Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 07.05.2013) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass die am 14. Mai 2013 eingelegte Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 7. Mai 2013 wirksam zurückgenommen ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 106 Fällen der Steuerhinterziehung, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und durch Beschluss gemäß § 268b StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Gegen das Urteil vom 7. Mai 2013 legten der Angeklagte und Rechtsanwalt U. als Verteidiger am 14. Mai 2013 fristgerecht Revision ein. Durch Schriftsatz vom 7. August 2013 – beim Landgericht eingegangen am 8. August 2013 – nahm Rechtsanwalt U. „namens und im Auftrag des Angeklagten” die Revision gegen das ihm am 23. Juli 2013 zugestellte Urteil zurück.
Rz. 2
Inzwischen wird der Angeklagte von Rechtsanwalt Dr. S. verteidigt, der im Kern geltend macht, die Revision sei nicht wirksam zurückgenommen worden. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Folgender Verfahrensgang liegt zugrunde:
Rz. 4
1. Verteidigungsverhältnisse:
Rz. 5
a) In der Hauptverhandlung war der Angeklagte zunächst von einer Wahlverteidigerin und einem Pflichtverteidiger vertreten. Die Wahlverteidigerin hat im Verlauf der Hauptverhandlung das Mandat niedergelegt, der Pflichtverteidiger hat sich nach der Hauptverhandlung am weiteren Verfahrensgang nicht mehr beteiligt.
Rz. 6
b) Noch vor Ende der Hauptverhandlung beauftragte der Angeklagte am 26. November 2012 Rechtsanwalt U. mit seiner Verteidigung. Dieser nahm (ebenso wie der Pflichtverteidiger) am letzten Hauptverhandlungstag am 7. Mai 2013 teil.
Rz. 7
c) Am 17. Mai 2013 mandatierte der Angeklagte Rechtsanwältin B., die er – so ihr Vortrag – bat, seine Interessen im Rahmen der Strafvollstreckung zu vertreten.
Rz. 8
d) Im September 2013 beauftragte der Angeklagte Rechtsanwalt Dr. S. mit seiner Verteidigung.
Rz. 9
2. Zunächst aktenkundig gewordener weiterer Verfahrensgang:
Rz. 10
Am 1. Juli 2013 stellte Rechtsanwalt U. einen Antrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls, der von Rechtsanwältin B. mit Schriftsatz vom 11. Juli 2013 ergänzt wurde. Mit Beschluss vom 30. Juli 2013 setzte das Landgericht den Haftbefehl unter Auflagen außer Vollzug. Der Angeklagte wurde am 1. August 2013 aus der Untersuchungshaft entlassen.
Rz. 11
3. Anträge und Vortrag von Rechtsanwalt Dr. S.:
Rz. 12
Rechtsanwalt Dr. S. beantragte am 28. November 2013 zunächst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist und begründete die Revision mit der (im weiteren Verlauf näher ausgeführten) Sachrüge. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trägt er vor:
Rz. 13
Die Revision sei nicht wirksam zurückgenommen worden. Rechtsanwalt U. habe dem Angeklagten anlässlich eines Besuchs in der Justizvollzugsanstalt am 14. Juni 2013 mitgeteilt, eine Haftverschonung könne nach den Vorgaben der Staatsanwaltschaft nur dann erfolgen, wenn die Revision anschließend zurückgenommen werde. Der Angeklagte habe dem lediglich deshalb nicht widersprochen, um aus der Haft entlassen zu werden und dann seine erkrankte Mutter unterstützen zu können. Die Rücknahme der Revision habe aber nicht dem Willen des Angeklagten entsprochen.
Rz. 14
Nachdem sich der Angeklagte seit dem 2. Januar 2014 in Strafhaft befindet, hat Rechtsanwalt Dr. S. mit Schriftsatz vom 6. Januar 2014 zudem beantragt, gemäß § 47 Abs. 2 StPO die Unterbrechung der Strafvollstreckung anzuordnen.
Rz. 15
4. Weitere Erkenntnisse:
Rz. 16
a) Nach Eingang des Antrags von Rechtsanwalt Dr. S. auf Wiedereinsetzung hat das Landgericht Stellungnahmen bzw. dienstliche Äußerungen von Rechtsanwalt U., Rechtsanwältin B. und dem zuständigen Staatsanwalt als Gruppenleiter E. eingeholt.
Rz. 17
(1) Rechtsanwalt U. legte in einer gemeinsamen Erklärung mit dem in seiner Kanzlei beschäftigten Rechtsanwalt W., der den Angeklagten ebenfalls in der Justizvollzugsanstalt aufgesucht hatte, dar, dass die Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu keinem Zeitpunkt von der Rücknahme der Revision abhängig gemacht worden sei. Die Revisionseinlegung sei „rein vorsorglich” erfolgt, er habe dem Angeklagten von Anfang an verdeutlicht, dass er die Revision – insbesondere aufgrund des vollumfänglichen Geständnisses – für wenig erfolgversprechend halte. Hauptziel des Angeklagten sei es gewesen, vor der Strafvollstreckung noch einmal aus der Haft entlassen zu werden, um seine Mutter zu unterstützen. Auf Wunsch des Angeklagten sei daher am 1. Juli 2013 ein Antrag auf Haftverschonung gestellt werden. Nach Außervollzugsetzung des Haftbefehls am 30. Juli 2013 habe der Angeklagte um Zurücknahme der Revision gebeten.
Rz. 18
(2) Rechtsanwältin B. erklärte, der Angeklagte habe ihr gegenüber in einem Schreiben vom 14. Juni 2013 davon berichtet, dass die Staatsanwaltschaft nach den Angaben seines Verteidigers Rechtsanwalt U. anlässlich eines Besuchs am selben Tag die Außervollzugsetzung des Haftbefehls an verschiedene Bedingungen – darunter auch die Zurücknahme der Revision – geknüpft habe. Auf ihre Nachfrage am 1. Juli 2013 habe Staatsanwalt als Gruppenleiter E. eine derartige Verknüpfung verneint. Sie habe dem Angeklagten gegenüber deutlich gemacht, dass die Außervollzugsetzung unter der Bedingung der Rücknahme der Revision unzulässig sei. Der Angeklagte habe sie beauftragt, die Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu beantragen. Er habe ihr gegenüber jedoch eindeutig klargestellt, dass die Revision aufrecht erhalten bleiben solle.
Rz. 19
(3) Staatsanwalt als Gruppenleiter E. gab an, dass keine Verbindung zwischen der Haftverschonung und der Rücknahme der Revision hergestellt worden sei. Dies habe er auch Rechtsanwältin B. anlässlich eines Telefonats mitgeteilt.
Rz. 20
b) Rechtsanwalt Dr. S. hat daraufhin erwidert, die Rechtsanwälte U. und W. könnten keine gemeinsame Erklärung abgeben. Unabhängig davon sei der Inhalt dieser Erklärung nicht geeignet, das Schreiben des Angeklagten an Rechtsanwältin B. vom 14. Juni 2013 sowie die Rücknahme der zunächst eingelegten Revision zu erklären. Daher seien ergänzende Erklärungen einzuholen.
Rz. 21
c) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 16. Januar 2014 beantragt, festzustellen, dass die Revision wirksam zurückgenommen wurde, und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig zu verwerfen.
Rz. 22
Er ist der Auffassung, aus den dargelegten Erklärungen ergebe sich, dass die Revision wirksam zurückgenommen sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nach rechtswirksamer Rücknahme der Revision nicht mehr in Betracht; zugleich habe sich auch der Antrag auf Unterbrechung der Strafvollstreckung gemäß § 47 Abs. 2 StPO erledigt.
III.
Rz. 23
Bezweifelt ein Verfahrensbeteiligter die Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme, so entscheidet das Revisionsgericht darüber in Form einer Feststellung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 – 4 StR 691/10, wistra 2011, 314; Beschluss vom 20. September 2007 – 4 StR 297/07, NStZ 2009, 51; Beschluss vom 10. April 1991 – 3 StR 354/90, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 8; vgl. auch Paul in KK, StPO, 7. Aufl., § 302 Rn. 14a mwN).
Rz. 24
Der Senat sieht keine Veranlassung, ergänzende Erklärungen einzuholen. Er hat keinen Anlass, die Angaben von Rechtsanwalt U. und Rechtsanwalt W. in der Erklärung vom 17. Dezember 2013 anzuzweifeln. Er hält es deshalb nicht für erforderlich, im Detail der Frage nachzugehen, bei welchem der beiden Rechtsanwälte die in der gemeinsamen Erklärung angeführten Erkenntnisse jeweils zuerst angefallen sind.
Rz. 25
In der Sache teilt der Senat die Auffassung des Generalbundesanwalts:
Rz. 26
1. Ebenso wenig wie der Senat Anlass hat, die Erklärungen der Rechtsanwälte U. und W. anzuzweifeln, hat er Anlass, die dienstliche Äußerung des Staatsanwalts als Gruppenleiter E. sowie die Erklärung von Rechtsanwältin B. anzuzweifeln. Die Erklärung der Rechtsanwälte U. und W. sowie die dienstliche Äußerung von Staatsanwalt als Gruppenleiter E. ergeben, dass eine Verknüpfung der Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit der Revisionsrücknahme nicht erfolgt ist. Demgegenüber ergibt die Erklärung der Rechtsanwältin B., dass der Angeklagte offenbar zunächst geglaubt hat, dass eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls nur bei einer Rücknahme der Revision möglich sei. Sie ergibt jedoch auch, dass der Angeklagte aufgrund der Erläuterungen von Rechtsanwältin B. wusste, dass eine derartige Verknüpfung unzulässig wäre. Dass er dies auch verstanden hat, ergibt sich bereits daraus, dass er Rechtsanwältin B. damit beauftragte, die Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu beantragen, aber zugleich klarstellte, dass die Revision aufrechterhalten bleiben solle.
Rz. 27
2. Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass Rechtsanwalt U. durch den Angeklagten zur Rücknahme der Revision ausdrücklich ermächtigt wurde (§ 302 Abs. 2 StPO).
Rz. 28
Für die Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben. Ihr Nachweis kann noch nach Abgabe der Rücknahmeerklärung – auch durch anwaltliche Versicherung des Verteidigers – geführt werden (vgl. Paul in KK, aaO, § 302 Rn. 22 mwN). Der Senat hat keinen Zweifel an der Darstellung in der Erklärung vom 17. Dezember 2013, der Angeklagte habe nach Außervollzugsetzung des Haftbefehls am 30. Juli 2013 um die Rücknahme der Revision gebeten. Aus der Erklärung von Rechtsanwältin B. ergibt sich, dass der Angeklagte letztmals am 5. August 2013 telefonisch mit ihrer Kanzlei Kontakt hatte. Dabei habe er erklärt, er habe noch in dieser Woche einen Termin in der Kanzlei U.. Dem entspricht, dass Rechtsanwalt U. die Revision mit Schriftsatz vom 7. August 2013 (Eingang beim Landgericht am 8. August 2013) – also zeitnah zu dem der Kanzlei der Rechtsanwältin B. angekündigten Termin des Angeklagten in der Kanzlei U. – zurückgenommen hat. Es wäre ungewöhnlich, wenn ein mit der Durchführung einer Revision beauftragter Strafverteidiger diese kurz nach einem Gespräch mit dem Angeklagten gegen dessen Willen zurücknähme. Gründe, die vorliegend für diese Möglichkeit sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.
IV.
Rz. 29
Nach allem ist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kein Raum. Der Antrag auf Aufschub der Vollstreckung gemäß § 47 Abs. 2 StPO ist mit dieser Entscheidung gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 1 StR 482/01).
Unterschriften
Wahl, Rothfuß, Jäger, Radtke, Mosbacher
Fundstellen
Haufe-Index 6527797 |
ZAP 2014, 498 |
StRR 2014, 162 |