Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 03.02.2023; Aktenzeichen 2 KLs 10/22) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 3. Februar 2023
a) im Gesamtstrafenausspruch gegen den Angeklagten P. S. mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zu treffen ist;
b) im Einziehungsausspruch dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen den Angeklagten P. S. in Höhe von 31.535 €, gegen den Angeklagten M. S. in Höhe von 870 € sowie gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner in Höhe von 160.000 € angeordnet wird; die Aufrechterhaltung der Einziehungsentscheidungen aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 1. Juni 2021, dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 4. Januar 2021 und dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 3. November 2020 entfällt.
2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
3. Der Beschwerdeführer M. S. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mehreren Fällen - jeweils unter Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB - zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und elf Monaten (Angeklagter P. S. ) sowie von vier Jahren und drei Monaten (Angeklagter M. S. ) verurteilt. Zudem hat es den Wert der durch die abgeurteilten Taten erlangten Erträge eingezogen und die Einziehungsentscheidungen aus den gesamtstrafenfähigen Vorverurteilungen aufrechterhalten. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen die aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolge; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Strafkammer hat bei beiden Angeklagten die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft vorgenommen.
Rz. 3
a) Bei dem Angeklagten M. S. hat das Landgericht übersehen, dass der einbezogenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 1. Juni 2021 eine Straftat zugrunde liegt, die der Angeklagte vor dem Erlass der „noch nicht vollständig gezahlten“ Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 2. April 2020 beging. Die Tatzeiten der verfahrensgegenständlichen Delikte liegen zwischen beiden früheren Verurteilungen des Angeklagten. Damit scheidet eine Gesamtstrafenbildung der im vorliegenden Verfahren festgesetzten Einzelstrafen mit der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 1. Juni 2021 aus. Denn dieser Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem noch nicht erledigten früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Vielmehr ist der früheren Vorverurteilung eine Zäsurwirkung beizumessen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2022 - 4 StR 321/22 Rn. 3 mwN; Beschluss vom 1. April 2020 - 1 StR 615/19 Rn. 4; Beschluss vom 18. Dezember 2013 - 4 StR 356/13 Rn. 5).
Rz. 4
Der Gesamtstrafenausspruch gegen den Angeklagten M. S. hat aber dennoch Bestand. Denn der Angeklagte hat durch die rechtsfehlerhafte Gesamtstrafenbildung einen Rechtsvorteil erlangt, der ihm auf seine Revision hin nicht genommen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2016 - 2 StR 487/15 Rn. 4; Beschluss vom 7. April 2006 - 2 StR 63/06 Rn. 4). Ohne den Rechtsfehler bestünden gegen ihn zwei (Gesamt-)Freiheitsstrafen, wodurch der Angeklagte schlechter gestellt wäre. Auch dass nach den Urteilsgründen womöglich die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der zu Unrecht einbezogenen Freiheitsstrafe gemäß § 36 BtMG in Betracht gekommen wäre, kann hier keine Beschwer begründen. Denn jedenfalls der verbüßte Teil dieser Strafe von mindestens drei Monaten (vgl. dazu § 35 Abs. 1, 3 BtMG) ist auf die vom Landgericht gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten anzurechnen (§ 51 Abs. 2 StGB). Dass es deren Höhe bei Vermeidung des Rechtsfehlers niedriger als vier Jahre bemessen hätte, schließt der Senat schon mit Blick auf die Einsatzfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten aus.
Rz. 5
b) Bei dem Angeklagten P. S. hat das Landgericht zwar die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 3. November 2020, das eine im Jahr 2018 begangene Straftat betrifft, zutreffend gemäß § 55 Abs. 1 StGB in die Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen. Die (weitere) Gesamtstrafenfähigkeit der mit Urteil des Amtsgerichts Nauen vom 8. Juli 2020 verhängten Geldstrafe von 50 Tagessätzen, das ebenfalls nach den verfahrensgegenständlichen Taten ergangen ist, hat die Strafkammer aber mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint.
Rz. 6
Insoweit genügt die von ihr allein herangezogene vollständige Zahlung der Geldstrafe nicht, um deren Gesamtstrafenfähigkeit zu verneinen. Für die Gesamtstrafenlage ist vielmehr maßgeblich, welchen Vollstreckungsstand die Geldstrafe zu dem Zeitpunkt hatte, als das Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 3. November 2020 erging. Dies ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Sollte die Geldstrafe zur damaligen Zeit noch nicht erledigt gewesen sein, sind die Strafen aus beiden Verurteilungen untereinander und in der Folge auch mit den hiesigen Einzelstrafen gesamtstrafenfähig. Eine spätere Erledigung der Geldstrafe ist hingegen - wie im Rahmen von § 460 StPO - unerheblich (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 1. April 2020 - 1 StR 615/19 Rn. 6 mwN; Beschluss vom 27. Februar 2020 - 4 StR 1/20 Rn. 2).
Rz. 7
Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung der gegen den Angeklagten P. S. verhängten Gesamtstrafe, wobei die zugehörigen Feststellungen bestehen bleiben können. Der Senat kann eine Beschwer des Angeklagten nicht ausschließen. Denn bei einer Einbeziehung (auch) der Geldstrafe wären diesem die vollstreckten Tagessätze gemäß § 51 Abs. 2, 4 Satz 1 StGB auf die verhängte Strafe anzurechnen, was ihn im Ergebnis besserstellen könnte. Der Senat macht von § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch und verweist die Sache zur Bildung der Gesamtstrafe, in die jedenfalls erneut die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 3. November 2020 eingehen wird, in das Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO zurück.
Rz. 8
2. Darüber hinaus können die Einziehungsaussprüche nicht bestehen bleiben, soweit die Strafkammer nach § 55 Abs. 2 StGB die in den rechtskräftigen Vorverurteilungen enthaltenen Einziehungsentscheidungen aufrechterhalten hat.
Rz. 9
a) Sofern in einem gesamtstrafenfähigen Urteil - wie hier - der Wert von Taterträgen eingezogen wurde und auch im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen des § 73c Satz 1 StGB gegeben sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine einheitliche Einziehungsentscheidung zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2022 - 6 StR 597/21 Rn. 8; Beschluss vom 9. Februar 2021 - 6 StR 459/20 Rn. 2; Beschluss vom 1. August 2019 - 4 StR 477/18 Rn. 18). Der Senat holt dies - wie vom Generalbundesanwalt beantragt - jeweils entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nach. Dazu ist der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen bei dem Angeklagten P. S. um 3.535 €, bei dem Angeklagten M. S. um 870 € zu erhöhen; zugleich entfällt die Aufrechterhaltung der früheren Einziehungsentscheidungen. Dem steht bei dem Angeklagten P. S. nicht entgegen, dass der gegen ihn ergangene Gesamtstrafenausspruch der Aufhebung unterliegt (vgl. auch schon BGH, Beschluss vom 31. August 2022 - 4 StR 372/21). Denn die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 3. November 2020, in dem die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.535 € angeordnet war, hat notwendig in die neu zu bildende Gesamtstrafe einzugehen.
Rz. 10
b) Die vom Landgericht zudem aufrechterhaltene Anordnung in dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 4. Januar 2021, den Pkw Audi des Angeklagten M. S. einzuziehen, ist bereits erledigt. Denn mit ihrer Rechtskraft ist das Eigentum an dem als Tatmittel eingezogenen Gegenstand gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 StGB auf den Staat übergegangen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. Februar 2023 - 2 StR 433/22 Rn. 2; Beschluss vom 22. November 2022 - 5 StR 380/22). Ihre Aufrechterhaltung hat daher ebenfalls zu entfallen.
Rz. 11
3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrügen der Angeklagten keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Ri‘inBGH Dr. Dietsch ist im Urlaub und deshalb gehindert zu unterschreiben. |
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Fundstellen
Haufe-Index 15782931 |
NStZ-RR 2023, 275 |
NZWiSt 2023, 356 |