Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). Erteilung eines Erbscheins nach der am 8. März 1977 in B. verstorbenen Frau Ingrid Klara Martha P., geb. D.
Leitsatz (amtlich)
- § 28 Abs. 2 FGG setzt voraus, daß die Entscheidung von der abgewichen werden soll, auf einer anderen Beurteilung der streitigen Rechtsfrage beruht; in dieser Entscheidung ausgesprochene Empfehlungen reichen dazu nicht aus.
- Eine Vorlagepflicht besteht auch, wenn ein Oberlandesgericht von einer Entscheidung des Reichsgerichts oder von einer auf weitere Beschwerde ergangenen Entscheidung eines Oberlandesgerichts aus der Zeit vor 1950 abweichen will (Bestätigung von BGHZ 5, 344; 8, 23).
- In einem gemeinschaftlichen Testament kann mit einer Wiederverheiratungsklausel angeordnet werden, daß der Längerlebende zugleich auflösend bedingter Vollerbe und aufschiebend bedingter Vorerbe sein soll. Stirbt dann der Längerlebende, ohne wieder geheiratet zu haben, so ist seine Stellung als Vollerbe endgültig geworden.
Normenkette
FGG § 28 Abs. 2; BGB §§ 2075, 158 Abs. 2
Tenor
Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3) gegen den Beschluß der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 15. November 1984 wird zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 430.000 DM.
Gründe
1.
Die Erblasserin und ihr Ehemann errichteten am 28. April 1976 zur Niederschrift eines Notars folgendes gemeinschaftliche Testament:
"§ 1
... wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein. Der Überlebende soll über den gesamten Nachlaß verfügen.
§ 2
Sollte eine Verfügung des Längstlebenden nicht erfolgen, so soll unser Sohn Frank ... Erbe des Längstlebenden sein. Die Erbschaft soll er jedoch erst nach Vollendung seines 25. Lebensjahres antreten können. Bis zur Erreichung dieses Alters bestimmen wir Herrn H.M. zum Nachlaßverwalter. ...
§ 3
Wenn der Überlebende von uns wieder heiratet, erhält er den gesetzlichen Erbteil als Vorerbe. Wegen des übrigen Nachlasses des Erstversterbenden tritt die in § 2 getroffene Anordnung ein. ..."
Die Ehefrau starb am 8. März 1977, der Ehemann am 22. April 1978, ohne wieder geheiratet zu haben. Über seinen Nachlaß wurde das Konkursverfahren eröffnet.
Das Amtsgericht Bremen-Blumenthal erteilte am 27. Oktober 1978 einen Erbschein, wonach die Erblasserin von ihrem Ehemann als Vorerben und von ihrem Sohn Frank als Nacherben beerbt worden ist. Es hat dies im Wege der Auslegung aus dem Testament entnommen.
Die Beteiligte zu 1) ist Gläubigerin einer titulierten Forderung gegen den Nachlaß des Ehemannes. Ihren Antrag auf Einziehung des Erbscheins lehnte das Amtsgericht ab. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 4) (des Konkursverwalters über den Nachlaß des Ehemannes) wies das Landgericht das Amtsgericht an, den Erbschein als unrichtig einzuziehen. Es nahm an, es handele sich um ein Berliner Testament, durch das die Eheleute sich in erster Linie gegenseitig zu Vollerben eingesetzt und für den Fall der Wiederverheiratung eine bedingte Nacherbeneinsetzung angeordnet hätten. Seit dem Todestag des Ehemannes stehe fest, daß die nur für den Fall der Wiederverheiratung angeordnete Nacherbfolge nicht mehr gelte, der Ehemann vielmehr Vollerbe der Erblasserin geworden sei. Der Erbschein, der den Ehemann als befreiten Vorerben ausweise, sei deshalb unrichtig.
Hiergegen erhob der Beteiligte zu 3) (der Sohn der Erblasserin) weitere Beschwerde mit dem Ziel, den Beschluß des Amtsgericht wieder herzustellen.
2.
Das Oberlandesgericht Bremen möchte der weiteren Beschwerde stattgeben. Es sieht sich hieran jedoch durch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 22. September 1982 - IVa ZR 26/81 = NJW 1983, 277 und vom 18. Januar 1961 - V ZR 83/59 = FamRZ 1961, 275 sowie durch die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27. Juni 1961 und vom 21. Februar 1962 (BayObLG 1961, 200, 205 und 1962, 47, 57) gehindert. Dazu führt es aus: Es sei an die tatrichterliche Testamentsauslegung gebunden, wonach die testierenden Eheleute nach Art eines Berliner Testaments eine gegenseitige Einsetzung zu Vollerben gewollt hätten. Es halte dies mit einer sogenannten Wiederverheiratungsklausel jedoch aus Rechtsgründen für unvereinbar. Nach seiner Ansicht kann der Längerlebende nicht zugleich auflösend bedingter Vollerbe und aufschiebend bedingter Vorerbe sein, der damit den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB unterliege. Vollerbe könne nicht sein, wer mit Eintritt einer auflösenden Bedingung seine Eigenschaft als Erbe verliere und bereits vorher gewissen Verfügungsbeschränkungen unterliege. Ein Erbe, dessen Rechtsstellung derart umschrieben werde, sei per definitionem ein Vorerbe. Denn im Begriff des Vorerben sei die auflösende Bedingung bereits enthalten; ein Vorerbe sei ein auflösend bedingter Vollerbe. Ein praktisches Bedürfnis für die Einführung eines auflösend bedingten Vollerben, der nicht Vorerbe sei, bestehe nicht. Zudem könne nicht angenommen werden, daß der Ausfall der Bedingung bereits eine juristische Sekunde vor dem Tode des Vorerben feststehe. Das Oberlandesgericht will deshalb in Anwendung des § 2084 BGB das Testament dahin auslegen, daß der Längstlebende nur befreiter Vorerbe wird und der Nacherbfall außer im Falle des Todes auch mit den im Testament genannten Einschränkungen im Falle der Wiederheirat eintritt.
3.
Die Vorlage ist zulässig. Allerdings setzt § 28 Abs. 2 FGG voraus, daß die Entscheidung, von der abgewichen werden soll, auf einer anderen Beurteilung der streitigen Rechtsfrage beruht; in dieser Entscheidung ausgesprochene Empfehlungen reichen dazu nicht aus (vgl. auch Reidel/Winkler, FGG 11. Aufl. § 28 Rdn. 18 f.; BGH, Beschl. v. 21. Oktober 1954 - IV ZB 68/54 = NJW 1954, 1933). In der Entscheidung BGH NJW 1983, 277 und in den genannten Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichtes ist die Frage der rechtlichen Wirkung einer Wiederverheiratungsklausel jeweils nur als Empfehlung für das weitere Verfahren angesprochen. In der Entscheidung BGH FamRZ 1961, 275 ging es entscheidend um die Frage, ob eine befreite oder eine nicht befreite Vorerbschaft anzunehmen sei. Auf das Nebeneinander einer Vollerben- oder einer Vorerbenstellung kam es dafür nicht entscheidend an. Doch beruhen die Entscheidungen RGZ 156, 172 und die jeweils auf weitere Beschwerde im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangenen Entscheidungen des Kammergerichts vom 30. Dezember 1911 (KGJ 42 S. 109, Nr. 23), vom 14. November 1929 (Recht 1930 Nr. 322), vom 31. Oktober 1935 (JFG 13, S. 155 Nr. 33) und des Oberlandesgerichts München vom 8. Januar 1937 (JFG 15, S. 39 Nr. 12) auf der Rechtsansicht, von der das Oberlandesgericht abweichen will. Eine Vorlagepflicht besteht auch, wenn das Oberlandesgericht von einer Entscheidung des Reichsgerichts oder von einer auf weitere Beschwerde ergangenen Entscheidung eines Oberlandesgerichts aus der Zeit vor 1950 abweichen will (BGHZ 5, 344; 8, 23).
4.
Der Bundesgerichtshof hat daher nach § 28 Abs. 3 FGG über die weitere Beschwerde zu entscheiden. Diese ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Landgericht hat das gemeinschaftliche Testament entsprechend seinem Wortlaut dahingehend ausgelegt, daß sich die testierenden Eheleute in erster Linie gegenseitig zu Vollerben einsetzen wollten und die Wiederverheiratungsklausel nur eine bedingte Nacherbeneinsetzung darstellte, die nur für den Fall einer Wiederverheiratung wirksam werden sollte. Es hat dem Umstand, daß der überlebende Ehemann die Erteilung eines Erbscheins beantragt hat, der ihn als befreiten Vorerben ausweist, demgegenüber keine entscheidende Bedeutung beigemessen; offenbar habe er, vielleicht auch der Notar, einen Hinweis in einer Zwischenverfügung des Grundbuchamtes mißverstanden. Möglicherweise habe der Ehemann auch keinen Nachteil mehr darin gesehen, nicht als Erbe, sondern nur als befreiter Vorerbe im Grundbuch eingetragen zu werden.
Diese naheliegende Auslegung des gemeinschaftlichen Testamentes ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie kann im Verfahren der weiteren Beschwerde nur daraufhin überprüft werden, ob dem Landgericht bei der Auslegung ein Rechtsfehler unterlaufen ist, d.h. ob es gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze, gegen die Regeln der Logik oder gegen Erfahrungssätze verstoßen hat. Ein derartiger Fehler ist nicht ersichtlich und wird von dem Beschwerdeführer auch nicht aufgezeigt. Die weitere Beschwerde setzt lediglich ihre Auslegung an die Stelle der Auslegung des Tatrichters.
Entgegen der Ansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts ist dieses Ergebnis der Auslegung auch nicht aus Rechtsgründen mit der Wiederverheiratungsklausel unvereinbar. Nach der tatrichterlichen Auslegung stand die in dem gemeinschaftlichen Testament in erster Linie angeordnete gegenseitige Einsetzung zu Vollerben unter der auflösenden Bedingung, daß der Längerlebende bis zu seinem Tode nicht wieder heiraten werde. Die Erbeinsetzung unter einer auflösenden Bedingung, auch - wie hier - unter einer nur vom Willen des Bedachten abhängigen Bedingung (sogenannte Potestativ-Bedingung) läßt das Gesetz zu (§ 2075 BGB). Zugleich steht nach der Wiederverheiratungsklausel in der den Senat bindenden Auslegung des Landgerichts die Nacherbeneinsetzung unter der - aufschiebenden - Bedingung, daß der längerlebende Ehegatte wieder heiratet. Diese Verbindung von Vollerbeneinsetzung und bedingter Nacherbeneinsetzung ist rechtlich zulässig und wirtschaftlich sinnvoll.
a)
Es stehen keine Vorschriften oder Grundsätze des Erbrechts entgegen. Unzutreffend ist insbesondere der Ausgangspunkt des vorlegenden Oberlandesgerichts, diese Art der Rechtsgestaltung verbiete sich deshalb, weil ein auflösend bedingter Vollerbe, der den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB unterliege, stets per definitionem Vorerbe sei, da im Begriff des Vorerben "die auflösende Bedingung bereits latent enthalten" sei. Der Eintritt des Nacherbfalls kann sowohl durch eine Bedingung als auch durch eine Befristung festgelegt werden (Staudinger/Behrends, BGB 12. Aufl. § 2100 Rdn. 25; Enneccerus/Coing, Erbrecht 13. Aufl. S. 282; Lange/Kuchinke, Erbrecht 2. Aufl. S. 321). Mit dem Begriff des Vorerben ist also die auflösende Bedingung keineswegs notwendig verbunden. Richtig ist, daß nach herrschender Meinung die Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB nur deshalb eingreifen, weil der derart Bedachte - auch - bedingter Vorerbe ist. Daraus kann aber nichts dafür hergeleitet werden, daß er nicht zugleich auflösend bedingter Vollerbe sein kann. Ebensowenig greift der Einwand von Lange/Kuchinke (a.a.O. S. 291 f.) durch, die Vorerbenstellung des Längerlebenden sei deshalb mit der Stellung eines Vollerben unvereinbar, weil eine Erbeinsetzung auf Zeit stets Vorerbeinsetzung sei. Denn es handelt sich nicht um eine Erbeinsetzung auf Zeit. Es hängt von einer Bedingung ab, ob überhaupt der Nacherbfall eintreten oder ob es bei der Vollerbenstellung des Längerlebenden sein Bewenden haben soll. Diese Rechtsgestaltung ist durch eine Nacherbeneinsetzung allein nicht zu erreichen.
b)
Sie kann für die testierenden Eheleute wirtschaftlich sinnvoll sein. Das gilt zum Beispiel dann, wenn sie sicherstellen wollen, daß Verfügungen, die der Längerlebende entgegen den §§ 2113 ff. BGB vornimmt, nach seinem Tode nicht unwirksam werden. Denn das wäre (zumindest soweit der Vorerbe nach § 2136 BGB) nicht von den Beschränkungen der § 2113 ff. BGB befreit werden kann) die Folge, wollte man den Überlebenden nur als - wenn auch möglicherweise befreiten - Vorerben ansehen. Ist er jedoch zugleich auflösend bedingter Vollerbe, so steht, sofern er nicht wieder heiratet, mit seinem Tode fest, daß die auflösende Bedingung und damit der Nacherbfall nicht eingetreten ist. Die Rechtswirkungen der §§ 2113 ff. BGB können danach nicht eintreten. Das hat - wie der vorliegende Fall zeigt - auch zur Folge, daß § 2115 BGB eine Vollstreckung zugunsten von Gläubigern des Letztversterbenden in Gegenstände, die aus dem Nachlaß des Erstverstorbenen stammen jedenfalls nach dem Tode des Letztversterbenden nicht hindert.
c)
Die Bedenken des Oberlandesgerichts gegen die Annahme, daß mit dem Tode - oder wie es sich ausdrückt - eine juristische Sekunde davor, der Ausfall der Bedingung feststeht, sind nicht berechtigt. Die Stellung als Vollerbe steht unter einer auflösenden Bedingung. Das heißt, sie dauert so lange an, bis die Bedingung eintritt (§ 158 Abs. 2 BGB). Erst mit Eintritt der Bedingung ändert sich der Rechtszustand. Hat der Längerlebende bis zu seinem Tode nicht geheiratet, so steht fest, daß sich an seiner Stellung als Vollerbe nichts geändert hat und nichts mehr ändern kann.
d)
Der Senat folgt deshalb der in Literatur und Rechtsprechung herrschenden Auffassung, daß der Längerlebende zugleich auflösend bedingter Vollerbe und aufschiebend bedingter Vorerbe sein kann, und daß mit seinem Tode, wenn er bis dahin nicht wieder geheiratet hat, seine Stellung als Vollerbe endgültig geworden ist (Palandt/Edenhofer, BGB 44. Aufl. § 2269 Anm. 5 b; Staudinger/Kanzleiter a.a.O. § 2269 Rdn. 41 f.; Enneccerus/Coing a.a.O. S. 442 ff.; Bartholomeyczik/Schlüter, Erbrecht 11. Aufl. S. 177 f.; BGB-RGRK/Johannsen § 2269 Rdn. 19; Soergel/Wolf, BGB 11. Aufl. § 2269 Rdn. 19; RGZ 156, 172, 180 f.; BGH FamRZ 1961, 275, 276 und NJW 1983, 277; KG KGJ 42 S. 109 Nr. 23, Recht 1930 Nr. 322, JFG 13 S. 155 Nr. 33 und DNotZ 1943, 137; OLG München JFG 15 S. 39 Nr. 12; BayObLGZ 1961, 200, 204 ff. und 1962, 47, 57).
Inwieweit der Letztversterbende zu seinen Lebzeiten den Beschränkungen eines Vorerben unterworfen ist, ob er regelmäßig als befreiter Vorerbe anzusehen ist, was vielfach angenommen wird, oder ob etwa die auch einem befreiten Vorerben gesetzlich auferlegten Beschränkungen in einem gemeinschaftlichen Testament abbedungen werden können (so MünchKomm/Musielak § 2269 Rdn. 52 ff.), bedarf hier keiner Entscheidung.
Das Landgericht hat danach zu Recht das Amtsgericht angewiesen, den Erbschein, der den letztverstorbenen Ehemann als Vorerben und nicht als Vollerben ausweist, als unrichtig einzuziehen.
Unterschriften
Dr. Hoegen
Dr. Lang
Dehner
Dr. Zopfs
Dr. Ritter
Fundstellen
Haufe-Index 1456120 |
BGHZ, 198 |
NJW 1988, 59 |
DNotZ 1986, 541 |