Verfahrensgang
LG Kleve (Urteil vom 01.03.2021; Aktenzeichen 120 KLs – 204 Js 10/19 – 38/20) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 1. März 2021 aufgehoben,
soweit es den Angeklagten H. betrifft, im
aa) Schuldspruch in den Fällen 3 bis 5 unter B. der Urteilsgründe,
bb) gesamten Strafausspruch,
cc) Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, der den Betrag von 5.000 EUR übersteigt;
jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten;
- soweit das Urteil den Angeklagten S. betrifft; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der jeweiligen Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier tateinheitlichen Fällen sowie wegen vier weiterer Fälle des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat den Angeklagten S. des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in drei Fällen schuldig gesprochen und mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren belegt. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet, gegen den Angeklagten H. in Höhe von 8.000 EUR, gegen den Angeklagten S. in Höhe von 3.000 EUR. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die sachlichrechtliche Nachprüfung des allein den Angeklagten H. betreffenden Schuldspruchs in den Fällen 1 und 2 (unter B. der Urteilsgründe) hat aus den in der Antragsschrift der Bundesanwaltschaft dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
Rz. 3
2. Die Verurteilung beider Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in den Fällen 3 bis 5 (unter B. der Urteilsgründe) begegnet hingegen durchgreifenden materiellrechtlichen Bedenken.
Rz. 4
a) Insoweit hat das Landgericht aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 5
Der Angeklagte H. schloss sich spätestens im September 2018 mit mindestens zwei weiteren Personen zusammen, um auf unbestimmte Dauer iranische Staatsangehörige gegen Bezahlung mittels erschlichener Geschäftsvisa für Kurzaufenthalte in die Bundesrepublik Deutschland zu verbringen. Nach der Tatbegehung in den Fällen 1 und 2 trat spätestens im November 2019 der Angeklagte S. dem Personenzusammenschluss bei.
Rz. 6
In Änderung des Modus Operandi gingen die Beteiligten dazu über, aufenthaltstitelpflichtige iranische Staatsangehörige gegen Bezahlung mittels „Bordkarten Swapping” auf dem Luftweg aus Teheran über Istanbul nach Deutschland „einzuschleusen”. Zu diesem Zweck reiste S. im November 2019 (Fall 3), Dezember 2019 (Fall 4) und Januar 2020 (Fall 5) nach Istanbul und tauschte im Transitbereich des Flughafens seine Bordkarte nach Deutschland mit derjenigen einer zeitgleich aus dem Iran angereisten Person. H. stand währenddessen in Kontakt mit beiden. Nach dem Tausch flog die aus dem Iran angereiste Person unter Verwendung der ihr überlassenen Bordkarte nach Deutschland. Am Flughafen in Stuttgart bzw. Düsseldorf konnte sie bei der Einreisekontrolle keinen zur Einreise berechtigenden Aufenthaltstitel vorweisen und stellte einen Asylantrag. Die auf diese Weise „geschleusten” drei iranischen Staatsangehörigen hatten jeweils um die 10.000 EUR an einen sich im Iran aufhaltenden Partner der Angeklagten gezahlt. Pro an den deutschen Flughafen verbrachter Person erhielt jeder Angeklagte mindestens 1.000 EUR.
Rz. 7
b) Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, vermögen diese Feststellungen die Schuldsprüche des (dreifachen) banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b, § 97 Abs. 2 AufenthG nicht zu tragen.
Rz. 8
Mit § 96 Abs. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber die nach den allgemeinen Regeln als Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) strafbare Beteiligung an den in dieser Vorschrift genannten einzelnen Taten des § 95 AufenthG zu selbständigen, in Täterschaft (§ 25 StGB) begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Teilnehmer zugleich eines der in § 96 Abs. 1 AufenthG geregelten Schleusermerkmale erfüllt (s. BGH, Urteil vom 14. November 2019 – 3 StR 561/18, NStZ-RR 2020, 184). Das Einschleusen von Ausländern setzt somit eine rechtswidrige Tat desjenigen voraus, den der Täter anstiftet oder dem er Hilfe leistet.
Rz. 9
In den Fällen 3 bis 5 sind dem Urteil solche Haupttaten im Sinne der allgemeinen Regeln nicht zu entnehmen, insbesondere nicht, dass – wie das Landgericht angenommen hat (UA S. 25) – die iranischen Staatsangehörigen nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unerlaubt einreisten. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts lag weder eine Einreise vor, noch fehlte der erforderliche Aufenthaltstitel.
Rz. 10
aa) Die Strafkammer hat nicht dargetan, dass, gegebenenfalls wann und wie die iranischen Staatsangehörigen in den Fällen 3 bis 5 in die Bundesrepublik Deutschland einreisten. Das Urteil verhält sich nicht zum Fortgang des konkreten Geschehens, nachdem sie die Grenzkontrolle erreicht hatten. Aus den zu diesen Fällen getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass zuvor noch keine Einreise stattfand. Im Einzelnen:
Rz. 11
Die Einreise ist in § 13 AufenthG definiert. Danach ist zwischen dem Grenzübertritt an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle und demjenigen außerhalb einer solchen zu unterscheiden (s. BeckOK AuslR/Hohoff, 30. Ed., § 95 AufenthG Rn. 30; Winkelmann/Stephan in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 44). An einer zugelassenen Grenzübergangsstelle ist ein Ausländer nach § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erst eingereist, wenn er die Grenze überschritten und jene passiert hat. Für die Einreise auf dem Luftweg ist zu differenzieren zwischen Flügen, die von einem Schengenstaat kommen, mithin Binnenflügen im Sinne des Art. 2 Nr. 3 der Verordnung (EU) Nr. 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex [SGK]), und Flügen, die von einem Drittstaat kommen. Da im Fall eines Binnenflugs der Flughafen nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. b SGK als Binnengrenze gilt, findet bei einer derartigen Einreise aus einem Schengenstaat eine Grenzkontrolle nicht statt. Der Ausländer ist in diesem Fall nach § 13 Abs. 2 Satz 3 AufenthG mit Betreten des Bundesgebiets am Flughafen eingereist. Bei einem aus einem Drittstaat kommenden Flug gilt demgegenüber der jeweilige Flughafen gemäß Art. 2 Nr. 2 SGK als Außengrenze. Das hat zur Folge, dass sich am Flughafen die Grenzübergangsstelle im Sinne von Art. 2 Nr. 8 SGK befindet und es für die Einreise bei der Regelung des § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG verbleibt (s. BGH, Urteile vom 26. Februar 2015 – 4 StR 233/14, BGHSt 60, 205 Rn. 21; vom 26. Februar 2015 – 4 StR 178/14, NStZ-RR 2015, 184, 186; Beschluss vom 28. April 2015 – 3 StR 86/15, BGHR AufenthG § 96 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 4; Winkelmann/Kolber in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 13 AufenthG Rn. 10).
Rz. 12
Hier starteten die Flugzeuge, mit denen die zu „schleusenden” Personen landeten, in der Türkei, also einem Drittstaat. Eine Einreise im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG hätte deshalb jeweils erst mit dem – vom Landgericht nicht festgestellten – Passieren der Grenzübergangsstelle, der Grenzkontrolle, vorgelegen.
Rz. 13
bb) Selbst wenn dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe das für die Tatbestandsverwirklichung erforderliche Passieren der Grenzübergangsstelle für jeden der Fälle 3 bis 5 entnommen werden könnte (vgl. UA S. 27, 30), wäre nicht festgestellt, dass die Einreise ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel erfolgt wäre.
Rz. 14
Nach den hierzu getroffenen Feststellungen beantragten die iranischen Staatsangehörigen jeweils sogleich bei der Einreisekontrolle Asyl. Insoweit kommt in Betracht, dass ihnen die – zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollendete – Einreise gestattet wurde (§ 18a Abs. 6 AsylG). Dies liegt jedenfalls nicht fern, weil nicht ersichtlich ist, wie es ihnen sonst gelungen sein könnte, über die Grenzkontrolle einzureisen. Eine solche Gestattung gilt als Sondertatbestand, durch den die allgemeinen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes über die Anforderungen an eine erlaubte Einreise modifiziert werden (s. Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, 3. Update August 2021, § 14 AufenthG Rn. 29; BeckOK AuslR/Hohoff, 30. Ed., § 95 AufenthG Rn. 33); wird sie erteilt, ist ein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht erforderlich (s. Nr. 14.1.2.1.1.5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Inneren vom 26. Oktober 2009 [GMBl. S. 877]; Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 4 AufenthG Rn. 30).
Rz. 15
3. Die rechtsfehlerhaften Schuldsprüche in den Fällen 3 bis 5 entziehen den hierfür festgesetzten Einzelstrafen und den Gesamtstrafen die Grundlage. Auch die in den Fällen 1 und 2 gegen den Angeklagten H. verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben; denn sie werden von dem dargelegten Rechtsfehler erfasst. Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung für jede Tat des Angeklagten H. strafschärfend berücksichtigt, er habe den Angeklagten S. aus einer diesem übergeordneten Position in der Bandenstruktur heraus in Unrecht verstrickt. Da sich dessen Verurteilung – wie ausgeführt – insgesamt als rechtsfehlerhaft erweist, kann dem Angeklagten H. nicht straferschwerend angelastet werden, er habe ihn zur Tatbegehung veranlasst.
Rz. 16
4. Die Entscheidungen über die Einziehung des Werts von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c StGB) haben keinen Bestand, soweit sie auf der von dem Landgericht rechtsfehlerhaft angenommenen Strafbarkeit der Angeklagten in den Fällen 3 bis 5 beruht. Die – verbleibende – gegen den Angeklagten H. angeordnete Einziehung eines Geldbetrags von 5.000 EUR in den Fällen 1 und 2 hält demgegenüber sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 17
5. Im dargelegten Umfang unterliegt das Urteil der Aufhebung. Die insoweit getroffenen Feststellungen werden indes von dem Rechtsfehler nicht berührt und bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Weitergehende Feststellungen, die den bestehenden nicht widersprechen, sind möglich und hinsichtlich des Fortgangs des Geschehens an den Grenzkontrollen des jeweiligen Flughafens in den Fällen 3 bis 5 geboten.
Unterschriften
Schäfer, Berg, Anstötz, Kreicker, Voigt
Fundstellen
Haufe-Index 14945658 |
NStZ 2022, 239 |
NStZ-RR 2022, 5 |
StV 2022, 524 |