Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsfreiheit des Versicherers bei Obliegenheitsverletzung
Leitsatz (redaktionell)
Wegen der Schärfe der Sanktion des § 71 Abs. 1 VVG hat die Leistungsfreiheit des Versicherers auch zur Voraussetzung, dass sie bei Abwägung der Parteiinteressen nicht außer Verhältnis zur Schwere der Obliegenheitsverletzung steht.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; VVG § 71 Abs. 1; ZPO § 544 Abs. 7
Verfahrensgang
OLG Celle (Entscheidung vom 24.11.2005; Aktenzeichen 8 U 66/04) |
LG Hannover (Entscheidung vom 03.03.2004; Aktenzeichen 12 O 60/03) |
Gründe
(zu 2. [Tenor: 2. Die Revision der Klägerin gegen das vorgenannte Urteil wird zugelassen, dieses gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle zurückverwiesen.])
Die Klägerin macht gegen die Beklagte nach dem Brand einer Lagerhalle in der G.straße 73 in F. (Gelände K.hof) Ansprüche aus einer Feuerversicherung geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht jedoch auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Deshalb war das angefochtene Urteil nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts (§ 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO) zurückzuverweisen.
1. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer der Tatrichter zu der Feststellung gelangt ist, der Ehemann der Klägerin habe - ihr zurechenbar - versucht, die Beklagte arglistig über Tatsachen zu täuschen, die für die Höhe der Entschädigung von Bedeutung waren, zieht wesentlichen Vortrag der Klägerin, die Zeugenaussage ihres Ehemannes, schriftliche Angaben des sachverständigen Zeugen S., ferner weitere aus der Akte ersichtliche Erkenntnismöglichkeiten nicht in Erwägung und verletzt damit das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör.
a) Das Berufungsgericht hält die Angaben des Ehemannes der Klägerin zur Schadenshöhe, die sich im Wesentlichen auf die Schadensaufstellung des sachverständigen Zeugen S. stützen, schon deshalb für nachweislich falsch, weil eine bei Durchsuchung des Wohnhauses der Eheleute sichergestellte Liste ausweislich eines ihr vorangestellten handschriftlichen Vermerks, der unstreitig vom Ehemann der Klägerin unterschrieben ist, belege, dass der wahre Gesamtschaden der in der abgebrannten Lagerhalle zerstörten Möbel nur etwa ein Sechstel des bei der Beklagten geltend gemachten Schadens ausmache.
Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, der inhaltlich unzutreffende handschriftliche Vermerk "Liste über Brandschaden, 19.02.95 K.hof (komplett)" sei nicht von ihrem Ehemann geschrieben worden und müsse nachträglich auf die Liste gesetzt worden sein. Das Berufungsgericht hat es für den Nachweis der arglistigen Täuschung schon ausreichen lassen, dass die Vermutung der Klägerin, der für die Beklagte tätige Sachverständige habe den handschriftlichen Eintrag auf der Liste erst nach deren Beschlagnahme vorgenommen, eine widerlegte Unterstellung sei. Aus einem polizeilichen Ermittlungsvermerk vom 7. August 1995 ergebe sich, dass die Liste schon im Zeitpunkt ihrer Sicherstellung den umstrittenen handschriftlichen Vermerk getragen habe.
Das Berufungsurteil zieht dabei aber folgendes nicht in Erwägung:
aa) Die fragliche Liste bezieht sich, worauf die Klägerin und ihr Ehemann im Verlaufe des Rechtstreits wiederholt hingewiesen haben, nach ihrem gedruckten Wortlaut auf die Hallen 17 und 18 des Lagers Z.straße (ehem. F. M.). Dort hat es nicht gebrannt. Nach Darstellung der Klägerin erfasst die Liste also gerade nicht die verbrannten, sondern anderweitig eingelagerte, unbeschädigt gebliebene Möbel. Zu den Umständen, unter denen die Liste erstellt worden ist, verhält sich das Berufungsurteil nicht. Dem Beweisantritt, den sachverständigen Zeugen S. zur Entstehung der Liste zu hören, ist es nicht nachgegangen.
bb) Dieser vom Ehemann der Klägerin kurz nach dem Brand mit der Schadensaufstellung beauftragte sachverständige Zeuge hat sich schriftlich gegenüber dem von der Beklagten beauftragten Sachverständigen am 27. März 1995 anlässlich der Übersendung der Schadensbelege dahingehend geäußert, er habe am 24. März 1995 zusammen mit dem Ehemann der Klägerin das nicht brandgeschädigte Lager in der Z.straße nach dem Hallenbrand in der G.straße aufgesucht, um die dort verbliebenen (also nicht verbrannten) Möbel mit einer "Restinventur" zu erfassen. Damit korrespondiert das auf der Liste ausgedruckte Datum "24.03.95" und der Umstand, dass die Liste für einen "Mandant: 010" erstellt ist, was für eine im Auftrage gefertigte Auflistung spricht und insoweit auf den sachverständigen Zeugen als Ersteller hinweist. Warum der sachverständige Zeuge bei dieser Sachlage nicht gehört worden ist, erschließt sich aus dem Berufungsurteil nicht.
cc) Das Berufungsurteil erwähnt zwar die Einlassung des Ehemannes der Klägerin, er habe seine Unterschrift über die fragliche Liste gesetzt, als der Polizeibeamte B. sich die bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmten Schriftstücke schriftlich habe bestätigen lassen, zu diesem Zeitpunkt habe sich aber die handschriftliche Überschrift noch nicht auf der Liste befunden. Dem darin liegenden Hinweis, die handschriftliche Eintragung könne im Zusammenhang mit der polizeilichen Sicherstellung der Liste vorgenommen worden sein, geht die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts aber nicht nach, obwohl es ungewöhnlich ist, dass handschriftliche Notizen auf einer nur für den betriebsinternen Gebrauch bestimmten Inventarliste förmlich zu unterschreiben sind, solange damit keine Erklärung gegenüber Dritten verbunden werden soll. Hinzu kommt, dass die Schriftzüge des umstrittenen handschriftlichen Vermerks jedenfalls bei laienhafter Betrachtung zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem aus der beigezogenen Ermittlungsakte ersichtlichen Schriftbild der Handschrift des Polizeibeamten B. aufzuweisen scheinen. Eine sachverständige Klärung der Frage, ob der Vermerk von dem Polizeibeamten herrührt, ist indes nicht erfolgt, obwohl der Beweiswert des vom Berufungsgericht herangezogenen Ermittlungsvermerks vom 7. August 1995 hiervon entscheidend abhängen kann.
dd) Schließlich nimmt das Berufungsurteil nicht dazu Stellung, dass in der fraglichen Liste auch Gegenstände, unter anderem drei Sackkarren, aufgeführt sind, die vom Ehemann der Klägerin nicht als durch den Brand geschädigt gemeldet worden waren, was ebenfalls dafür sprechen kann, dass in der Liste nicht brandgeschädigte, sondern anderweitig gelagerte Gegenstände erfasst sind.
b) Soweit das Berufungsgericht seine Annahme einer arglistigen Täuschung durch den Ehemann der Klägerin ergänzend auch auf die vermeintliche Unvollständigkeit sichergestellter Listen über Mobiliar stützt, welches vor dem Brand aus dem Lager in der Z.straße in das später abgebrannte Lager in der G.straße verbracht worden ist, nimmt es den Akteninhalt nur unvollständig zur Kenntnis.
aa) Es trifft nach Aktenlage nicht zu, dass die umgelagerten Möbel ausschließlich in drei bei der Hausdurchsuchung vom 6. Juli 1995 sichergestellten handschriftlichen Blättern erfasst und deshalb nur Möbelumlagerungen im Werte von etwa einem Sechstel des als Brandschaden angegebenen Wertes dokumentiert sind. Denn ausweislich des Gutachtens des mit der Ermittlung der Schadenshöhe beauftragten sachverständigen Zeugen S. hat dieser bereits im März 1995, mithin mehrere Monate vor der polizeilichen Hausdurchsuchung, handgeschriebene Originallisten über Möbeltransfers vom Lager in der Z.straße zum Lager auf dem Gelände K.hof entgegengenommen und diese Originale am 23. August 1996 an den von der Beklagten beauftragten Sachverständigen zusammen mit sämtlichen anderen von ihm sichergestellten Unterlagen übersandt. Diese im Gutachten-Ordner als Anlage 7 eingehefteten zwölf handgeschriebenen Listen weisen Möbeltransporte von der Z.straße zum K.hof am 14. Dezember 1994 (2 Blätter), 15. Dezember 1994 (2 Blätter), 11. Januar 1995, 24. Januar 1995, 25. Januar 1995 (2 Blätter), 26. Januar 1995 (2 Blätter), 9. Februar 1995, 10. Februar 1995 und 15. Februar 1995 aus. Der Gesamtwert der in diesen Listen erfassten Möbel beträgt 958.924,68 DM.
Die bei der Hausdurchsuchung sichergestellten drei weiteren handgeschriebenen Listen beziehen sich auf Möbeltransporte am 8., 9. und 10. Februar 1995 und betreffen weitere Möbel im Werte von 262.852,70 DM.
Das Berufungsgericht sieht es als Indiz für eine arglistige Täuschung an, dass die Daten einiger Listen sich decken, ohne dieselben Möbel aufzuführen. Das lässt aber die sich aufdrängende Möglichkeit außer Betracht, dass an einzelnen Tagen mehrere Möbeltransporte stattgefunden haben können, die in gesonderten Listen erfasst wurden. Dafür kann sprechen, dass ausweislich der beigezogenen Ermittlungsakte mehrere Zeugen von regem LKW-Verkehr auf dem Gelände K.hof in der Zeit vor dem Brand berichtet haben und insbesondere der Zeuge G. auch von mehreren Möbeltransporten gesprochen hat. Das Berufungsgericht, welches auch das nicht in seine Erwägungen einbezieht, hat nicht erkannt, dass es nach Aktenlage handgeschriebene Transfer-Listen über Möbel im Werte von insgesamt 1.221.777,38 DM gibt. Es hat ferner nicht bedacht, dass bei der Schadensaufstellung zu den umgelagerten Möbeln möglicherweise noch solche Möbel hinzuzurechnen sind, die nach der Behauptung der Klägerin von vorn herein im Lager K.hof lagerten. Die Annahme, nach einem Ausverkauf im November 1994 hätte sich - abgesehen von den danach aus der Z.straße umgelagerten Möbeln - im Februar 1995 kein wesentlicher Warenbestand mehr im Lager K.hof befinden können, stellt eine bloße Vermutung des Tatrichters dar. Über den Erfolg und Umfang des Ausverkaufs im November 1994 enthalten die Akten nichts.
Nur infolge seiner unvollständigen lückenhaften Erwägungen ist das Berufungsgericht daher zu der Annahme gelangt, die in den Transportlisten erfassten Möbel erreichten "nicht ansatzweise" den geltend gemachten Gesamtschaden von ca. 1,5 Millionen DM.
bb) Die polizeiliche Durchsuchung im Lager Z.straße hatte ergeben, dass dieses noch im Juli 1995 mit Möbeln voll gestellt war. Für das Berufungsgericht ist dies ein zusätzliches Indiz dafür, dass es Möbeltransporte vom Lager Z.straße in das Lager G.straße/K.hof in dem von der Klägerin behaupteten Umfang nicht gegeben haben könne. Das setzt sich aber nicht damit auseinander, dass die Klägerin nach ihrer Behauptung um den Jahreswechsel 1994/95 zwei (Hallen Nr. 14 und 24) von insgesamt ursprünglich vier angemieteten Hallen auf dem Gelände Z.straße infolge der Beendigung der betreffenden Mietverhältnisse geräumt hatte und zum Zeitpunkt der Durchsuchung nur noch die Hallen 17 und 18 nutzte.
2. Das angefochtene Urteil kann nicht deshalb Bestand haben, weil das Berufungsgericht die Leistungsfreiheit der Beklagten daneben auch auf die Verletzung der Meldeobliegenheit aus § 71 Abs. 1 VVG gestützt hat. Es hat zwar im Ansatz zutreffend erkannt, dass wegen der Schärfe der Sanktion des § 71 Abs. 1 VVG die Leistungsfreiheit des Versicherers auch zur Voraussetzung hat, dass sie bei Abwägung der Parteiinteressen nicht außer Verhältnis zur Schwere der Obliegenheitsverletzung steht (vgl. dazu BGHZ 100, 60, 64 ff.; BGH, Urteil vom 20. Mai 1987 - IVa ZR 227/85 - VersR 1987, 705; OLG Hamm VersR 1992, 1466-1468). In diese Abwägung hat der Tatrichter jedoch ausdrücklich mit einbezogen, der Ehemann der Klägerin habe die Beklagte arglistig über die Schadenshöhe getäuscht.
Der Senat kann angesichts der Schwere dieses Vorwurfs nicht sicher ausschließen, dass die Abwägung anderenfalls zu einem der Klägerin günstigeren Ergebnis geführt hätte. Insoweit beruht auch die Annahme der Leistungsfreiheit nach § 71 Abs. 1 Satz 2 VVG auf der unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gewonnenen Überzeugung des Tatrichters, der Ehemann der Klägerin habe arglistig gehandelt.
Fundstellen
Haufe-Index 2962105 |
VersR 2007, 833 |