Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 22. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf prozess- und materiellrechtliche Beanstandungen gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
Rz. 2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fühlte sich der Angeklagte durch eine Äußerung seiner Schwester provoziert. Er holte ein Messer mit einer Klingenlänge von neuneinhalb Zentimetern, stellte sich im Flur des Elternhauses frontal vor seine Schwester und versetzte dieser mit bedingtem Tötungsvorsatz zwei Stiche in den Bauch sowie die linke Seite. Daraufhin wich die Geschädigte zurück. Ihr Ehemann, der Schwager des Angeklagten, der das Geschehen beobachtet hatte, rief: „Bist du wahnsinnig, hör auf, das darfst du nicht” und ging auf den Angeklagten zu. Dieser erkannte, dass er den Angriff auf seine Schwester nicht mehr ungehindert fortsetzen konnte. Daher wandte er sich zunächst seinem Schwager zu und versetzte auch diesem mit dem Messer mehrere Stiche. Der Schwester des Angeklagten gelang es, durch die Haustür zu den Nachbarn zu fliehen. Der Schwager des Angeklagten flüchtete in die Waschküche des Hauses. Der Angeklagte, dem bewusst war, dass er den Angriff gegen seinen Schwager ohne Weiteres fortsetzen konnte, kehrte gleichwohl schließlich in sein Zimmer zurück, wo er später festgenommen wurde.
Rz. 3
Die Strafkammer hat den Angriff des Angeklagten auf seine Schwester als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 212 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, §§ 22, 23 Abs. 1, § 12 Abs. 1 StGB) gewertet und ausgeführt, ein strafbefreiender Rücktritt (§ 24 Abs. 1 StGB) vom versuchten Totschlag komme nicht in Betracht. Der Angeklagte habe aufgrund des Dazwischentretens seines Schwagers erkannt, dass es nicht mehr möglich gewesen sei, den Angriff auf seine Schwester fortzusetzen. Deshalb sei der Versuch fehlgeschlagen und der Angeklagte habe die weitere Ausführung der Tat nicht freiwillig aufgegeben.
Rz. 4
2. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn die Beweiswürdigung ist auch mit Blick auf den eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326) lücken- und damit rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte habe den Angriff auf seine Schwester aufgrund des Dazwischentretens des Schwagers nicht fortsetzen können, nicht belegt. Die Ausführungen in der Beweiswürdigung zu der Tat zum Nachteil der Schwester des Angeklagten verhalten sich vielmehr lediglich zu dessen Einlassung, er habe nicht gemerkt, dass er seine Schwester mit dem Messer getroffen habe und sie nicht töten wollen. Diese Angaben widerlegend hat die Strafkammer nur die von ihr getroffenen Feststellungen zu dem aktiv geführten Angriff des Angeklagten und seinem Tötungsvorsatz begründet. Weitere Ausführungen zu ihrer Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt hat sie nicht gemacht. Damit ist die für die Frage des Rücktritts vom Tötungsversuch bedeutsame Feststellung nicht belegt, der Angeklagte sei nach seiner Vorstellung zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung nicht in der Lage gewesen, den Angriff auf seine Schwester fortzusetzen. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe. Danach ist es nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte trotz des Verhaltens seines Schwagers etwa seiner Schwester hätte hinterherlaufen und ihr weitere Messerstiche versetzen können, dies aber aus autonomen Motiven unterließ.
Rz. 5
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler betrifft zwar unmittelbar nur das Geschehen zum Nachteil der Schwester des Angeklagten. Er bedingt gleichwohl die Aufhebung des gesamten Urteils einschließlich der – für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen – Feststellungen zu der Tat zum Nachteil des Schwagers des Angeklagten; denn das Geschehen überschneidet sich teilweise und weist insgesamt einen derart engen Zusammenhang auf, dass die isolierte Aufhebung nur eines Teils der Feststellungen die Gefahr von Widersprüchen begründen würde. Dem neuen Tatgericht ist es deshalb zu ermöglichen, insgesamt einheitliche Feststellungen zu treffen. Die Sache bedarf somit in vollem Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Becker, Schäfer, Spaniol, Berg, Hoch
Fundstellen
Dokument-Index HI10526862 |