Leitsatz (amtlich)
a) § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG räumt dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch u.a. voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (im Anschluss an BGH v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 - juris).
b) Wird dem Betroffenen das im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (im Anschluss an BGH v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 - juris).
c) Der Sachverständige hat den Betroffenen gem. § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen, wobei er vor der Untersuchung des Betroffenen bereits zum Sachverständigen bestellt sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnet haben muss (im Anschluss an BGH v. 7.8.2013 - XII ZB 691/12, FamRZ 2013, 1725).
d) Ist der behandelnde Arzt zum Sachverständigen bestellt worden, muss er dem Betroffenen deutlich zu erkennen geben, dass er von seiner Bestellung zum Sachverständigen an (auch) als Gutachter tätig sein wird.
Normenkette
FamFG §§ 37, 68 Abs. 3 S. 2, § 278
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Beschluss vom 27.07.2018; Aktenzeichen 23 T 335/18) |
AG Bielefeld (Beschluss vom 13.06.2018; Aktenzeichen 2 XVII 669/17 H) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 23. Zivilkammer des LG Bielefeld vom 27.7.2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene wendet sich gegen die für sie eingerichtete Betreuung.
Rz. 2
Nachdem das AG für die Betroffene zunächst eine vorläufige Betreuerin bestellt hatte, hat es nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen die Beteiligte zu 1) zur berufsmäßigen Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge einschließlich der damit zusammenhängenden Aufenthaltsbestimmung bestellt. Das LG hat die Beschwerde der Betroffenen ohne erneute Anhörung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 4
1. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das LG nicht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen hätte absehen dürfen.
Rz. 5
a) Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch u.a. voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (BGH, Beschl. v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 - juris Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 6
b) Gemessen hieran durfte das LG nicht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Die Anhörung der Betroffenen durch das AG ist mit wesentlichen Verfahrensmängeln behaftet.
Rz. 7
aa) Der Betroffenen ist das eingeholte Sachverständigengutachten zur Betreuungsbedürftigkeit vor dem Anhörungstermin nicht überlassen worden.
Rz. 8
(1) Wird dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (BGH, Beschl. v. 21.11.2018 - XII ZB 57/18 - juris Rz. 6 m.w.N.). Von einer Bekanntgabe des Gutachtens mit seinem vollen Wortlaut kann nur abgesehen werden, wenn zu besorgen ist, die Bekanntgabe werde die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden. In einem solchen Fall muss jedoch dem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt werden, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (BGH, Beschl. v. 17.5.2017 - XII ZB 18/17, FamRZ 2017, 1323 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 9
(2) Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, lässt sich der Akte nicht entnehmen, dass der Betroffenen das eingeholte Sachverständigengutachten zur Betreuungsbedürftigkeit überlassen worden ist. Ebenso wenig ergibt sich dies aus den von den Instanzgerichten getroffenen Feststellungen.
Rz. 10
Zwar folgt aus der Stellungnahme des Verfahrenspflegers, dass ihm das Sachverständigengutachten mit der Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses übersandt worden ist. Das vermag die Bekanntgabe des Gutachtens an die Betroffene aber schon deshalb nicht zu ersetzen, weil ausweislich des Sachverständigengutachtens nicht zu besorgen war, dass die Bekanntgabe die Gesundheit der Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde. Überdies konnte der Verfahrenspfleger das Gutachten auch erst nach Erlass der Hauptsacheentscheidung mit der Betroffenen besprechen.
Rz. 11
bb) Außerdem ist die Anhörung der Betroffenen in Abwesenheit des Verfahrenspflegers und somit verfahrensfehlerhaft erfolgt.
Rz. 12
(1) Der Verfahrenspfleger ist vom Gericht im selben Umfang an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen wie der Betroffene. Das Betreuungsgericht muss durch die Benachrichtigung des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschl. v. 16.8.2017 - XII ZB 450/16, FamRZ 2017, 1864 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 13
(2) Ausweislich des Anhörungsprotokolls des AG vom 13.6.2018 wurde der Verfahrenspfleger, der im Übrigen erst in dem angefochtenen Beschluss selben Datums in der Hauptsache bestellt worden ist, "versehentlich" nicht zu dem Anhörungstermin geladen.
Rz. 14
2. Ebenso rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass das Sachverständigengutachten verfahrensfehlerhaft erstellt worden ist.
Rz. 15
a) § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG sieht für das Betreuungsverfahren eine förmliche Beweisaufnahme vor. Danach hat der Sachverständige den Betroffenen gem. § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen, wobei er vor der Untersuchung des Betroffenen bereits zum Sachverständigen bestellt sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnet haben muss, damit der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, sinnvoll ausüben kann (vgl. BGH v. 7.8.2013 - XII ZB 691/12, FamRZ 2013, 1725 Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 16
Das schließt zwar nicht aus, dass auch der behandelnde Arzt zum Sachverständigen bestellt werden kann (vgl. BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 383/10, FamRZ 2010, 1726 Rz. 9 zur Unterbringung). Jedoch muss der Arzt dem Betroffenen in einem solchen Fall deutlich zu erkennen geben, dass er von seiner Bestellung zum Sachverständigen an (auch) als Gutachter tätig sein wird. In dieser Funktion muss er den Betroffenen untersuchen und darf sich für sein Gutachten nicht darauf beschränken, die aus der vorherigen Behandlung gewonnenen Erkenntnisse zu verwerten.
Rz. 17
b) Weder den Gerichtsakten noch dem Gutachten oder den sonst getroffenen Feststellungen lässt sich entnehmen, dass die Sachverständige diesen Anforderungen Rechnung getragen hat. Vielmehr stützt sich das Sachverständigengutachten vom 26.4.2018 auf "die Untersuchung der Betroffenen während der stationären Krankenhausbehandlung seit dem 20.03.2018". Die Sachverständige ist indes erst durch Beschluss vom 17.4.2018 als Gutachterin bestellt worden. Ob sie die Betroffene danach als Sachverständige untersucht hat, geht aus dem Gutachten nicht hervor.
Rz. 18
3. Gemäß § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen, damit dieses in einem ordnungsgemäßen Verfahren die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Rz. 19
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das - verfahrensfehlerfrei festgestellte - Fehlen einer Krankheitseinsicht für die Beurteilung, dass der Betroffene keinen freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB bilden kann, genügt (vgl. BGH v. 18.10.2017 - XII ZB 336/17, FamRZ 2018, 134 Rz. 16 f. m.w.N.).
Fundstellen
NJW 2019, 1681 |
FamRZ 2019, 724 |
JurBüro 2019, 277 |
BtPrax 2019, 111 |
JZ 2019, 346 |
JZ 2019, 348 |
MDR 2019, 437 |
FF 2019, 173 |
GesR 2019, 359 |