Verfahrensgang
LG Bamberg (Urteil vom 29.04.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 29. April 2003 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 138 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit es den Rechtsfolgenausspruch betrifft, ist im übrigen jedoch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde der vielfach wegen Diebstahls vorbestraften Angeklagten von einer namentlich nicht bekannten Person die im November 2000 in Dresden gestohlene EC-Karte einer Frau C. R. zur Verfügung gestellt. Diese Person wies die Angeklagte an, in bestimmten Geschäften näher bezeichnete Waren unter Verwendung dieser gestohlenen EC-Karte zu erwerben. Da der Angeklagten die PIN-Nummer der EC-Karte nicht bekannt war, suchte sie mit dieser nur solche Geschäfte an verschiedenen Orten im Bundesgebiet auf, die sich in Verbindung mit der EC-Karte des sog. Lastschriftverfahrens bedienten (POS-Verfahren). Im Zeitraum zwischen dem 2. April und dem 17. August 2001 trat sie dort jeweils als zahlungswillige und zahlungsfähige Kundin auf. Bei der Bezahlung ihrer Einkäufe mit der EC-Karte der C. R. erweckte sie den Anschein, sie sei die Berechtigte und unterschrieb die entsprechenden Belege, mit denen sie Einzugsermächtigung erteilte, mit dem Namen der berechtigten Karteninhaberin. In dieser Weise verfuhr sie insgesamt 138 Mal und ertrog sich so die unterschiedlichsten Gegenstände, u.a. Bekleidung, Haushalts- und Spielwaren, aber auch sog. Hummelfiguren, Teddybären der Marke Steiff und Puppen. C. R. widerrief jeweils die Einzugsermächtigung, so daß die auf den Konten der Geschäftsinhaber erfolgten Gutschriften rückbelastet wurden. Der enstandene Gesamtschaden beläuft sich auf mehr als 50.000 DM.
Die Strafkammer hat eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit der Angeklagten während der von ihr begangenen Taten (positiv) festgestellt. Bei ihr liege eine „reaktiv-depressive Verstimmung nach ICD-10 F 43.21” (Internationale Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation) „bei belastenden Lebensumständen auf dem Boden einer hierzu disponierten Persönlichkeitsstruktur” vor. Diese reaktiv-depressive Störung bestehe seit langer Zeit. Die Angeklagte erlebe Situationen des Ladendiebstahls oder auch der hier gegenständlichen betrügerischen Einkäufe als eine Veränderung ihrer Lebensumstände; sie erfahre diese subjektiv als „leidensmindernd”, weil die jeweilige Tat zu einer kurzfristigen „Befindlichkeitsaufwertung” führe. Das gelte auch in den Fällen, in denen die Angeklagte zu den Taten durch Dritte angeleitet oder bestimmt worden sei. Die Strafkammer hat deshalb von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den der Strafzumessung zugrundegelegten Strafrahmen nach den §§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu mildern.
Darüber hinaus hat sie die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Die bei ihr festgestellte seelische Abartigkeit sei bislang nicht adäquat behandelt worden. Es bestehe die Gefahr, daß sie weiterhin in Belastungssituationen Eigentums- und Vermögensdelikte begehe, die im weitesten Sinne „zu dem Umfeld der Ladendiebstähle” gehörten. Die Angeklagte unterliege immer wieder dem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang, derartige Delikte zu begehen. Deshalb sei zu erwarten, daß sie ohne Behandlung weiter gleichartige Delikte begehe. Sie sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich.
Entscheidungsgründe
II.
Der Schuldspruch hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen von Rechts wegen Bestand (§ 349 Abs. 2 StPO).
III.
Die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) der Angeklagten während der Taten und die Anordnung ihrer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) begegnen hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Strafkammer geht mit dem von ihr hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen davon aus, die Angeklagte habe unter einer reaktiv-depressiven Verstimmung gelitten; sie habe mit den Taten eine „emotionale Befindlichkeitsaufwertung” erlebt, die sie nach ICD-10 unter der Kategorie F 43.21 einordnet, als „schwere andere seelische Abartigkeit” (im Sinne des § 20 StGB) bewertet und die zu einer erheblichen Einschränkung ihrer Steuerungsfähigkeit geführt habe. Diese Würdigung ist jedoch in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht durch die Urteilsgründe nicht tragfähig belegt.
a) Nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen – klinisch-diagnostische Leitlinien – (ICD 10 Kapitel V der Weltgesundheitsorganisation) handelt es sich bei den sog. Anpassungsstörungen (F 43.2) um Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung, nach einem belastenden Lebensereignis oder auch nach schwerer körperlicher Krankheit auftreten. Unter der Bezeichnung F 43.21, die der Sachverständige hier angenommen hat, ist ein „leichter depressiver Zustand als Reaktion auf eine länger anhaltende Belastungssituation, die aber nicht länger als zwei Jahre dauert” beschrieben. Es liegt nicht nahe, daß eine solche, als „leichter depressiver Zustand” zu bewertende Befindlichkeit bei der Angeklagten – freilich auf der Grundlage einer entsprechend disponierten Persönlichkeit – zu einer, wie die Strafkammer ausführt, schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des Eingangsmerkmals des § 20 StGB geführt haben könnte. Dies hätte der näheren Darlegung und Begründung bedurft.
Eine solche Begründung läßt sich nicht etwa dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Zwar stellt die Strafkammer fest, die Angeklagte habe zwischen 1984 und 1996 „im Überfluß Alkohol und Tabletten zu sich genommen”; sie leide seit längerer Zeit an Depressionen, habe im Sommer 2002 – also nach den Taten – einen Suicid-Versuch mit Tabletten unternommen und sei darauf zwei Wochen stationär in einer Psychiatrischen Klinik behandelt worden. Der Sachverständige hat die durchgehend belastenden Lebensumstände der Angeklagten im wesentlichen in der Trennung von ihrem ersten Ehemann, in der Erkrankung ihres jetzigen Mannes sowie in den gegen sie geführten Strafverfahren gesehen (UA S. 36 i.V.m. UA S. 4). Auch diese festgestellten Umstände belegen aber nicht ohne weiteres die Erfüllung des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit (§ 20 StGB).
b) Ohne weitere Begründung ist zudem nicht tragfähig belegt, inwiefern die Steuerungsfähigkeit in einem Maße beeinträchtigt gewesen sein könnte, daß die rechtliche Kategorie der „Erheblichkeit” im Sinne des § 21 StGB sicher erreicht gewesen wäre. Soweit die Kammer mit dem Sachverständigen annimmt, die Taten habe die Angeklagte als Befindlichkeitsaufwertung erlebt, wodurch sie einem Leidensdruck entgangen sei, und auch insoweit auf die reaktiv-depressive Verstimmung abhebt, die letztlich auf die Belastung durch Trennung vom ersten Ehemann, Erkrankung des zweiten Ehemannes und die Strafverfahren gegen die Angeklagte zurückgeführt wird, ist dadurch eine „erhebliche” Verringerung der Steuerungsfähigkeit im Blick auf Betrug und Urkundenfälschung nicht hinreichend dargetan.
Die Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit „erheblich” im Sinne des § 21 StGB ist, stellt sich als Rechtsfrage dar. Diese hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten. Dabei fließen normative Erwägungen mit ein. Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens hängt auch von den Ansprüchen ab, die die Rechtsordnung an das Verhalten des Einzelnen zu stellen hat. Dies zu bewerten und zu entscheiden ist Sache des Richters. Allein zur Beurteilung der Vorfrage nach den medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen bedarf er sachverständiger Hilfe, sofern er hierzu nicht aufgrund eigener Sachkunde befinden kann (BGHSt 43, 66, 77; BGH StV 1999, 309, 310; BGH, Urt. vom 10. September 2003 – 1 StR 147/03).
2. Soweit die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB zur Milderung des von der Kammer zugrundegelegten Strafrahmens geführt hat, ist die Angeklagte zwar nicht beschwert. Im Zusammenhang mit der Anordnung ihrer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die sie ausdrücklich mit ihrem Rechtsmittel angreift, vermag der Senat aber nicht auszuschließen, daß sie sich auch zu Lasten der Angeklagten ausgewirkt haben kann. Denn die Unterbringung nach § 63 StGB setzt wenigstens die sichere Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB voraus. Ist diese mit einem Rechtsfehler behaftet, kann die Unterbringungsordnung schon deswegen keinen Bestand haben. Darüber hinaus erweisen sich aber auch die Erwägungen des Landgerichts zu den weiteren Voraussetzungen der Unterbringung als nicht tragfähig:
Die Angeklagte hat die Taten zwischen April und August des Jahres 2001 begangen. Die aufgrund sachverständiger Beratung angenommene Befindlichkeit der Angeklagten dauert nach der Beschreibung in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10 F 43.21) „aber nicht länger als zwei Jahre” an. Unter diesen Umständen hätte auch die Gesamtwürdigung der Angeklagten und ihrer Taten zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, die knapp zwei Jahre nach den Taten stattfand, im Rahmen der Prognose hierauf eingehen müssen. Hinzu kommt, daß die Angeklagte sich zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung seit etwa neun Monaten wieder auf freiem Fuß befand und das Urteil nicht ergibt, daß sie in dieser Zeit aufgrund ihres Zustandes erneut straffällig geworden wäre.
3. Nach allem bedarf die Frage des Vorliegens einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeiten ebenso wie die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Rechtsfolgenausspruch kann deshalb insgesamt keinen Bestand haben. Nicht betroffen ist hingegen der Schuldspruch. Der Senat vermag aufgrund der bisherigen, insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sicher auszuschließen, daß die Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt haben könnte.
Unterschriften
Nack, Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2558545 |
wistra 2004, 139 |
StV 2004, 263 |