Entscheidungsstichwort (Thema)
besonders schwere sexuelle Nötigung
Verfahrensgang
LG Krefeld (Urteil vom 19.02.2010) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 19. Februar 2010 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer sexueller Nötigung, schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen sowie sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Diebstahl, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt; zugleich hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die wirksam auf den Schuldspruch in den Fällen 1, 3, 4 und 5 der Urteilsgründe sowie den gesamten Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat bezüglich des Maßregelausspruchs Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Nach den Feststellungen drang der nur geringfügig wegen eines Straßenverkehrsdelikts vorbestrafte Angeklagte jeweils in die Wohnung ihm fremder Frauen ein, um diese im Schlaf sexuell zu missbrauchen. In einem Fall führte er einen Finger in die Scheide des schlafenden Opfers ein, ansonsten berührte er die Geschädigten an deren Vagina oder Brüsten. Im letzten Fall versuchte er, mit der erwachten Frau den Oralverkehr auszuüben, ließ aber von ihr ab, nachdem sie sich seinem Ansinnen widersetzt und er mit seinem Penis ihre Wange berührt hatte. Teilweise entwendete der Angeklagte in der Wohnung vorgefundene Geldbeträge.
Rz. 3
Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben. Zwar liegen die formellen Voraussetzungen der Norm vor; das Landgericht hat jedoch einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht tragfähig begründet. Damit entfällt auch die Grundlage für die anzustellende Prognose, ob der Angeklagte infolge seines Hanges für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Rz. 4
Das Merkmal „Hang” im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster” bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt – nach sachverständiger Beratung – unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung. Diese ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz vorheriger Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; Urteil vom 17. Dezember 2009 – 3 StR 399/09, Rn. 4; Urteil vom 14. Juli 1999 – 3 StR 209/99, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 1).
Rz. 5
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es begründet den Hang u.a. damit, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten erst 28 bzw. 29 Jahre alt gewesen, habe sein Leben erkennbar augenblicksbezogen gestaltet, was sich daraus ergebe, dass er den Großteil seiner Einkünfte für den Unterhalt eines Kraftfahrzeugs sowie für Betäubungsmittel aufgewendet und sich in den Nächten herumgetrieben habe, so dass von einer ausgereiften Persönlichkeit keine Rede sein könne. Damit stützt sich das Landgericht auf Kriterien, denen – jedenfalls im vorliegenden Fall – für die Frage, ob der Angeklagte aufgrund eines eingeschliffenen inneren Zustands immer wieder neue Straftaten begeht, allenfalls eine geringe Aussagekraft zukommt; denn weder der Gebrauch des PKW noch der Konsum der Betäubungsmittel stehen in einem näheren Zusammenhang mit den begangenen Straftaten. Die Strafkammer lässt bei ihrer Bewertung zudem außer Betracht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen durch den positiven Einfluss seiner langjährigen Freundin dazu motiviert wurde, zukunftsgerichtet zu denken sowie sich beruflich neu zu orientieren, im Jahre 2005 eine Ausbildung zum Bäcker abschloss und danach in diesem Beruf arbeitete. Diese Gesichtspunkte wären in die Gesamtwürdigung ebenso einzustellen gewesen wie der Umstand, dass der Angeklagte fast alle Taten in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum von nur wenigen Wochen beging. Von Belang könnte zudem sein, seit wann die Vorstellung sexueller Erlebnisse mit schlafenden Partnern zu den Bedürfnissen des Angeklagten zählte und er Computerdateien zum Thema „Sleep Sex” konsumierte; hierzu verhalten sich die Feststellungen nicht.
Rz. 6
Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht zu Feststellungen gelangt, welche die Annahme des Hangs und der Gefährlichkeit des Angeklagten tragen. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals verhandelt und entschieden werden. Dabei wird sich empfehlen, einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen.
Unterschriften
Becker, RiBGH von Lienen befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker, Sost-Scheible, Schäfer, Mayer
Fundstellen