Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 29.03.2018) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 29. März 2018 wird für erledigt erklärt.
2. Es wird davon abgesehen, der Staatskasse die dem Beschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Beschuldigte hat mit der Beschwerde den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 29. März 2018 angefochten, mit dem seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Beobachtung angeordnet worden war (§ 81 StPO), und anschließend sein Rechtsmittel für erledigt erklärt, weil der Beschluss nicht mehr vollzogen werden soll. Diese Erledigung ist zur Klarstellung in der Entscheidungsformel auszusprechen. Für die vom Beschuldigten nunmehr beantragte Kostenentscheidung zu Lasten der Staatskasse besteht kein Anlass.
I.
Rz. 2
Der Beschuldigte wurde am 13. Februar 2018 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Eschwege vom selben Tag, letztlich ersetzt durch den Haftbefehl des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 26. Juli 2018 (10 BJs 40/18), vorläufig festgenommen und befindet sich seit diesem Tage ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Rz. 3
1. Gegenstand des derzeit vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe als strafrechtlich verantwortlicher Jugendlicher (§§ 1, 3 JGG) eine schwere staatsgefährdende Gewalttat, nämlich eine Straftat gegen das Leben gemäß § 211 StGB, die nach den Umständen bestimmt und geeignet gewesen sei, die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen, vorbereitet, indem er sich Sprengstoff verschafft und diesen verwahrt habe (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB), für eine ausländische terroristische Vereinigung, nämlich den Islamischen Staat (IS), Mitglieder geworben (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 StGB), eine Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB), die nach ihrem Inhalt geeignet gewesen sei, als Anleitung zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1 StGB) zu dienen, einer anderen Person zugänglich gemacht, wobei die Umstände ihrer Verbreitung geeignet gewesen seien, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen (§ 91 Abs. 1 Nr. 1 StGB), und in fünf Fällen es unternommen, sich den Besitz an kinderpornographischen Schriften, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergäben, zu verschaffen (§ 184b Abs. 3 Variante 1, § 53 StGB). Mit Beschluss vom 6. September 2018 hat der Senat die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet (AK 33/18).
Rz. 4
2. Am 29. März 2018 hat das Oberlandesgericht Frankfurt gemäß § 81 Abs. 3 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG zur Vorbereitung eines Gutachtens zwecks Klärung der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) des Beschuldigten zur Tatzeit dessen vorübergehende Unterbringung in der Jugendforensik in M. für die Dauer von höchstens sechs Wochen angeordnet. Diese Anordnung hat das Oberlandesgericht mit der Stellungnahme der Anstaltspsychologin vom 27. Februar 2018 begründet; danach will der Beschuldigte nach eigenen Angaben in der Justizvollzugsanstalt unter psychotischen Wahrnehmungen gelitten haben. Von optischen und akustischen Halluzinationen soll der Beschuldigte auch gegenüber der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. Lu. berichtet haben. Dies habe Anlass zur Überprüfung gegeben, ob der Beschuldigte auch zu den Tatzeiten durch wahnhaftes Erleben beeinträchtigt gewesen sei. Die Unterbringung sei auch verhältnismäßig (§ 81 Abs. 2 Satz 2 StPO): Zwar habe der Beschuldigte sich mit seiner Begutachtung durch den beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. Le. einverstanden erklärt; dass er sein Einverständnis aufrechterhalte, sei aber nicht gewährleistet. Selbst für den Fall einer Weigerung seien Erkenntnisgewinne – etwa aus Beobachtungen von Verhaltensauffälligkeiten – aus der Unterbringung zu erwarten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss vom 29. März 2018 verwiesen.
Rz. 5
Gegen diesen Beschluss hat der Beschuldigte am 5. April 2018 (sofortige) Beschwerde eingelegt. Es dürfe kein Unterbringungsbeschluss „auf Vorrat” ergehen. Weiterhin bestünden bereits gegen die Untersuchungshaft durchgreifende Bedenken.
Rz. 6
3. Am 13. und 14. April 2018 hat sich der Beschuldigte in der Justizvollzugsanstalt durch den psychiatrischen Sachverständigen begutachten lassen. Der Sachverständige Prof. Dr. Le. hat daraufhin mitgeteilt, er verfüge über eine ausreichende Tatsachengrundlage zur Erstattung des Gutachtens über die Schuldfähigkeit des Beschuldigten; eine Unterbringung nebst Beobachtung des Beschuldigten lasse keine weiteren Erkenntnisse erwarten. Daraufhin hat der Generalbundesanwalt am 17. April 2018 erklärt, den Beschluss vom 29. März 2018 nicht zu vollziehen. Der Beschuldigte hat seine Beschwerde am 22. Mai 2018 „für in der Hauptsache erledigt” erklärt und beantragt, „die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen”.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 7
Nach Erledigung der Beschwerde ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst. Mangels Feststellungsinteresses ist die Beschwerde nicht als weiter zulässig zu behandeln, um die Rechtmäßigkeit der erledigten Anordnung zu überprüfen. Auch eine Kostenentscheidung hat damit nicht mehr zu ergehen (dazu unter 1.). Es ist auch kein Ausnahmefall anzunehmen, in welchem zur Wahrung des Gebots der sachlichen Gerechtigkeit die Staatskasse die dem Beschuldigten durch die Beschwerde entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hätte (dazu unter 2.).
Rz. 8
1. a) Aufgrund des vom Generalbundesanwalt am 17. April 2018 erklärten Vollstreckungsverzichts steht fest, dass der Unterbringungsbeschluss nicht umgesetzt wird; in diesem Sinne entfaltet er auch ohne förmliche Aufhebung tatsächlich keine Wirkung mehr. Bei einer solchermaßen erledigten Anordnung entfällt die Beschwer; die Beschwerde wird gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1999 – StB 9/99, NStZ 2000, 154 zu einer durch eine Beschlagnahmebestätigung [§ 98 Abs. 2 StPO] überholten allgemeinen Beschlagnahmeanordnung; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Januar 2016 – 2 Ws 441/15, NStZ-RR 2016, 184 zu einer nach Einlegung der Beschwerde aufgehobenen Anordnung von Erzwingungshaft; KK-Zabeck, StPO, 7. Aufl., § 304 Rn. 31; KK-Paul, aaO vor § 296 Rn. 8; LR/Matt, StPO, 26. Aufl., § 304 Rn. 56; MüKoStPO/Neuheuser, § 304 Rn. 39 [für den Fall der Rücknahme]; MüKoStPO/Allgayer, § 296 Rn. 51; BeckOK StPO/Cirener, Stand 15. Oktober 2018, § 296 Rn. 10; SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 304 Rn. 53 und vor § 296 Rn. 174; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. vor §§ 296 ff. Rn. 17). Diese prozessuale Überholung hat auch der Beschwerdeführer erkannt, der mit Abgabe seiner Erledigungserklärung den Beschluss zur Unterbringung folgerichtig nicht mehr anficht.
Rz. 9
b) Da sich der Unterbringungsbeschluss vor seinem Vollzug erledigt hat, unterscheidet sich dieser Fall wesentlich von den Sachverhaltskonstellationen, in denen wegen Vollzugs der Maßnahme und eines dadurch bewirkten tiefen Grundrechtseingriffs ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen ist; in solchen Konstellationen bleibt zur Wahrung des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Beschwerde trotz ihrer Erledigung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vollzogenen Maßnahme zulässig. Solche nachträglich zu überprüfenden tiefen Grundrechtseingriffe kommen vor allem bei unter dem Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung stehenden Anordnungen in Betracht (BVerfG, Beschlüsse vom 30. April 1997 – 2 BvR 817/90 u.a., BVerfGE 96, 27, 40; vom 24. März 1998 – 1 BvR 1935/96 u.a., NJW 1998, 2131, 2132; vom 22. September 2017 – 2 BvR 455/17, juris Rn. 26). Insbesondere vollzogene Freiheitsentziehungsmaßnahmen stellen schwere Grundrechtseingriffe dar (BVerfG, Beschlüsse vom 9. September 2005 – 2 BvR 431/02, BVerfGK 6, 197 [Beugehaft nach § 70 Abs. 2 StPO]; vom 31. Oktober 2005 – 2 BvR 2233/04, BVerfGK 6, 303 [Untersuchungshaft]; vom 8. April 2004 – 2 BvR 1811/03, BVerfGK 3, 147 [Vollstreckungshaft]). Das Rehabilitationsinteresse hängt dabei weder vom konkreten Ablauf und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon ab, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 2 BvR 527/99 u.a., BVerfGE 104, 220, 235 [Abschiebungshaft]).
Rz. 10
Der – unter Richtervorbehalt (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 3 GG, § 81 Abs. 1 StPO) stehende – Erlass des Unterbringungsbeschlusses als solcher bewirkt noch keinen derart schweren tiefgreifenden Grundrechtseingriff, der einem durch den tatsächlichen Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßnahme verursachten vergleichbar wäre. Ein besonderes Rehabilitationsinteresse legt auch der Beschwerdeführer mit seinem Schriftsatz vom 22. Mai 2018 nicht dar; vielmehr geht es ihm – vergleichbar einer Entscheidung nach § 91a ZPO – um die Feststellung der Kostentragungspflicht.
Rz. 11
c) Damit bleibt es bei dem Grundsatz, dass die Zulässigkeit eines Rechtsmittels eine fortbestehende zu vollziehende Entscheidung voraussetzt. Mit der Erledigung erübrigt sich grundsätzlich eine Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren (LR/Matt, StPO, 26. Aufl., § 304 Rn. 56; BeckOK StPO/Cirener, StPO, Stand 15. Oktober 2018, § 296 Rn. 11; MüKoStPO/Neuheuser, § 304 Rn. 39; MüKoStPO/Allgayer, § 296 Rn. 51; SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 304 Rn. 53 und vor § 296 Rn. 174).
Rz. 12
2. Der Staatskasse sind nicht nach dem Gebot der sachlichen Gerechtigkeit, dem auch bei der Anwendung und Auslegung der Kostenbestimmungen ausschlaggebende Bedeutung zukommt, und dem im Kostenrecht, insbesondere in Fällen eingetretener Erledigung, heranzuziehenden Gesichtspunkt der Billigkeit (BGH, Beschlüsse vom 7. November 2002 – StB 16/02, BGHR StPO § 105 Zustellung 2; vom 29. August 2016 – StB 24/16, NJW 2016, 3192; je mwN) die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers aufzuerlegen. Denn die sofortige Beschwerde hätte in der Sache keine Aussicht auf Erfolg gehabt.
Rz. 13
a) Zwar ist sie nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 Variante 3, § 81 Abs. 4 Satz 1 StPO zulässig gewesen. Der Umstand, dass gegen den Beschuldigten bereits Untersuchungshaft vollzogen wurde, hat dem nicht entgegengestanden. Denn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine weitere gesonderte Freiheitsentziehungsmaßnahme, die ebenfalls dem Richtervorbehalt unterfällt (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG, § 81 Abs. 1 StPO) und damit anfechtbar bleiben muss (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2000 – 1 Ws 263 und 264/00, StraFo 2000, 337, 338), und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Beschuldigte mit ihrem Vollzug weitergehende Einschränkungen hätte hinnehmen müssen.
Rz. 14
b) Die Anordnung zur vorläufigen Unterbringung durch das nach § 81 Abs. 3 StPO zur Entscheidung berufene Oberlandesgericht ist rechtmäßig gewesen (§ 81 Abs. 1, 2 StPO).
Rz. 15
aa) Wegen der Begründung des dringenden Tatverdachts (§ 81 Abs. 2 Satz 1 StPO) wird auf den Haftfortdauerbeschluss vom 6. September 2018 verwiesen.
Rz. 16
bb) Die vom Beschuldigten geäußerten Wahnvorstellungen haben ausreichend Anlass gegeben, ihn auf seine Schuldfähigkeit hin zu untersuchen. Da er sich mit der Begutachtung einverstanden erklärte, war die Anordnung auch verhältnismäßig (§ 81 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Unterschriften
Gericke, Tiemann, Leplow
Fundstellen
Haufe-Index 12756692 |
NStZ-RR 2020, 270 |
StV 2021, 217 |