Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 23.11.2018) |
Tenor
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 23. November 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht. Während die Verfahrensrüge nicht weiter ausgeführt ist und sich deshalb als unzulässig erweist (§ 344 Abs. 2 StPO), führt die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils zu dessen Aufhebung.
Rz. 2
1. Das Landgericht ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:
Rz. 3
Der Beschuldigte, der seit 2009 an einer Psychose leidet und Amphetamin und Cannabis konsumiert, beschloss, sich mit dem Verkauf von Betäubungsmitteln eine Einnahmequelle von einiger Dauer zu schaffen, um seinen Lebensunterhalt und seinen Eigenkonsum zu finanzieren. Zu diesem Zweck eröffnete er in seiner Wohnung einen sogenannten Coffee-Shop, in dem er insbesondere Haschisch und Marihuana vorwiegend jüngeren Personen anbot. Vor diesem Hintergrund bewahrte er im Zeitraum zwischen dem 1. März 2018 und 14. April 2018 130 g Marihuana „durchschnittlicher Qualität” und 10 g Haschisch in seiner Wohnung auf, die zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt waren (Tat II. 1. der Urteilsgründe). Außerdem erwarb er an einem nicht festgestellten Tag vor dem 16. Mai 2018 40 g Cannabisblüten. Bei einer Wohnungsdurchsuchung am 16. Mai 2018 wurden eine Restmenge von 47,6 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 7,38 g THC sowie 9,8 g Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 0,99 g THC gefunden, die „überwiegend” für den Verkauf bestimmt waren (Tat II. 2. der Urteilsgründe). Zum Zeitpunkt dieser Taten, die die Strafkammer jeweils als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet hat, war die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten nicht ausschließbar aufgehoben.
Rz. 4
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hält die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Auch die Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel und „Betäubungsmittelutensilien” erweist sich als rechtsfehlerhaft.
Rz. 5
a) Die Feststellungen zu den Anlasstaten belegen schon nicht, dass der Beschuldigte in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel trieb.
Rz. 6
aa) Bei dem vom Landgericht angenommenen Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist es zur Bestimmung des Tatbestandsmerkmals „in nicht geringer Menge”, durch das allein diese Vorschrift sich von der wesentlich milderen Norm des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG unterscheidet, erforderlich, die nicht geringe Menge durch Angabe des Wirkstoffgehalts des Betäubungsmittels genau, notfalls durch Schätzung unter Berücksichtigung des Zweifelsatzes, festzustellen (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 15; Beschlüsse vom 18. März 1992 – 3 StR 40/92, BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 4 Nicht geringe Menge 7; vom 31. Mai 2016 – 3 StR 138/16, StV 2017, 293).
Rz. 7
bb) Dem werden die Feststellungen im Fall II. 1. der Urteilsgründe nicht gerecht. Das Landgericht teilt lediglich mit, dass die 130 g Haschisch von „mittlerer Qualität” gewesen seien. Die Menge des Wirkstoffgehalts ergibt sich daraus nicht. Auch im Fall II. 2. der Urteilsgründe belegen die Feststellungen den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht. Der Wirkstoffgehalt der am 16. Mai 2018 sichergestellten Betäubungsmittel betrug zwar 8,37 g THC, so dass der Beschuldigte eine nicht geringe Menge an Betäubungsmitteln besaß. Da diese Menge aber lediglich „überwiegend” zum Verkauf bestimmt war, versteht sich angesichts der nur geringfügigen Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge von 7,5 g THC (BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8) nicht von selbst, dass der Beschuldigte wenigstens eine Menge von 7,5 g THC zum Handeltreiben bestimmt hatte.
Rz. 8
b) Auch im Übrigen sind die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht festgestellt.
Rz. 9
aa) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf – neben der höhergradigen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher rechtswidriger Taten – nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dies setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 26 f.; Beschluss vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 3 StR 407/15, NStZ 2016, 144 f.; Urteil vom 10. Januar 2019 – 1 StR 463/18, juris Rn. 15).
Rz. 10
bb) Gemessen hieran ist nicht sicher festgestellt, dass der Beschuldigte schuldunfähig oder jedenfalls nur eingeschränkt schuldfähig war. Das Landgericht hat nach sachverständiger Beratung festgestellt, dass der Beschuldigte an einer psychotischen Störung leidet. Aufgrund dieser Erkrankung, die „mittlerweile” sämtliche Ebenen seines Denkens, Fühlens und Handelns erfasse, sei der Beschuldigte zu einer Realitätsprüfung nicht mehr in der Lage. Vielmehr sei er fest seinem Gedankengut verhaftet, dass der Besitz von Betäubungsmitteln frei und er zu deren Abgabe berechtigt sei. Deshalb hat das Landgericht – auch insoweit der Sachverständigen folgend – angenommen, dass der Beschuldigte zu den jeweiligen Tatzeitpunkten nicht ausschließbar unfähig gewesen sei, das Unrecht der Taten einzusehen.
Rz. 11
Danach ist nicht festgestellt, dass die Unrechtseinsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Taten sicher aufgehoben war. Mit der Annahme, dass die Einsichtsfähigkeit im Zeitpunkt der Taten nicht ausschließbar aufgehoben war, ist die positive Feststellung zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit indes nicht verbunden. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kann der Senat hier auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsfeststellungen nicht die Gewissheit gewinnen, dass die Strafkammer davon ausgegangen ist, der Beschuldigte habe über keinerlei Unrechtsbewusstsein verfügt. Im Urteil wird vielmehr ausdrücklich mehrfach darauf verwiesen, dass das „völlig fehlende Unrechtsbewusstsein” des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Taten nicht auszuschließen sei (UA S. 14, 16). Dies genügt zur sicheren Feststellung der Schuldunfähigkeit nicht (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 437/09, juris Rn. 3 f.; Urteil vom 25. Februar 2010 – 4 StR 596/09, juris Rn. 15; Beschluss vom 10. Februar 2005 – 3 StR 3/05, juris Rn. 3).
Rz. 12
Sollte das Landgericht davon ausgegangen sein, die Fähigkeit des Beschuldigten, das Unrecht der Taten einzusehen, sei bei deren Begehung jedenfalls erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB), kann auch darauf die sichere Feststellung einer mangelnden oder eingeschränkten Schuldfähigkeit nicht gestützt werden. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Täter trotz generell verminderter Einsichtsfähigkeit die Einsicht im konkreten Fall hatte oder nicht. Erkannte er das Unrecht seiner Tat, handelte er – unbeschadet seiner eingeschränkten Einsichtsfähigkeit – voll schuldhaft; im anderen Falle kann § 21 StGB, der insoweit nur eine Sonderregelung des Verbotsirrtums darstellt, dagegen nur angewendet werden, wenn dem Täter das Fehlen der Unrechtseinsicht vorzuwerfen ist. Kann ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden, greift § 20 StGB ein mit der Folge, dass eine Bestrafung ausscheidet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 2. Februar 1966 – 2 StR 529/65, BGHSt 21, 27, 28 f.; Beschluss vom 10. Februar 2005 – 3 StR 3/05, juris Rn. 3 mwN). Allein auf die Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit kann eine Unterbringung nach § 63 StGB deshalb nicht gestützt werden (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2005 – 3 StR 3/05, juris Rn. 3).
Rz. 13
c) Schließlich hat auch die Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel und „Betäubungsmittelutensilien” keinen Bestand. Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen als sonstige Maßnahmen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB kommen dagegen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht (§ 435 StPO), wenn die Voraussetzungen des § 74b Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. März 2016 – 4 StR 39/16, StraFo 2016, 256; vom 12. Dezember 2017 – 3 StR 558/17, NStZ 2018, 559 Rn. 3; vom 8. Februar 2018 – 3 StR 549/17, juris Rn. 13). Der insoweit gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche gesonderte Antrag ist nicht gestellt worden, so dass es für die Einziehung an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt.
Unterschriften
VRiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Spaniol, Spaniol, Wimmer, Tiemann, Berg
Fundstellen
Haufe-Index 13485474 |
NStZ-RR 2019, 385 |
NStZ-RR 2021, 334 |
StV 2020, 371 |