Entscheidungsstichwort (Thema)
Bandendiebstahl
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22. Januar 1999, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des Bandendiebstahls in 14 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug, sowie der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig ist.
II. Auf die Revision des Angeklagten St. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn und die Mitangeklagten E. und W. betrifft, in den Schuldsprüchen dahin geändert, daß
- der Angeklagte St. des Bandendiebstahls in 10 Fällen, davon in einem Fall dreimal tateinheitlich begangen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Bandendiebstahl und in zwei Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug, des versuchten Bandendiebstahls und des versuchten Betruges,
- der Angeklagte E. des Bandendiebstahls in 16 Fällen, davon in einem Fall dreimal tateinheitlich begangen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Bandendiebstahl und in zwei Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug,
- der Angeklagte W. des Bandendiebstahls in sieben Fällen, davon in einem Fall dreimal tateinheitlich begangen und in zwei Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug
schuldig ist.
III. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
IV. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen „Bandendiebstahls in 14 Fällen, in 2 Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug”, und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten St. wegen „Bandendiebstahls in 13 Fällen, in 2 Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug, versuchten Bandendiebstahls sowie versuchten Betruges” zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Den Angeklagten E. hat es wegen „Bandendiebstahls in 19 Fällen, in 2 Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug” zur Jugendstrafe von zwei Jahren, den Angeklagten W. wegen „Bandendiebstahls in 9 Fällen, in 2 Fällen in Tateinheit mit Computerbetrug” zur Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten – jeweils mit Strafaussetzung zur Bewährung – verurteilt.
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten S. und St. die Verletzung materiellen Rechts; außerdem beanstanden sie das Verfahren. Die Rechtsmittel haben nur in geringem Umfang Erfolg; im übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Nach den Feststellungen beschloß eine Gruppe von etwa 20 jungen Männern, der auch die Angeklagten angehörten, im April 1993, ihren Lebensunterhalt durch die Begehung von Diebstählen zu bestreiten. In Ausführung dieses Vorhabens brachen sie in wechselnder Besetzung in einer Vielzahl von Fällen – jeweils unter Mitwirkung mindestens eines weiteren Bandenmitglieds – Kraftfahrzeuge auf und entwendeten aus diesen insbesondere Bargeld sowie Scheck- und Kreditkarten, die anschließend zu Abhebungen oder Einkäufen genutzt wurden, gelegentlich stahlen sie auch die Fahrzeuge selbst.
II.
Die Verfahrensbeschwerden dringen nicht durch.
Ohne Erfolg machen die Revisionen geltend, daß wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots ein Verfahrenshindernis vorliege.
1. Das Landgericht ist unter Schilderung des Verfahrensganges (UA 42) zu dem Ergebnis gelangt, daß eine von den Angeklagten nicht zu vertretende Verfahrensverzögerung von etwa vier Jahren als Folge der verspäteten Vorlage der Ermittlungsakten durch die Polizei an die Staatsanwaltschaft und einer verzögerten Anklageerhebung vorliege. Von Amts wegen zu berücksichtigende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen nach Erlaß des tatrichterlichen Urteils sind darüber hinaus weder von den Revisionen vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Die durch das Landgericht festgestellte Verletzung des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK garantierten Rechts auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit begründet kein Verfahrenshindernis (vgl. BGHSt 35, 137, 139 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 9 m.w.N.). Besondere Umstände, die den Senat dazu veranlassen könnten, das Verfahren abzubrechen und einzustellen, sind nicht gegeben. Die übermäßige, von den Angeklagten nicht verschuldete Verzögerung muß jedoch beim Rechtsfolgenausspruch wieder gutgemacht werden. Das hat das Landgericht getan:
Es hat unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG NStZ 1997, 591; BGH NStZ 1999, 181; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7 und 12) Art und Ausmaß der Verzögerung festgestellt und sodann das Maß der Kompensation durch eine Ermäßigung der an sich verwirkten Jugendstrafen konkret bestimmt. Hierbei hat es dem festgestellten Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durch eine Reduzierung der an sich verwirkten Jugendstrafe von vier Jahren auf zwei Jahre und sechs Monate beim Angeklagten S. bzw. von drei Jahren und sechs Monaten auf zwei Jahre (mit Strafaussetzung zur Bewährung) beim Angeklagten St. angemessen Rechnung getragen. Eine weitere Herabsetzung der außerordentlich milden Strafen erscheint dem Senat nicht vertretbar.
III.
Die Sachrügen haben nur in geringem Umfang Erfolg.
1. Die Annahme von Tatmehrheit in sämtlichen Fällen des Bandendiebstahls hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand:
a) In den Fällen II 7-9 der Urteilsgründe öffneten die Angeklagten St., E. und W. gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Steve Wi. auf dem Parkplatz des Hansa-Parks in Sierksdorf nacheinander gewaltsam drei Pkws verschiedener Eigentümer und entwendeten aus den Fahrzeugen Mitnehmenswertes. In den Fällen II 14 und 15 brachen die Angeklagten St. und E. hintereinander zwei auf dem Parkplatz einer Pension in Werder abgestellte Fahrzeuge auf und nahmen daraus ihnen stehlenswert Erscheinendes mit.
b) Da die Handlungen auf den beiden Parkplätzen jeweils auf einer Willensentschließung beruhten und zwischen den Betätigungen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang bestand, der das gesamte Handeln objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheinen läßt, liegt nur jeweils eine natürliche Handlungseinheit vor (vgl. BGH NStZ 1996, 493, 494). Dem steht nicht entgegen, daß sich die Angriffe gegen verschiedene Eigentümer richteten. Die Fälle II 7-9 sowie II 14 und 15 stehen somit nicht in Tatmehrheit, sondern jeweils in gleichartiger Tateinheit zueinander.
2. Darüber hinaus kann im Fall II 15 der Schuldspruch wegen vollendeten Bandendiebstahls nicht bestehen bleiben:
a) Nach den Feststellungen entnahmen hier die Angeklagten St. und E. einem von ihnen aufgebrochenen VW-Bus einen Aktenkoffer mit Geschäftsunterlagen, den sie anschließend wegwarfen, nachdem sie festgestellt hatten, daß sie für den Inhalt keine Verwendung hatten.
b) Danach kommt lediglich eine Verurteilung wegen versuchten Bandendiebstahls in Betracht; denn wenn für den Täter nur der Inhalt eines Behältnisses von Interesse ist und er sich des Behälters nach Entnahme des Inhalts entledigt, eignet er sich das Behältnis selbst nicht zu (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1975, 543; BGH, Beschluß vom 6. Mai 1999 – 4 StR 177/99). Den Inhalt eignet er sich ebenfalls nicht zu, wenn es ihm – wie hier – auf die Erlangung von Verwertbarem ankommt und er ihn sogleich als „nicht brauchbar” (UA 32) wegwirft (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1976, 16; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 242 Rdn. 19).
3. Im Fall II 21 der Urteilsgründe tragen die Feststellungen den Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB) nicht:
a) Der Angeklagte S. floh hier mit dem von ihm geführten Pkw in schneller Fahrt, da er – am Steuer eines gestohlenen Fahrzeugs – verhindern wollte, von der Polizei überprüft zu werden. Er mißachtete zunächst eine Lichtzeichenanlage, die rot zeigte. Hierdurch wurden andere Kraftfahrer im Kreuzungsverkehr gezwungen, scharf abzubremsen, um eine Kollision zu vermeiden. Im weiteren Verlauf der Fahrt überholte der Angeklagte trotz Gegenverkehrs, so daß entgegenkommende Fahrzeuge zur Vermeidung eines Zusammenpralls auf den Randstreifen ausweichen mußten.
b) Das so festgestellte vorschriftswidrige Verkehrsverhalten wird nicht von § 315 b StGB erfaßt. Nur wenn im fließenden Verkehr ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewußt zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren”, und es ihm darauf ankommt, durch diesen in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen, kommt § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB in Betracht (BGHSt 41, 231, 234; BGH NJW 1999, 3132 f.; Tröndle/Fischer aaO § 315 b Rdn. 5). Das ist jedoch nicht festgestellt.
Der Angeklagte hat sich aber wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c Abs. 1 Nr. 2 a und 2 b, Abs. 3 Nr. 1 StGB) schuldig gemacht; denn er hat grob verkehrswidrig und rücksichtslos die Vorfahrt nicht beachtet sowie falsch überholt und dadurch Leib oder Leben anderer und fremde Sachen von bedeutendem Wert (konkret) gefährdet. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, daß der Angeklagte S. die Verkehrsverstöße zumindest billigend in Kauf genommen und hinsichtlich der Gefährdung wenigstens fahrlässig gehandelt hat.
4. Da nicht zu erwarten ist, daß in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, ändert der Senat die Schuldsprüche entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die Angeklagten gegen die geänderten Schuldsprüche nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.
Gemäß § 357 StPO ist die Schuldspruchänderung in den Fällen II 7-9 auf die Mitangeklagten E. und W. und in den Fällen II 14 und 15 auf den Mitangeklagten E. zu erstrecken.
5. Trotz der Schuldspruchänderungen können die festgesetzten Strafen bestehen bleiben. Der Senat kann im Hinblick auf die Vielzahl und den erheblichen Schuldgehalt der abgeurteilten Straftaten und die für die Bemessung der Jugendstrafen maßgeblichen erzieherischen Gründe (UA 15 ff., 19 ff., 46 ff.) – auch in Bezug auf die Mitangeklagten E. und W. – ausschließen, daß die Jugendkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung trotz der Strafbarkeit (nur) wegen (tateinheitlich begangenen) Versuchs im Fall II 15 und des niedrigeren Strafrahmens in § 315 c Abs. 1, 3 StGB (Fall II 21) auf geringere Jugendstrafen erkannt hätte. Soweit lediglich das Konkurrenzverhältnis anders zu beurteilen ist, wird dadurch der Unrechtsgehalt der Taten nicht berührt (vgl. BGH NStZ 1996, 296, 297).
Zum Schuldgehalt der Diebstahlstaten ist im übrigen zu bemerken:
Das Landgericht hat festgestellt, daß die Angeklagten und ihre Mittäter in allen Fällen die Bandendiebstähle unter den in § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Voraussetzungen begangen haben. Daß die Angeklagten nicht wegen schweren Bandendiebstahls nach § 244 a StGB, sondern nur wegen Bandendiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.) verurteilt worden sind, ist rechtsfehlerhaft, beschwert die Angeklagten aber nicht.
§ 244 a StGB gilt auch für Jugendbanden (s. LG Koblenz NStZ 1998, 197 und den diese Entscheidung gemäß § 349 Abs. 2 StPO bestätigenden Beschluß des BGH vom 20. August 1997 – 2 StR 306/97). Die von der Jugendkammer vorgenommene Auslegung der Vorschrift – sie sei nach der „Intention des Gesetzgebers” auf Jugendbanden nicht anwendbar (UA 44) – ist mit deren Wortlaut nicht vereinbar. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und ihr Normzweck lassen eine „Intention des Gesetzgebers”, Jugendbanden aus dem Anwendungsbereich des § 244 a StGB herauszunehmen, nicht erkennen: § 244 a StGB wurde durch das am 22. September 1992 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992 (BGBl. I 1302) in das StGB eingefügt. Der Gesetzgeber erhoffte sich durch die gegenüber dem Vergehenstatbestand des („einfachen”) Bandendiebstahls gesteigerte Strafdrohung eine erhöhte Abschreckungswirkung und durch die Ausgestaltung der Vorschrift als Verbrechenstatbestand zugleich eine Vorverlagerung der Strafbarkeitsschwelle (vgl. BTDrucks. 12/989 S. 25; Zopfs GA 1995, 320; Eser in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 244 a Rdn. 1). Er hat das Problem der Anwendung auf Jugend-Diebesbanden erkannt und u.a. deswegen davon abgesehen, den – ohne erschwerte Umstände begangenen – Bandendiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.) allgemein als Verbrechenstatbestand umzuge- stalten, weil „dann auch Gruppen von Straftätern erfaßt würden, die kaum dem Bereich der Organisierten Kriminalität zugerechnet werden können (z.B. Jugendliche, auch Schüler, die bandenmäßig Ladendiebstähle begehen)” (BTDrucks. a.a.O.). Der Verbrechenstatbestand des schweren Bandendiebstahls sollte daher an zusätzliche Kriterien geknüpft werden. Wenn aber diese erfüllt sind und der Bandendiebstahl etwa unter den in § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Voraussetzungen begangen wird, findet § 244 a StGB auf alle Diebesbanden – auch Jugendbanden – Anwendung (kritisch Glandien NStZ 1998, 197, 198; Kindhäuser in NK-StGB (1998) § 244 a Rdn. 2).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StGB. Der nur geringfügige Erfolg der Revisionen rechtfertigt es nicht, die Angeklagten teilweise von den durch ihr Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 473 Rdn. 25 f.). Eine Kostenfreistellung nach den §§ 74, 109 Abs. 2 JGG ist nicht veranlaßt.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540907 |
wistra 2000, 382 |
DAR 2000, 531 |
NZV 2001, 134 |
VRS 2000, 263 |
StV 2000, 670 |