Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 14.12.2016) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 14. Dezember 2016 im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass
- die Freiheitsstrafe für die gefährliche Körperverletzung auf zwei Jahre und zehn Monate herabgesetzt und
- der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 12. November 2015 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt wird.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Geldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 12. November 2015 und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 30. Juni 2016 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt und die im Strafbefehl des Amtsgerichts Essen angeordnete Sperrfrist aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts sowie eine Verfahrensbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Der Gesamtstrafenausspruch des angefochtenen Urteils begegnet insoweit durchgreifenden rechtlichen Bedenken, als die Strafkammer auch die beiden Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 30. Juni 2016 nach Auflösung der dortigen Gesamtgeldstrafe in die nach § 55 Abs. 1 StGB gebildete nachträgliche Gesamtstrafe einbezogen hat.
Rz. 3
Die vom Landgericht neu abgeurteilte gefährliche Körperverletzung beging der Angeklagte am 18. März 2015, mithin vor den jeweils noch nicht erledigten Ahndungen durch das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 12. November 2015 und den Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 30. Juni 2016. Da die dem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 30. Juni 2016 zugrundeliegenden Taten vom Angeklagten am 22. Mai 2016 und damit zeitlich nach der hinsichtlich des Urteils des Amtsgerichts Gelsenkirchen am 28. April 2016 ergangenen Berufungsentscheidung verübt wurden, sind die beiden Verurteilungen untereinander nicht gesamtstrafenfähig. Ist eine neu abgeurteilte Tat zeitlich vor mehreren unerledigten Verurteilungen begangen worden, die untereinander nicht auf eine Gesamtstrafe zurückgeführt werden können, ist eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 1 StGB nur mit den Strafen aus der zeitlich ersten Verurteilung möglich (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 15). Das Landgericht hätte daher lediglich mit der Geldstrafe von 50 Tagessätzen aus dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen eine nachträgliche Gesamtstrafe bilden dürfen.
Rz. 4
2. Die Festsetzung der neu zu bildenden Gesamtstrafe kann der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst vornehmen.
Rz. 5
Das bei alleiniger Revision des Angeklagten zu beachtende verfahrensrechtliche Verbot der reformatio in peius aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hat im Falle einer fehlerhaften nachträglichen Gesamtstrafenbildung zur Folge, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 2016 – 4 StR 73/16, StraFo 2016, 348, 349; vom 11. Februar 1988 – 4 StR 516/87, BGHSt 35, 208, 212; Urteil vom 3. November 1955 – 3 StR 369/55, BGHSt 8, 203, 205). Hat eine aus Freiheitsstrafe und Geldstrafe gebildete Gesamtstrafe keinen Bestand und wird nunmehr auf beide Strafarten nebeneinander erkannt, darf die Summe aus der Freiheitsstrafe und den Tagessätzen der Geldstrafe die frühere Gesamtfreiheitsstrafe nicht übersteigen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2013 – 4 StR 111/13, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 14 mwN). Da die Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 30. Juni 2016 gesondert bestehen bleibt, darf die neue Gesamtstrafe zwei Jahre und elf Monate nicht übersteigen. Auf diese durch das Verbot der Schlechterstellung vorgegebene Strafe kann der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst erkennen. Um jedwede Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen, ermäßigt er entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts zugleich die Einzelstrafe für die gefährliche Körperverletzung auf zwei Jahre und zehn Monate.
Rz. 6
3. Der geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch die Revision veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Unterschriften
Sost-Scheible, Cierniak, Franke, Bender, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 11003416 |
NStZ-RR 2019, 266 |