Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 10.03.2009) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 10. März 2009 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass drei Jahre der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Außerdem hat es ein Tatwerkzeug eingezogen. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
Rz. 2
1. Zum Schuld- und Strafausspruch hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Durch die – auf rechtlich bedenklichen Erwägungen beruhende – Annahme erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit ist der Angeklagte in diesem Zusammenhang nicht beschwert. Dass eine erneute Entscheidung zur Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten kommen könnte, schließt der Senat aus.
Rz. 3
2. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie setzt u. a. die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes des Täters voraus, der dazu führte, dass er – sicher feststehend – die Tat zumindest mit erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beging (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27; Fischer, StGB 56. Aufl. § 63 Rdn. 6). Die Anordnung bedarf stets einer besonders sorgfältigen Prüfung und Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
Rz. 4
a) Bereits die Begründung der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit begegnet durchgreifenden Rechtsbedenken.
Rz. 5
aa) So lassen schon die Formulierungen, mit denen die diesbezügliche Urteilspassage eingeleitet wird „Der Sachverständige hat ausgeführt, bei dem Angeklagten habe im Tatzeitpunkt eine schwere andere seelische Abartigkeit von solcher Erheblichkeit vorgelegen, dass dadurch seine Steuerungsfähigkeit gemindert aber nicht aufgehoben gewesen sei.” – UA S. 7 f.), besorgen, das Landgericht habe die grundlegende Aufteilung der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit zwischen dem Sachverständigen und dem Richter außer Acht gelassen. Aufgabe des Sachverständigen ist es festzustellen, ob bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorgelegen und welche Auswirkungen sie zum Tatzeitpunkt auf die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht und zu einsichtsgemäßem Verhalten gehabt hat. Ob der Befund unter eines der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB zu subsumieren ist, entscheidet nach sachverständiger Beratung der Richter. Gleiches gilt für die sich daran anschließende Frage, ob dadurch die Schuldfähigkeit des Angeklagten erheblich eingeschränkt ist (BGH NStZ-RR 2006, 73 unter Hinweis auf Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57, 58; vgl. BVerfG NStZ-RR 2007, 29 f.).
Rz. 6
bb) Zudem sind die Darlegungen des Landgerichts insoweit widersprüchlich, als im weiteren Verlauf der Begründung die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit gerade nicht auf eine schwere andere seelische Abartigkeit gestützt wird: Zwar habe nach Ansicht des Sachverständigen, der das Landgericht folgt, eine „paranoide Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung und einer zum Tatzeitpunkt vorliegenden … depressiven Symptomatik” beim Angeklagten zu „Beeinträchtigungen seines sozialen Funktionsniveaus” geführt, die aber „nicht dauerhaft den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit” erreicht, sich zur Tatzeit jedoch zugespitzt hätten. Der Angeklagte habe sich vielmehr wegen einer Provokation durch das Tatopfer „in einem Affektzustand befunden”. Die Steuerungsfähigkeit sei „aufgrund einer affektiven Entgleisung” beeinträchtigt gewesen. Aufgrund dieser Widersprüche ist bereits nicht erkennbar, welches Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB das Landgericht seiner Schuldfähigkeitsbeurteilung zu Grunde gelegt hat.
Rz. 7
cc) Hinzu kommt, dass der Tatrichter bei der Entscheidung über das Vorliegen eines der Eingangsmerkmale nicht nur die Darlegungen des Sachverständigen zu überprüfen hat, sondern auch verpflichtet ist, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 74; Fischer aaO § 20 Rdn. 65 m. w. N.). Auch hieran fehlt es bezüglich beider angesprochener Eingangsmerkmale.
Rz. 8
Hinsichtlich der schweren anderen seelischen Abartigkeit gilt: Für die angenommene paranoide Persönlichkeitsstörung ergibt sich aus dem Urteil lediglich der Hinweis, der Angeklagte habe bei einem Persönlichkeitstest (MMPE-2) „erhebliche erhöhte Werte im Bereich der Skala Paranoia” aufgewiesen. Solche Punktewerte sind isoliert nur sehr begrenzt aussagekräftig (vgl. Boetticher/Dittmann/Nedopil/Nowara/Wolf NStZ 2009, 478, 479). Über die Diagnose einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, die für sich genommen ebenfalls nicht aussagekräftig ist (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2008, 138), enthält das Urteil keine weitergehenden Feststellungen. Dies wäre erforderlich gewesen. Persönlichkeitsstörungen sind dauerhafte, auffällige, häufig schon im Kindes- oder Jugendalter auftretende Verhaltensmuster, die zumeist mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden sind (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt, Internationale Klassifikation psychischer Störungen 5. Aufl. S. 227). Der vom Landgericht festgestellte berufliche und soziale Werdegang des bislang unbestraften Angeklagten enthält dazu keine besonderen Hinweise.
Rz. 9
Hinsichtlich einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung fehlt es an einer Erörterung der für oder gegen einen Affekt sprechenden Umstände (vgl. Fischer aaO § 20 Rdn. 32 f.).
Rz. 10
b) Aufgrund der vorgenannten Begründungsmängel wird schließlich auch nicht deutlich, ob die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit durch einen länger andauernden Zustand hervorgerufen wurde. Zwar kann eine Persönlichkeitsstörung eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auch dann rechtfertigen, wenn sie nicht unmittelbar tatauslösend, gleichwohl Ursache für den schuldmindernden Affekt war, der für sich genommen eine Unterbringung nach § 63 StGB nicht begründen kann. Voraussetzung ist jedoch auch in einem solchen Fall, dass die Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Abartigkeit zu bewerten ist, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 15). Dies hat das Landgericht aber gerade nicht festgestellt.
Rz. 11
c) Gleichermaßen ist die Gefährlichkeit des Angeklagten nicht belegt. Insoweit stellt das Landgericht erneut auf die nicht rechtsfehlerfrei festgestellte „paranoide Persönlichkeitsstörung” des Angeklagten ab.
Rz. 12
d) Über die Verhängung der Maßregel muss deshalb erneut entschieden werden. Der neue Tatrichter sollte erwägen, einen anderen Sachverständigen heranzuziehen.
Rz. 13
3. Mit der Aufhebung der Maßregelanordnung kommt es auf die weiteren Bedenken nicht an, die der Generalbundesanwalt gegen die Anordnung der Vollstreckungsreihenfolge zutreffend erhoben hat. Sie wird der neue Tatrichter zu berücksichtigen haben, sofern er die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus feststellt.
Unterschriften
Becker, Pfister, von Lienen, Sost-Scheible, Schäfer
Fundstellen