe-Index 763766 |
BGHR 2002, 1114 |
NJOZ 2002, 2022 |