Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 29. Juni 2020 dahin geändert, dass die Aussetzung der Vollstreckung der ihn betreffenden Freiheitsstrafe zur Bewährung entfällt.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten H. und die Revisionen der übrigen Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
3. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten H. gegen die Versagung der Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft wird verworfen.
4. Der Angeklagte H. hat die Kosten seiner Rechtsmittel, im Übrigen jeder Beschwerdeführer die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt, den Angeklagten A. in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten, den Angeklagten S. in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, den Angeklagten H. zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten sowie den Angeklagten Ha. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Die Vollstreckung der beiden letztgenannten Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen und eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt. Von einer Entschädigung des Angeklagten H. für Untersuchungshaft hat es abgesehen. Die Angeklagten beanstanden mit ihren Revisionen die Verletzung materiellen sowie – mit Ausnahme des Angeklagten S. – formellen Rechts. Der Angeklagte H. wendet sich überdies mit sofortiger Beschwerde gegen die Versagung einer Entschädigung für die Untersuchungshaft. Die Revision des Angeklagten H. hat einen geringfügigen Teilerfolg in Bezug auf die Strafaussetzung zur Bewährung. Im Übrigen sind sämtliche Rechtsmittel unbegründet.
Rz. 2
1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat, abgesehen von der Anordnung einer Strafaussetzung zur Bewährung beim Angeklagten H., keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
Rz. 3
Ergänzend zu den umfangreichen Ausführungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat hinsichtlich der Beanstandung, Erkenntnisse aus Maßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) seien zu Unrecht verwertet worden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – 3 StR 498/16, StraFo 2018, 30 f.), dass die von den Angeklagten H. sowie Ha. in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen und auch deshalb keinen Erfolg haben. So werden etwa weder der nähere Inhalt des vom Oberlandesgericht an das Bundesministerium des Innern gerichteten Schreibens vom 16. März 2018 noch das Schreiben des Ministeriums vom 5. Februar 2019 mit einer Vielzahl beigefügter Unterlagen in teilgeschwärzter Form mitgeteilt.
Rz. 4
2. Das Urteil hat allein insofern keinen Bestand, als die Vollstreckung der gegen den Angeklagten H. verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Da sich der Angeklagte in dem Verfahren über ein Jahr lang in Untersuchungshaft befand, ist die Strafe wegen der Anrechnung des bereits erlittenen Freiheitsentzugs gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB voll verbüßt. In einer solchen Konstellation kommt eine Strafaussetzung mangels noch zu vollstreckender Strafe nicht in Betracht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. März 1982 – 3 StR 29/82, BGHSt 31, 25 ff.; Beschluss vom 22. Juni 2021 – 4 StR 83/21, juris Rn. 1 mwN; LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 Rn. 7).
Rz. 5
3. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten H. gegen die Versagung einer Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Rz. 6
Der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde steht unter den gegebenen Umständen nicht entgegen, dass eine von einem Oberlandesgericht getroffene Entscheidung angegriffen wird; denn hier handelt es sich gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO um eine Annexentscheidung zum Urteil (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. März 2021 – StB 32/20, juris Rn. 4; vom 9. Dezember 1975 – StB 28/75, BGHSt 26, 250 ff.; aA Meyer, StrEG, 11. Aufl., § 8 Rn. 49).
Rz. 7
In der Sache hat das Rechtsmittel indes keinen Erfolg, weil eine Entschädigung für die Untersuchungshaft nicht im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG der Billigkeit entspricht. Der Senat teilt nach einer Gesamtabwägung die vom Oberlandesgericht im angefochtenen Urteil näher dargelegte Einschätzung. Dabei ist vor allem von Belang, dass die Dauer der Untersuchungshaft sowie deren Konsequenzen ausdrücklich substantiell in die Strafzumessung eingeflossen sind (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 1997 – 2 StR 463/96, BGHR StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Untersuchungshaft 4; vom 11. März 1998 – 3 StR 43/98, NStZ 1998, 369; BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2004 – 2 BvR 993/02, juris Rn. 24).
Unterschriften
Schäfer, RiBGH Prof. Dr. Paul befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer, Anstötz, Kreicker, Voigt
Fundstellen
Haufe-Index 14907383 |
NStZ-RR 2022, 128 |