Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 06.12.2010) |
Tenor
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 6. Dezember 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung angeordnet (§§ 224 Abs. 1 Nr. 1, 241, 52 StGB). Die hiergegen gerichtete Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen bedrohte der Beschuldigte den Zeugen E. M. mit einem ausklappbaren Taschenmesser, das eine Länge von ca. 8 cm hatte, mit den Worten: „Ich stech dich ab!”, weil dieser sich geweigert hatte, dem Beschuldigten auf dessen Verlangen ein Bier und eine Zigarette zu geben. Sodann stach der Beschuldigte mit dem Messer in Richtung des Geschädigten, dem es jedoch gelang, den Stich mit der linken Hand abzuwehren. Dabei äußerte der Beschuldigte: „Mit mir spielt man nicht, mach das nie wieder mit mir!” Anschließend entfernte er sich. Der Geschädigte erlitt eine ca. 1,5 cm lange Wunde am linken Handrücken, die mit zwei Stichen genäht werden musste.
Rz. 3
Das Landgericht hält die Voraussetzungen des § 63 StGB für erfüllt, da die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen worden sei und krankheitsbedingt mit großer Wahrscheinlichkeit immer wieder mit schwerwiegenden Straftaten des Beschuldigten zu rechnen sei. Es hat – sachverständig beraten – eine krankhafte seelische Störung in Form einer „undifferenzierten Schizophrenie” bejaht, aufgrund derer die Einsichtsfähigkeit (UA 8) bzw. die Steuerungsfähigkeit (UA 9 Abs. 3) bzw. die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit (UA 9 aE) des Beschuldigten zur Tatzeit vollständig aufgehoben gewesen sei.
Rz. 4
2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Die Voraussetzungen der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus sind bereits deshalb nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil das Landgericht, das sich ohne eigene Erwägungen dem „medizinischen Sachverständigen” angeschlossen hat, im Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht so wiedergegeben hat, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 232 mwN). In den Urteilsgründen werden weder die „bisherigen Behandlungsmaßnahmen”, noch die „Vorgeschichte” und die „aktuelle Diagnosestellung in der Klinik H.” näher erläutert, die der Sachverständige bei seinem Gutachten wesentlich berücksichtigt hat. Unklar bleibt auch, worin die „bizarren Auffälligkeiten und Verhaltensweisen” bestanden, die der Beschuldigte zwar gegenüber dem Sachverständigen geschildert haben soll, bezüglich deren er aber „keine näheren Auskünfte und Erläuterungen abgegeben” habe. Die Erwägung, dass sich das „auffällig-ungewöhnliche Verhalten” des Beschuldigten auch in der „Art der Deliktsbegehung in den Vorverfahren” zeige, ist durch die mitgeteilten Tatumstände der Vorstrafen, bei denen offenbar eine Verminderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit nicht erwogen wurde, nicht ausreichend belegt. Insofern fehlt es insgesamt an einer nachvollziehbaren und eindeutigen Bewertung des Zustandes des Beschuldigten.
Rz. 6
b) Darüber hinaus lässt das Urteil nähere Feststellungen dazu vermissen, wie sich die Krankheit des Beschuldigten auf seine Schuldfähigkeit bei der Begehung der Tat tatsächlich ausgewirkt hat. Der Tatrichter ist aber gehalten, sich – in revisionsrechtlich nachvollziehbarer Weise – mit dieser Frage auseinanderzusetzen (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09; Senat, Beschluss vom 21. November 2007 – 2 StR 548/07). Den Urteilsgründen lässt sich hierzu lediglich entnehmen, dass der Beschuldigte dem Sachverständigen bei der Exploration geschildert hat, er habe sich vor dem Messerstich von dem Zeugen E. M. aufgrund „non-verbaler Kommunikation” angegriffen gefühlt. Daraus kann der Senat im Rahmen der ihm obliegenden rechtlichen Überprüfung des Urteils, auch vor dem Hintergrund der unzureichenden Ausführungen zum Krankheitsbild des Beschuldigten (oben a)), nicht ausreichend erkennen, ob und inwieweit die festgestellte rechtswidrige Tat in dem nach § 20 StGB erforderlichen inneren Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung stand.
Rz. 7
c) Schließlich sind die Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit nicht bedenkenfrei. Die Erwägung, das Aggressionspotential der Straftaten des Beschuldigten habe sich in der Vergangenheit „deutlich gesteigert” (UA 10), findet in den zu den Vorstrafen getroffenen Feststellungen keine hinreichende Stütze. Dies gilt gleichermaßen für die Behauptung, der Beschuldigte habe sich vor der Tat – bewusst – „bewaffnet” (UA 10), indem er das ausklappbare Taschenmesser mit sich führte.
Unterschriften
Fischer, Herr RiBGH Dr. Appl ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer, Schmitt, Krehl, Frau RinBGH Dr. Ott ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 2678480 |
NStZ-RR 2011, 241 |