Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 27.04.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 27. April 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Strafausspruch zu Fall II. 1. der Urteilsgründe,
- im Gesamtstrafenausspruch,
- soweit von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls und wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat das Gericht – sachverständig beraten – abgelehnt. Die gegen dieses Urteil gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Der Rechtsfolgenausspruch – mit Ausnahme der zu Fall II. 2. verhängten Einzelstrafe – begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 3
a) Nach den Urteilsfeststellungen verstaute der alkoholabhängige und alkoholisierte Angeklagte am 17. Oktober 2016 in einem Supermarkt zwei Bierdosen in seinem Rucksack, um sie für sich zu behalten. Dabei trug er – wie stets zum „Selbstschutz” – ein zusammengeklapptes Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 5,5 cm bei sich, und zwar in seiner Hosentasche. Gegenüber der Kassiererin gab der Angeklagte vor, alle Waren auf das Band gelegt zu haben. Von der Marktleiterin, die das Einstecken beobachtet hatte, zur Rede gestellt, behauptete der Angeklagte, die Dosen in den Supermarkt mitgebracht zu haben. Er ließ dennoch das Öffnen des Rucksacks durch die Angestellte zu, die die Bierdosen sicherstellte und dem Angeklagten ein Hausverbot erteilte (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
Rz. 4
Aus Furcht vor Entzugserscheinungen kehrte der Angeklagte jedoch kurz darauf in den Verkaufsraum zurück, ergriff eine Flasche Weißwein und eilte aus dem Supermarkt. Von einem eingreifenden Kunden in den Vorraum zurückgezerrt, schlug der Angeklagte bei dem Gerangel mit den Worten „lass mich los, ich brauche die Flasche” mit diesem Gegenstand um sich. Als ihn der Zeuge zu Boden rang, holte der Angeklagte sein Taschenmesser hervor (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
Rz. 5
b) Die Beurteilung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) bezüglich des Falls II. 1. der Urteilsgründe hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Während das Landgericht im Fall II. 2. der Urteilsgründe mit der Sachverständigen die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen vermocht hat, hat es solches für die erste Tat abgelehnt. Das „geordnete” und „situationsadäquate” Leistungsverhalten des Angeklagten vor allem gegenüber der Marktleiterin zeige „deutliche Reste von Steuerungsfähigkeit”. Diese Begründung trägt gerade in der Gesamtschau zum nachfolgenden Fall II. 2. die Ablehnung einer verminderten Schuldfähigkeit nicht.
Rz. 6
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Abhängigkeit von Rauschmitteln ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit etwa dann begründen, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat (BGH, Urteile vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12, NStZ 2013, 53, 54; vom 13. Dezember 1995 – 3 StR 276/95, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12; Beschluss vom 14. Juni 2002 – 3 StR 132/02, NStZ-RR 2002, 263).
Rz. 7
Eine solche Depravation des Angeklagten hätte das Landgericht bei der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit – naheliegend unter dem Gesichtspunkt einer krankhaften seelischen Störung (BGH, Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12, NStZ 2013, 53, 54; Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520) – erörtern und dem Leistungsverhalten gegenüberstellen müssen. Spätestens seit seinem 23. Lebensjahr ist der Angeklagte alkoholabhängig; deswegen verlor er seine Arbeitsstelle und beging zahlreiche Beschaffungstaten. Der Angeklagte verbüßte mehrfach Freiheitsstrafen. Seit 1996 ist eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge eingerichtet. Mehrere Entgiftungsversuche scheiterten. Auch erschließt sich nicht, warum der Angeklagte nicht bereits bei der ersten kurz vor dem schweren räuberischen Diebstahl begangenen Tat Entzugserscheinungen befürchtete. Demgegenüber lässt die Ausrede gegenüber der Marktleiterin kein übermäßig geordnetes Leistungsverhalten erkennen. Dieser Erörterungsmangel bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs zu Fall II. 1. der Urteilsgründe; dies zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
Rz. 8
c) Das Landgericht hat den Hang des Angeklagten, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen, und den symptomatischen Zusammenhang rechtsfehlerfrei bejaht; indes hat es eine Erfolgsaussicht der Behandlung (§ 64 Satz 2 StGB), „den Angeklagten innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB zu heilen oder auch nur für eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall in den Hang zu wahren”, verneint. Es hat dies – auch insoweit der Sachverständigen folgend – mit der intellektuellen Minderbegabung und einer fehlenden „nachhaltigen” Therapiebereitschaft des Angeklagten begründet. Die vorgenannte Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht von einer Höchstfrist von zwei Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB) ausgegangen und die Verweisung in § 64 Satz 2 StGB nF auf § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB übersehen hat. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist nach § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB, wenn – wie hier – daneben eine Freiheitsstrafe verhängt wird, nicht mehr von vornherein auf zwei Jahre beschränkt; die Höchstfrist der Unterbringung verlängert sich vielmehr in diesen Fällen um die Dauer des nach § 67 Abs. 4 StGB anrechenbaren Teils der Freiheitsstrafe. Durch den Verweis auf § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch dann angeordnet werden kann, wenn ausnahmsweise eine notwendige Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren zu prognostizieren ist. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass die aktuelle Therapieunwilligkeit des Angeklagten seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch dann noch entgegensteht, wenn auf die gemäß § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB verlängerte Höchstfrist abgestellt wird, die hier aufgrund der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten drei Jahre beträgt (zwei Jahre gemäß § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB zuzüglich zwei Drittel der verhängten Strafe gemäß § 67d Abs. 1 Satz 3, § 67 Abs. 4 StGB, mithin zuzüglich eines Jahres, abzüglich der wenigen Tage erlittener Haft [§ 230 Abs. 2 StPO, § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB]; s. BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2018 – 3 StR 616/17, juris Rn. 9; vom 7. September 2017 – 3 StR 307/17, juris Rn. 7 f. mwN).
Rz. 9
2. Neben dem Strafausspruch muss über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 264a StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2018 – 3 StR 616/17, juris Rn. 10; vom 7. September 2017 – 3 StR 307/17, juris Rn. 10 mwN). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Unterschriften
Spaniol, Berg, Hoch, Hohoff, Leplow
Fundstellen
Haufe-Index 12982640 |
NStZ-RR 2019, 136 |
StV 2020, 368 |