Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 14.12.2012) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 14. Dezember 2012 im Schuldspruch dahingehend geändert (§ 349 Abs. 4 StPO), dass die tateinheitlichen Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen (§ 182 Abs. 1 StGB) entfallen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten und die Revision des Nebenklägers M. gegen das vorgenannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Der Nebenkläger M. hat darüber hinaus die dem Angeklagten durch seine Revision entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Von dem Vorwurf weiterer Missbrauchstaten, unter anderem den Nebenkläger M. betreffend, hat ihn das Landgericht aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Rz. 2
Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Nebenklägers M. ist gemäß § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet.
Rz. 3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Einzelvormund des am 4. Februar 1992 geborenen B., der keinen Kontakt zu seinen leiblichen Eltern hatte. Er übte für den Jungen bis zu dessen Volljährigkeit die elterliche Sorge aus und verkörperte für ihn eine Vaterfigur, die sich um ihn kümmerte, der er vertraute und sich emotional stark verbunden fühlte. Der Angeklagte war sich seiner Stellung bewusst und nutzte die „innere Abhängigkeit des Jungen von ihm und seine damit verbundene Macht über seinen Schutzbefohlenen” (UA S. 4) viermal bewusst für sexuelle Handlungen an dem im Tatzeitraum 16 bzw. 17-jährigen Jungen aus. Das Landgericht sah durch die sexuellen Handlungen jeweils neben dem Tatbestand des sexuellen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB – Missbrauch von Abhängigkeit) jeweils den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen in der Variante des Ausnutzens einer Zwangslage (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB) als verwirklicht an, weil der Angeklagte „eine (emotionale) Zwangslage für den ansonsten völlig auf sich gestellten Jungen geschaffen und diese schließlich für den sexuellen Missbrauch ausgenutzt” habe (UA S. 16 f.).
Rz. 4
2. Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen hat keinen Bestand. Für die zweite Tat gilt dies schon deswegen, weil sie nicht ausschließbar vor Erhöhung der Schutzaltersgrenze auf 18 Jahre in der bis zum 4. November 2008 gültigen Fassung des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen wurde. Ansonsten kann im Ergebnis offen bleiben, ob die „Lebenssituation” des B., der über keinerlei elterlichen oder sonstigen Schutz verfügte” (UA S. 17), eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis und damit eine „Zwangslage” begründen könnte (zum Begriff der Zwangslage: BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 1997 – 4 StR 40/97, BGHSt 42, 399; vom 16. April 2008 – 5 StR 589/07, NStZ-RR 2008, 238; vgl. auch Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/4584, S. 8). Denn einer Ausnutzung der Abhängigkeits- und Vertrauensstellung als Vormund kommt vorliegend – ohne Hinzutreten weiterer bedrängender Umstände – kein nicht schon von § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasster Unrechtsgehalt zu.
Rz. 5
Beide Tatbestände schützen die sexuelle Selbstbestimmung Minderjähriger (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1996 – 3 StR 309/95, BGHSt 42, 51, 53; Beschlüsse vom 25. Februar 1997 – 4 StR 40/97, aaO, S. 400, und vom 28. Juni 2000 – 2 StR 213/00, BGHSt 46, 85, 87; LK-Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 174 Rn. 2 und § 182 Rn. 1). Ein Minderjähriger kann weder bei Ausnutzung einer Zwangslage noch bei Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses nach § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB wirksam in sexuelle Handlungen einwilligen. Begründet aber gerade das Abhängigkeitsverhältnis eine Zwangslage, so wird der Unrechtsgehalt des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB von § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB erschöpfend erfasst; demgemäß tritt § 182 Abs. 1 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter diesen zurück.
Rz. 6
3. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Der Strafausspruch wird hierdurch nicht berührt. Das Landgericht hat dem § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Strafzumessung keine Bedeutung beigemessen. Angesichts der verhängten Einzelstrafen kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung niedrigere Strafen verhängt hätte.
Unterschriften
Basdorf, Dölp, König, Berger, Bellay
Fundstellen
Haufe-Index 5781977 |
NStZ-RR 2014, 361 |
NStZ-RR 2014, 46 |
StV 2014, 415 |