Entscheidungsstichwort (Thema)
Einwilligung des Betreuers in Zwangsbehandlung. Gesetzliche Grundlage
Leitsatz (amtlich)
Da die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsbehandlung mangels gesetzlicher Grundlage gegenwärtig nicht genehmigungsfähig ist, kann die durch das Betreuungsgericht genehmigte Unterbringung im Beschwerdeverfahren nicht auf die zwangsweise Heilbehandlung des Betroffenen erweitert werden (im Anschluss an BGH v. 20.6.2012 - XII ZB 99/12, FamRZ 2012, 1366 und XII ZB 130/12 - juris).
Normenkette
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Cottbus (Beschluss vom 06.09.2011; Aktenzeichen 7 T 200/11) |
AG Bad Liebenwerda (Beschluss vom 27.07.2011; Aktenzeichen 53 XVII 110/06) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Cottbus vom 6.9.2011 die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat, soweit darin die mit Einwilligung des Betreuers vorgenommene zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit Neuroleptika genehmigt worden ist. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Die notwendigen Auslagen der Betroffenen in den Rechtsmittelinstanzen werden der Staatskasse auferlegt.
Beschwerdewert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene wendet sich gegen die inzwischen aufgehobene Genehmigung ihrer Unterbringung und gegen die betreuungsrechtlich genehmigte Zwangsbehandlung mit Neuroleptika.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 27.7.2011 hat das AG die geschlossene Unterbringung der Betroffenen bis längstens 19.7.2013 genehmigt. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das LG zurückgewiesen und gleichzeitig die erteilte betreuungsgerichtliche Genehmigung dahingehend erweitert, dass mit Einwilligung des Betreuers eine zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit Neuroleptika durchgeführt werden darf. Nachdem die Betroffene hiergegen Rechtsbeschwerde eingelegt hatte, hat das AG den Beschluss vom 27.7.2011 aufgehoben. Im Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt die Betroffene nunmehr die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses, soweit darin die betreuungsgerichtliche Genehmigung auf die zwangsweise Behandlung mit Neuroleptika erweitert worden ist, und die Feststellung, dass sie durch die Entscheidungen des AG und LG in ihren Rechten verletzt worden ist.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Die Betroffene wird durch den angegriffenen Beschluss in ihren Rechten verletzt, soweit das Beschwerdegericht die erteilte betreuungsgerichtliche Genehmigung auf die zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit Neuroleptika erweitert hat.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Rz. 5
a) Die Rechtsbeschwerde ist auch ohne Zulassung statthaft, § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG.
Rz. 6
b) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, kann das Beschwerdegericht gem. § 62 Abs. 1 FamFG aussprechen, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat. Diese Vorschrift ist im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden (BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 7
Voraussetzung ist - neben einem auf die Feststellung gerichteten Antrag (vgl. BGH v. 8.6.2011 - XII ZB 245/10, FamRZ 2011, 1390 Rz. 8) -, dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung vorliegt. Das Feststellungsinteresse ist nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen solchen Eingriff (BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 389/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 9 f. m.w.N.). Gleiches gilt für die Genehmigung einer zwangsweisen Behandlung mit Neuroleptika.
Rz. 8
2. Das Beschwerdegericht hat die Voraussetzungen für die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB bejaht, weil die Betroffene nach dem schriftlichen fachpsychiatrischen Gutachten an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leide. Daher bestehe gegenwärtig die jederzeit realisierbare Gefahr, dass sich die Betroffene selbst töte oder sich anderweitig erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Das Krankheitsbild der krankheits- und behandlungsuneinsichtigen Betroffenen sei zwar chronifiziert. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten könne jedoch eine langfristige medikamentöse Behandlung im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung die Krankheit so weit zurückdrängen, dass die Betroffene die Chance erhielte, für längere Zeit ein autonomes und sozial integriertes Leben zu führen.
Rz. 9
Daher sei auch die zwangsweise Heilbehandlung der Betroffenen im Rahmen der Unterbringung durch Verabreichung von Neuroleptika entsprechend dem Antrag des Betreuers gerichtlich zu genehmigen. Die Genehmigung einer medizinischen Behandlung gegen den Willen eines untergebrachten Betroffenen sei rechtlich zulässig, weil mit § 1906 Abs. 1 BGB eine ausreichende Rechtsgrundlage für den mit einer solchen Zwangsbehandlung verbundenen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen zur Verfügung stehe. Auch sei die Genehmigung der Zwangsmedikation mit der Bezeichnung der Gruppe der erlaubten Medikamente ausreichend konkret ausgestaltet. Eine weitergehende Konkretisierung durch die Angabe von Einzelsubstanzen und Dosierungen in der gerichtlichen Genehmigung sei nicht erforderlich, weil es sich dabei um Einzelheiten des Vollzuges der genehmigten Maßnahmen durch den Betreuer im Zusammenwirken mit den Ärzten handele.
Rz. 10
3. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nur teilweise stand.
Rz. 11
a) Die Betroffene wird durch den angegriffenen Beschluss jedenfalls in ihren Rechten verletzt, weil für die Genehmigung der Zwangsbehandlung der Betroffenen derzeit keine ausreichende Rechtsgrundlage besteht.
Rz. 12
Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsgerichtlich genehmigten Unterbringung biete.
Rz. 13
Dies entsprach zwar der früheren Rechtsprechung des Senats (vgl. BGH BGHZ 166, 141 = FamRZ 2006, 615 m.w.N.). Der Senat hat jedoch diese Rechtsprechung nach Erlass der angefochtenen Entscheidung aufgegeben (BGH v. 20.6.2012 - XII ZB 99/12, FamRZ 2012, 1366 und XII ZB 130/12 - juris). Nach der geänderten Senatsrechtsprechung fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Da die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsbehandlung mangels gesetzlicher Grundlage mithin nicht genehmigungsfähig ist, kommt die Genehmigung einer entsprechenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht in Betracht, wenn die Heilbehandlung wegen der Weigerung des Betroffenen, sich behandeln zu lassen, nicht durchgeführt werden kann (vgl. BGH v. 20.6.2012 - XII ZB 99/12, FamRZ 2012, 1366 Rz. 13; v. 8.8.2012 - XII ZB 671/11, FamRZ 2012, 1634 Rz. 13).
Rz. 14
b) Der Feststellungsantrag ist hingegen unbegründet, soweit sich die Betroffene gegen die Genehmigung der Unterbringung als solche richtet. Das Beschwerdegericht hat zu Recht auch die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Betroffenen wegen Selbstgefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bejaht (zur Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vgl. BGH v. 8.8.2012 - XII ZB 671/11, FamRZ 2012, 1634 Rz. 13).
Rz. 15
aa) Die zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB verlangt keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten. Notwendig, aber auch ausreichend, ist eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten (BGH v. 13.1.2010 - XII ZB 248/09, FamRZ 2010, 365 Rz. 14 m.w.N.). Die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB muss zudem erforderlich sein (vgl. BGH v. 23.1.2008 - XII ZB 185/07, FamRZ 2008, 866, 867). Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist im Wesentlichen Sache des Tatrichters (BGH v. 13.1.2010 - XII ZB 248/09, FamRZ 2010, 365 Rz. 14).
Rz. 16
bb) Danach hat das Beschwerdegericht die Voraussetzungen einer Unterbringungsgenehmigung wegen Selbstgefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ohne Rechtsfehler festgestellt.
Rz. 17
Das Beschwerdegericht ist insoweit den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen gefolgt. Danach bestand bei der Betroffenen zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das Risiko einer Selbstgefährdung noch ungemindert fort. Außerdem hat das Beschwerdegericht aus der persönlichen Anhörung der Betroffenen den Eindruck gewonnen, dass sich die akuten Symptome der Erkrankung trotz der medikamentösen Behandlung kaum merkbar zurückgebildet hatten. Auf dieser Grundlage ist gegen die Annahme, dass bei der Betroffenen immer noch die Gefahr bestand, dass sie sich selbst töte oder sich anderweitig erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge, aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
Rz. 18
cc) Aufgrund des Vorbringens der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe sich nicht mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandergesetzt, der in der nichtöffentlichen Sitzung vom 9.9.2011 angegeben habe, dass durch die Behandlung der Betroffenen mit Neuroleptika bereits eine entscheidende Abschwächung der Wahndynamik erreicht worden sei und sich die Betroffene derzeit in einem für ihre Verhältnisse ausgezeichneten Zustand befinde, ergibt sich nichts anderes. Zwar ist im Beschwerdeverfahren grundsätzlich die weitere Entwicklung des Krankheitsverlaufs und ein darauf beruhender Erkenntnisfortschritt eines Sachverständigen zu berücksichtigen (BGH v. 18.5.2011 - XII ZB 47/11, FamRZ 2011, 1141 Rz. 14). Wenn danach die Gefahr einer Selbstschädigung durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht mehr in Betracht (BGH v. 13.1.2010 - XII ZB 248/09, FamRZ 2010, 365 Rz. 14 m.w.N.).
Rz. 19
Der Sachverständige hat zwar im Termin vom 9.9.2012 im Rahmen des von ihm mündlich erstatteten Gutachtens ausgeführt, dass die Betroffene aufgrund der stabilen Medikation derzeit in einem für ihre Verhältnisse ausgezeichneten Zustand sei. Er hat aber auch angegeben, dass die Betroffene von einer Krankheitseinsicht noch weit entfernt sei und außerhalb der Klinik auch keine Medikamente einnehmen werde. Auf Wahnthemen angesprochen, sei die Betroffene auch jetzt noch erheblich verbal aggressiv. Bei einer Konfrontation mit Menschen, gegen die sie wahnbedingt ein hohes Aggressionspotential aufgebaut habe, seien auch in ihrem jetzigen Zustand, der immer noch durch eine wahnhafte Realitätsverkennung gekennzeichnet sei, durchaus Tätlichkeiten zu befürchten. Eine gegenwärtige Suizidgefahr bestehe zwar nicht. Diese könne aber aufgrund des Krankheitsbildes der Betroffenen bei einer entsprechenden situativen Zuspitzung auch nicht ausgeschlossen werden. Zudem hat der Sachverständige das Bestehen von Alternativen zu einer Unterbringung aufgrund der absolut fehlenden Krankheitseinsicht bei der Betroffenen eindeutig verneint. Aufgrund dieser Ausführungen des Sachverständigen konnte das Beschwerdegericht davon ausgehen, dass bei der Betroffenen auch zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung die Voraussetzungen für die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorlagen.
Rz. 20
4. Einer ausdrücklichen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung über die zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit Neuroleptika bedarf es nicht. Aus dem Entscheidungsausspruch des angegriffenen Beschlusses ergibt sich eindeutig, dass die Zwangsbehandlung der Betroffenen nur im Rahmen der bereits betreuungsgerichtlich genehmigten Unterbringung erfasst sein sollte. Mit der Aufhebung des amtsgerichtlichen Unterbringungsbeschlusses ist daher insoweit auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts gegenstandslos geworden.
Fundstellen