Leitsatz (amtlich)
a) Wird dem Betroffenen das im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Dann hat das Beschwerdegericht diesen Mangel durch die Übersendung des Sachverständigengutachtens an den Betroffenen und dessen anschließende erneute Anhörung zu beheben (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 6.2.2019 - XII ZB 504/18, MDR 2019, 498).
b) Auch eine sog. Kontrollbetreuung (§ 1896 Abs. 3 BGB) kann gem. § 1896 Abs. 1a BGB nicht gegen den freien Willen des Betroffenen eingerichtet werden (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 7.3.2018 - XII ZB 540/17, FamRZ 2018, 848).
Normenkette
FamFG § 27 Abs. 2, § 68 Abs. 3 S. 2, § 278; BGB § 1896 Abs. 1a, 3
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Beschluss vom 21.12.2018; Aktenzeichen 19 T 163/18) |
AG Neuss (Beschluss vom 04.12.2018; Aktenzeichen 111 XVII 86/18 D) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 19. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 21.12.2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Gegenstand des Verfahrens ist die Bestellung eines Kontrollbetreuers.
Rz. 2
Der Betroffene, der an einem psychoorganischen Hirnsyndrom mit einer mittelgradigen dementiellen Entwicklung leidet, erteilte dem Beteiligten zu 1) am 11.1.2010 eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht. Im Jahr 2012 wurde der Betroffene in einem beim LG anhängigen Rechtsstreit vom Landschaftsverband R. als Erbe auf Rückzahlung von Sozialleistungen, die der verstorbenen Schwester des Betroffenen gewährt worden waren, in Anspruch genommen. In diesem Verfahren kam es zum Abschluss eines Vergleichs, in dem sich der Landschaftsverband R. zur Rücknahme der Klage gegen den Betroffenen verpflichtete und dieser seine sämtlichen etwaigen Ansprüche gegen den Beteiligten zu 1) und andere an den Kläger abtrat. Nachdem dieser Vergleich von dem Beteiligten zu 1) angefochten worden war, regte der Vorsitzende der mit dem Verfahren befassten Zivilkammer des LG beim AG die Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen an.
Rz. 3
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das AG die Beteiligte zu 2) zur Kontrollbetreuerin bestellt und ihr auch die Befugnis zum Widerruf bestehender Vollmachten erteilt. Gegen diesen ihm mit Verfügung vom 4.12.2018 bekanntgegebenen Beschluss hat der Betroffene mit Telefax vom 10.12.2018 Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 14.12.2018 hat sich außerdem Rechtsanwalt Dr. S. unter Vorlage einer Vollmacht zum Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen bestellt und ebenfalls gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 19.12.2019, der am 30.12.2018 beim AG eingegangen ist, hat Rechtsanwalt Dr. S. die Einlegung der Beschwerde wiederholt und diese begründet. Das LG hat mit Beschluss vom 21.12.2018 die Beschwerde zurückgewiesen.
Rz. 4
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 6
1. Das LG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Rz. 7
Das AG habe zu Recht eine Kontrollbetreuung eingerichtet, weil der Betroffene und der Beteiligte zu 1) gegensätzliche Interessen verfolgten. Dies ergebe sich daraus, dass der in dem Rechtsstreit vor dem LG abgeschlossene Vergleich einerseits die Klagerücknahme gegen den beklagten Betroffenen vorsehe und andererseits dessen Verpflichtung enthalte, etwaige u.a. gegen den Beteiligten zu 1) bestehenden Ansprüche an den klagenden Landschaftsverband abzutreten. Bei dieser Sachlage habe der Betroffene ersichtlich ein Interesse an der Wirksamkeit des Vergleichs, während der Beteiligte zu 1) darum bemüht sei, die Wirksamkeit des Vergleichs zu verhindern. Die Anordnung, dass erst nach sieben Jahren über die Aufhebung oder Fortdauer der Kontrollbetreuung entschieden werde, sei nicht zu beanstanden, weil die Kontrollbetreuung für diese Zeitspanne erforderlich sei. Aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens sei nicht zu erwarten, dass sich der gesundheitliche Zustand des Betroffenen verbessern werde.
Rz. 8
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 9
a) Die angefochtene Entscheidung kann schon aus verfahrensrechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das LG den Betroffenen nicht angehört hat.
Rz. 10
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung dagegen eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen (vgl. BGH, Beschl. v. 28.9.2016 - XII ZB 313/16, FamRZ 2016, 2089 Rz. 5 m.w.N. zu § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Zudem kann im Beschwerdeverfahren nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (BGH, Beschl. v. 14.3.2018 - XII ZB 503/17, FamRZ 2018, 849 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 11
bb) Gemessen hieran durfte das LG im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen, weil bereits die Anhörung des Betroffenen durch das AG an einem wesentlichen Verfahrensmangel litt. Denn dem Betroffenen wurde das eingeholte Sachverständigengutachten nicht überlassen.
Rz. 12
(1) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gem. § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 6.2.2019 - XII ZB 504/18, MDR 2019, 498 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 13
(2) Aus der Gerichtsakte lässt sich nicht ersehen, dass der Inhalt des Gutachtens dem Betroffenen in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist. Das AG hat das Sachverständigengutachten erst zusammen mit seiner Entscheidung und lediglich der Beteiligten zu 2) übermittelt. Ebenso wenig enthält das Sachverständigengutachten einen Hinweis darauf, dass der Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 17.5.2017 - XII ZB 18/17, FamRZ 2017, 1323 Rz. 11 m.w.N.). Diesen Mangel hätte das LG durch die Übersendung des Sachverständigengutachtens an den Betroffenen und dessen anschließende erneute Anhörung beheben müssen.
Rz. 14
b) Auch in der Sache kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.
Rz. 15
aa) Die Entscheidung des LG hält bereits deshalb rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Betreuerin gegen den Willen des Betroffenen bestellt worden ist, es aber an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen dazu fehlt, ob der Betroffene über einen freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB verfügt. Auch eine sog. Kontrollbetreuung (§ 1896 Abs. 3 BGB) wie die vorliegende kann gem. § 1896 Abs. 1a BGB nicht gegen den freien Willen des Betroffenen eingerichtet werden (vgl. BGH v. 7.3.2018 - XII ZB 540/17, FamRZ 2018, 848 Rz. 7; v. 16.12.2015 - XII ZB 381/15, FamRZ 2016, 456 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 16
bb) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht, denn er enthält keinerlei Feststellungen zur Fähigkeit des Betroffenen, seinen Willen frei zu bilden. Auch lassen sich die erforderlichen Feststellungen weder dem in Bezug genommenen amtsgerichtlichen Beschluss noch dem Sachverständigengutachten entnehmen. Sie folgen insb. nicht aus der diagnostizierten Krankheit oder der in der amtsgerichtlichen Entscheidung enthaltenen Feststellung, dass der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen gehindert ist, in dem angeordneten Aufgabenkreis eigene Angelegenheiten interessengerecht zu regeln und insoweit Hilfe durch einen Betreuer benötigt. Denn damit sind allein die Tatbestandsvoraussetzungen von § 1896 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 BGB angesprochen, aber keinerlei Aussagen zur Frage der Fähigkeit zur freien Willensbildung verbunden.
Rz. 17
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher gem. § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist an das LG zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Dieses wird nunmehr die erforderlichen Feststellungen zur Frage des Vorliegens eines freien Willens der Betroffenen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB zu treffen haben.
Rz. 18
Für den Fall, dass es dem Betroffenen am freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB fehlt, weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 19
Wie das LG seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt hat, kann das Bedürfnis nach einer Kontrollbetreuung nicht allein damit begründet werden, der Vollmachtgeber sei aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr selbst in der Lage, den Bevollmächtigten zu überwachen. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten, die die Errichtung einer Kontrollbetreuung erfordern. Notwendig ist der konkrete, also durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerte Verdacht, dass mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht oder nicht in gebotener Weise Genüge getan wird. Dies kann der Fall sein, wenn nach den üblichen Maßstäben aus der Sicht eines vernünftigen Vollmachtgebers unter Berücksichtigung des in den Bevollmächtigten gesetzten Vertrauens eine ständige Kontrolle schon deshalb geboten ist, weil Anzeichen dafür sprechen, dass der Bevollmächtigte mit dem Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte überfordert ist, oder wenn gegen die Redlichkeit oder die Tauglichkeit des Bevollmächtigten Bedenken bestehen. Ein Missbrauch der Vollmacht oder ein entsprechender Verdacht ist nicht erforderlich. Ausreichend sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Bevollmächtigte nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Vollmachtgebers handelt (BGH v. 26.7.2017 - XII ZB 143/17, FamRZ 2017, 1714 Rz. 12 f.; v. 16.7.2014 - XII ZB 142/14, FamRZ 2014, 1693 Rz. 11 f.).
Rz. 20
Nach diesen Maßgaben tragen die bisherigen Feststellungen die Anordnung einer umfassenden Kontrollbetreuung nicht. Zwar kann ein möglicher Interessenkonflikt zwischen dem Betroffenen und einem Bevollmächtigten die Anordnung einer Kontrollbetreuung erfordern (BGH, Beschl. v. 16.7.2014 - XII ZB 142/14, FamRZ 2014, 1693 Rz. 11 f. m.w.N.). Das LG hat sich jedoch nicht mit der Frage befasst, ob der vom AG zur Begründung herangezogene Interessenkonflikt auch unter Berücksichtigung der vom Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vorgetragenen Gründe überhaupt besteht. Anhaltspunkte dafür, dass über dieses gerichtliche Verfahren hinaus die Anordnung einer umfassenden Kontrollbetreuung erforderlich ist, ergeben sich aus den bisher getroffenen Feststellungen nicht.
Rz. 21
Der angegriffenen Entscheidung mangelt es bislang auch an tragfähigen Feststellungen, die die Ermächtigung der Beteiligten zu 2) zum Vollmachtwiderruf rechtfertigen könnten.
Rz. 22
Die Befugnis zum Vollmachtwiderruf beinhaltet einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff und muss deswegen dem Betreuer als eigener Aufgabenkreis ausdrücklich zugewiesen werden (BGH BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rz. 10 ff.). Soll dem Kontrollbetreuer die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf übertragen werden, setzt dies tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt. Sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, durch einen zu bestellenden (Kontroll-)Betreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insb. durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftsablegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte. Nur wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder ein solches Vorgehen aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheint, drohende Schäden auf diese Weise abzuwenden, ist die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf, der die ultima ratio darstellt, verhältnismäßig (BGH, Beschl. v. 9.5.2018 - XII ZB 413/17, FamRZ 2018, 1188 Rz. 31 f. m.w.N.).
Rz. 23
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen