Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen einer Pachtzinsanpassung (Ergänzung zu BGHZ 134, 158 ff).
In sog. echten Streitverfahren nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen findet § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO entsprechende Anwendung.
Normenkette
BGB § 593; LPachtVG § 4 Abs. 1 Nr. 3; ZPO § 565 Abs. 1 S. 2; LwVG § 9
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Aktenzeichen 10 W 26/95) |
AG Cloppenburg (Aktenzeichen 10 Lw 38/95) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des 10. Zivilsenats – Senat für Landwirtschaftssachen – des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 10. September 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an den Vertretersenat des Beschwerdegerichts zurückverwiesen.
Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.250 DM.
Gründe
I.
Der Antragsgegner ist Pächter von 16.3309 ha Ackerland, das der verstorbene Landwirt H. N. (Erblasser) seit 30. Oktober 1981 zu einem Pachtpreis von jährlich 9.750 DM verpachtet hatte. Auf dem Pachtland befindet sich eine 216 m² große Scheune. Der Pachtvertrag endete am 31. Oktober 1994. Die Antragstellerin verlangt als Miterbin nach H. N. eine Pachtzinsanpassung für das Pachtjahr vom 1. November 1993 bis 31. Oktober 1994 auf 15.000 DM jährlich und begehrt Nachzahlung von 5.250 DM nebst Zinsen an die Erbengemeinschaft. Landwirtschaftsgericht und Oberlandesgericht haben den Antrag abgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat der Senat mit Beschluß vom 29. November 1996 (BLw 48/95 = BGHZ 134, 158 ff) den Beschluß des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Auf den Inhalt dieses Beschlusses wird zur weiteren Sachdarstellung verwiesen. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Antragstellerin erneut zurückgewiesen. Dagegen richtet sich ihre zugelassene Rechtsbeschwerde.
II.
Das Beschwerdegericht hat ein Gutachten zur Frage eingeholt, welchen geldwerten Nutzen/Ertrag bezogen auf den Gesamtbetrieb des Antragsgegners die Anpachtung der streitgegenständlichen Fläche im Pachtjahr 1993/94 hatte, und eine Auskunft des Landkreises Cloppenburg dazu angefordert, ob dieser eine Pachtzinserhöhung auf jährlich 15.000 DM beanstandet hätte. Es verneint einen Anpassungsanspruch, weil die Anpachtung dem Antragsgegner nach dem Gutachten im maßgeblichen Pachtjahr keinen geldwerten Vorteil, vielmehr sogar einen Nachteil gebracht habe. Dabei komme es nicht auf den erzielbaren, sondern auf den tatsächlich erzielten Gewinn an. Der Landkreis hätte eine Erhöhung auf 15.000 DM voraussichtlich auch beanstandet.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde (vgl. § 24 Abs. 1 LwVG) hat Erfolg. Die Sachbehandlung durch das Beschwerdegericht verletzt die rechtlichen Vorgaben aus dem Senatsbeschluß vom 29. November 1996 in mehrfacher Hinsicht.
1. Der Senat hat in seinen Ausführungen deutlich unterschieden zwischen den Voraussetzungen einer Pachtpreisanpassung und deren Obergrenze durch die nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 LPachtVG gegebene Beanstandungsmöglichkeit. Ob sich die für die Festsetzung der Vertragsleistungen maßgebenden Verhältnisse nachhaltig verändert haben, läßt sich nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art beantworten, die das wirtschaftliche Interesse an der Nutzung von Pachtland unter Einbeziehung örtlicher Besonderheiten bestimmen. Der Senat hat dazu beispielhaft auf die allgemeine Veränderung der Wirtschaftslage in der Landwirtschaft, die Änderung von Steuern und Abgaben, staatlichen und überstaatlichen Lenkungsmaßnahmen und dem Zustand der Pachtsache hingewiesen, aber auch darauf abgestellt, daß in jedem Fall die Entwicklung der Pachtpreise unter Berücksichtigung vergleichbarer Objekte und regionaler Besonderheiten mit einbezogen werden müsse. Nichts von alledem hat das Beschwerdegericht ermittelt, insbesondere nicht die Verhältnisse bei Abschluß des Pachtvertrages mit denen des Pachtjahres 1993/94 verglichen, sondern sich allein auf die Frage beschränkt, ob die Zupacht der streitigen Flächen dem Antragsgegner nur im Pachtjahr 1993/94 einen geldwerten Vorteil (Ertrag/Gewinn) gebracht hat. Damit kehrt es nicht nur im wesentlichen praktisch zurück zu der vom Senat für unmaßgeblich gehaltenen Überlegung vom sog. Deckungsbeitrag, sondern tut auch den zweiten Schritt vor dem ersten. Erst wenn unter Verwertung aller Umstände, insbesondere der Entwicklung der Pachtpreise, festgestellt ist, ob und vor allem in welcher Höhe eine Pachtpreisanpassung vorzunehmen wäre, läßt sich entscheiden, ob diese Erhöhung beanstandet werden könnte. Der Senat hat nur in diesem Rahmen darauf hingewiesen, daß die Beanstandung grundsätzlich auch im Zusammenhang mit dem Schutz der Agrarstruktur stehe, die auf die Leistungsfähigkeit der einzelnen Betriebe abstelle, und in diesem Zusammenhang auch für bedeutungsvoll gehalten, ob unter dem Aspekt eines betriebswirtschaftlichen Nutzens, d.h. einer Gesamtschau aller betriebswirtschaftlichen Faktoren, der Pachtzins untragbar hoch ist oder nicht. Im Interesse einer Gleichbehandlung kommt es dabei vor allem auf die Beanstandungspraxis der zuständigen Landwirtschaftsbehörde an. Es ist deshalb verfehlt, schon die Frage einer Erhöhung allein davon abhängig zu machen, ob die Zupacht gerade dem Antragsgegner in einem bestimmten Pachtjahr einen „geldwerten Vorteil” gebracht hat.
Der streitgegenständliche Antrag könnte ohne Prüfung von Grund und Höhe eines Erhöhungsverlangens allein unter Hinweis auf die vom Senat aufgestellte Obergrenze (Beanstandungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 LPachtVG) allenfalls dann abgelehnt werden, wenn feststünde, daß jedwede Erhöhung über einen Pachtzins von 9.750 DM jährlich hinaus beanstandet werden müßte. Dies hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Der Landkreis Cloppenburg hat lediglich mitgeteilt, „aufgrund der Entwicklung des Deckungsbeitrages” in der Landwirtschaft wäre für das Pachtjahr 1993/94 der Landpachtvertrag mit einem Pachtzins von jährlich 15.000 DM „voraussichtlich” beanstandet worden. Diese Auskunft zeigt mit aller Deutlichkeit, daß der Landkreis schon entgegen den Ausführungen im Senatsbeschluß vom 29. November 1996 für die Frage der Beanstandung auf die Entwicklung des Deckungsbeitrags abheben will. Sie berücksichtigt ferner nicht, daß unter Umständen auch eine Erhöhung unter dem Betrag von 15.000 DM jährlich in Betracht kommen kann, und läßt darüber hinaus keinerlei Nachprüfung der Beanstandungspraxis der Behörde zu. Dazu ist unerläßlich, daß die Behörde mitteilt, welche Pachtverträge ihr für vergleichbare Flächen in der Vergangenheit mitgeteilt worden sind und welche sie beanstandet hat. Die Gutachterin hat zwar den Landkreis aufgefordert, ihr die angezeigten Pachtverträge in den Jahren 1981 bis 1994 für vergleichbares Ackerland mitzuteilen (GA II Bl. 172), hat die Antwort hierauf aber entweder nicht erhalten oder jedenfalls nicht bekanntgegeben, sondern begnügt sich in einer Anlage zum Gutachten allein mit dem pauschalen Hinweis, die Schwankungsbreite der Pachtpreise vergleichbarer Flächen im Pachtanpassungsjahr reiche von 280 DM bis 1.400 DM pro ha (GA III Bl. 23).
2. Zwingt somit schon der methodisch falsche Ansatz des Beschwerdegerichts und der Gutachterin zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, so ist das vom Beschwerdegericht in mehrfacher Hinsicht durch telefonische Anweisungen beeinflußte Gutachten im übrigen unverwertbar. Es beschränkt sich allein auf die Daten und die Ertragslage des Pachtjahres 1993/94. Diejenigen zu Pachtbeginn und den Folgejahren läßt es außer Betracht. Auch im Rahmen der Beanstandungspraxis kommt es aber allenfalls auf die Leistungsfähigkeit des Betriebes und dessen betriebswirtschaftliche Situation an. Wie der Senat im Beschluß vom 29. November 1996 ausgeführt hat, ist dabei das Verhältnis von nachhaltig erzielbarem Ertrag und Pachtpreis ein maßgebliches Kriterium. Nachhaltig erzielbare Erträge lassen sich aber nicht feststellen, indem man die Begutachtung auf ein Pachtjahr beschränkt. Im übrigen ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht nur maßgeblich der tatsächlich erzielte Gewinn, sondern der bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung erzielbare Gewinn. Ein schlecht wirtschaftender Pächter wäre sonst gegenüber einem gut wirtschaftenden bevorzugt, obwohl die Beanstandungspraxis die Leistungsfähigkeit des einzelnen Betriebes im Auge haben muß und dabei nach den Ausführungen des Senats im Beschluß vom 29. November 1996 eine Betrachtungsweise auf „der Grundlage einer bestimmten Bewirtschaftungsform” diesem Ziel nicht gerecht wird. Die Gutachterin hat angedeutet, daß der Betrieb des Antragsgegners „verschiedene Anpassungsalternativen” hätte. Sie hat ferner aufgrund telefonischer Anweisung des Gerichts ausdrücklich nur die Situation des Betriebes mit und ohne die streitgegenständlichen Flächen verglichen und dabei unterstellt, daß dabei alle übrigen Bedingungen insbesondere die Viehbestände gleich bleiben (GA III Bl. 7), obwohl sie an anderer Stelle einräumt, daß ohne die streitgegenständlichen Pachtflächen der Viehbesatz die Höchstgrenze von 3 VE/ha erheblich überschreiten würde und dem Antragsgegner damit der Vorteil einer Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen verloren ginge. Das Gutachten bescheinigt dem Antragsgegner durch die Zupacht einen „geldwerten Nachteil in Höhe von 9.150,85 DM” für das Pachtjahr 1993/94. Dies ist unvereinbar mit der gutachterlichen Feststellung, daß der Antragsgegner für einen weiteren Hauptteil seiner Pachtflächen in Höhe von ca. 19 ha jährliche Pachtpreise von 1.104 DM/ha bzw. 1.125 DM/ha bezahlt und insgesamt damit Gewinn erwirtschaftet und der Pachtpreis für die streitgegenständlichen Flächen nur ca. 623 DM/ha beträgt.
Das Beschwerdegericht wird mithin den Erhöhungsantrag erneut mit einem anderen methodischen Ansatz im Sinne der obigen Ausführungen prüfen müssen.
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO in entsprechender Anwendung Gebrauch gemacht. In der Literatur wird zwar teilweise die Auffassung vertreten, diese Bestimmung sei als Sonderregelung des Zivilprozeßrechts im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht anwendbar (vgl. Barnstedt/Steffen, LwVG, 5. Aufl., § 27 Rdn. 46 m.w.N.). Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch um ein sog. echtes Streitverfahren, auf das auch sonst die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend angewendet werden, soweit die Bestimmungen des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit keine eigene Regelung enthalten und die Verfahrensgrundsätze dieses Gesetzes einer entsprechenden Anwendung nicht entgegenstehen (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 13. Aufl., § 12 Rdn. 198 und vor § 8 Rdn. 3 und 4). Überzeugende Gründe gegen eine rechtsanaloge Anwendung von § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO, für die hier ein besonderes Bedürfnis besteht, sind nicht erkennbar (so auch Keidel/Kuntze/Winkler, aaO, § 27 Rdn. 66 b; Pritsch, LwVG, § 27 D I c); denn das Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen trifft keine Regelung darüber, wie das Rechtsbeschwerdegericht zu entscheiden hat. Diese Lücke muß ohnehin in rechtsanaloger Anwendung von §§ 564, 565 ZPO geschlossen werden. Diese Ansicht ist auch in der Literatur herrschende Meinung (vgl. Barnstedt/Steffen, aaO, Rdn. 44 m.w.N.).
Unterschriften
Wenzel, Vogt, Krüger
Fundstellen
Haufe-Index 539746 |
NWB 1999, 1537 |
BGHR |
NJW-RR 1999, 890 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 1295 |
ZAP 1999, 388 |
ZMR 1999, 465 |
AgrarR 1999, 281 |
RdL 1999, 119 |
WuM 1999, 419 |
OVS 1999, 192 |