Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 17.04.2019) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 17. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils beging der Angeklagte im Zeitraum vom 2. März 2018 bis zum 2. Juni 2018 insgesamt sechs Straftaten. In vier Fällen schlug er unvermittelt Fußgänger, Radfahrer oder Jogger mit der flachen Hand oder mit der Faust ins Gesicht oder gegen den Kopf. In einem weiteren Fall stieß er einem Rentner dreimal dessen Rollator gegen die Schienbeine und beleidigte diesen und eine ihm zu Hilfe kommende Passantin. In einem anderen Fall bezeichnete er eine Passantin als „Schlampe” und „Hure” und trat ihr – insoweit nicht angeklagt – gegen den Oberschenkel.
Rz. 3
Das sachverständig beratene Landgericht kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Angeklagten eine paranoide Schizophrenie bestehe, aufgrund derer bei der Tatausführung seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei. Das Tatgeschehen weise darauf hin, dass er zum Tatzeitpunkt unter dem Eindruck der Psychose gestanden habe. Denn er habe letztlich unmotiviert auf Menschen eingeschlagen, die teils nicht unerheblich verletzt worden seien. Bei der Exploration habe er geschildert, dass er sich bedroht gefühlt habe. Insoweit habe es der Sachverständige für wahrscheinlich gehalten, dass es sich bei den Taten um Impulsdurchbrüche im Rahmen einer paranoiden Schizophrenie gehandelt habe. Der Angeklagte sei daher freizusprechen gewesen. Weil mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere rechtswidrige Taten gegen Personen ähnlich den Anlasstaten zu erwarten seien, hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Rz. 4
2. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bereits das Bestehen eines „Zustands” im Sinne des § 20 StGB ist nicht hinreichend belegt. Für die auf Angaben des Sachverständigen gestützte Annahme des Landgerichts, der Angeklagte leide an einer paranoiden Psychose, fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten.
Rz. 5
Die nach dem Referat des Sachverständigengutachtens im Urteil von diesem für seine Diagnose einer paranoiden Schizophrenie herangezogenen Symptome sind während der Exploration des Angeklagten aufgetretene Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Gedankenabreißen, Zerfahrenheit des Denkablaufs und Merkfähigkeitsstörungen. Inhaltliche Denkstörungen im Sinne von paranoiden Ideen, Wahrnehmungsstörungen oder Ich-Störungen sind hingegen nicht aufgetreten. Der Angeklagte war bewusstseinsklar und allseits orientiert. Als konkrete äußere Verhaltensauffälligkeiten werden Unruhe und Zappeligkeit sowie inadäquates Lachen berichtet. Ferner sei auffällig, dass der Angeklagte mit mittlerweile 25 Jahren noch nie eine Partnerin hatte und noch immer bei seinen Eltern lebe. Weder diese Verhaltensweisen noch die Anlasstaten als solche sind indes so außergewöhnlich, dass sie für sich schon die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie hinreichend nachvollziehbar machen würden. Möglicherweise handelt es sich auch nur um Kennzeichen einer Persönlichkeitsakzentuierung, die noch keinen relevanten Krankheitswert aufweisen.
Rz. 6
Das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung versteht sich auch bei dem bisher lediglich im Jahr 2016 wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung – zu der das Urteil nichts Näheres mitteilt – auffällig gewordenen Angeklagten, der durchgängig bei verschiedenen Arbeitgebern gearbeitet hat, nicht von selbst. Dies gilt umso mehr, als der Sachverständige es für möglich hält, dass der Ursprung der psychiatrischen Erkrankung des Angeklagten bereits in dem Zeitraum liegt, in dem er im Alter von ca. 18 Jahren seine Lehre abgebrochen hatte. Trotz des danach langen Zeitraums der Erkrankung war der Angeklagte nach eigenen Angaben bisher noch nie in psychiatrischer Behandlung, es gibt also keine „Krankheitsvorgeschichte”, die die jetzt vorgenommene Einschätzung bestätigen könnte. Der Umstand allein, dass das beschriebene Krankheitsbild die abgeurteilten Straftaten grundsätzlich zu erklären vermag, ist für sich noch keine tragfähige Grundlage für den gutachterlichen Befund, weil der Senat ohne nähere Erläuterung nicht ausschließen kann, dass dieser allein auf einem Rückschluss aus den abgeurteilten Straftaten beruht, ohne dass erwogen worden ist, ob es auch andere denkbare Auslöser für die Straftaten gegeben hat.
Rz. 7
Obwohl nach alledem die Tatsachengrundlage für die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie äußerst dünn ist, teilt das Urteil zudem nicht mit, wie die seit dem 7. Dezember 2018 andauernde einstweilige Unterbringung des Angeklagten verlaufen ist und welche Diagnose die dort behandelnden Ärzte gestellt haben. Soweit es während dieser Unterbringung zu einem Vorfall mit einem Mitpatienten gekommen ist, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass dieser auf eine psychiatrische Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen ist.
Rz. 8
3. Damit entfällt die Grundlage für die Anordnung einer Maßnahme nach § 63 StGB. Die Sache bedarf daher unter Aufhebung auch des auf die mangelhaften Feststellungen zur psychischen Erkrankung des Angeklagten gestützten Freispruchs insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Quentin, Roggenbuck, Cierniak, Bender, Feilcke
Fundstellen
Dokument-Index HI13579515 |