Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 21.07.2017) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 21. Juli 2017, auch soweit es den Angeklagten F. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben
- soweit die Angeklagten wegen einer Tat vom 31. Mai 2015 verurteilt worden sind,
- im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten S., an das Amtsgericht – Schöffengericht – Aachen zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Diebstahl (Tat vom 31. Mai 2015) und wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch (Tat vom 16. Juni 2015) verurteilt. Gegen den Angeklagten S. hat es unter Einbeziehung der Strafe aus einem früheren Urteil auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten erkannt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten F. hat es unter Auflösung einer früheren Gesamtfreiheitsstrafe und Einbeziehung der dortigen Einzelfreiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; die Einbeziehung von Einzelgeldstrafen aus einem weiteren Urteil in die frühere Gesamtfreiheitsstrafe hat es aufgehoben. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten S. mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Insoweit ist es gemäß § 357 StPO auf den Angeklagten F. zu erstrecken, der kein Rechtsmittel eingelegt hat. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten S. unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Soweit es die Verurteilung wegen der Tat vom 31. Mai 2015 betrifft, liegen dem folgende Feststellungen und Wertungen zu Grunde:
Rz. 3
1. Nach dem Anklagevorwurf drohten die Angeklagten dem Zeugen V. auf einer Feier in der Wohnung des Angeklagten S. damit, ihn zu schlagen und ihn aus dem Fenster zu werfen, wenn er ihnen nicht sein Mobiltelefon, sein Geld und Schlüssel sowie die Papiere zu seinem Motorroller aushändige. Zudem bedrohten sie ihn mit einem heißen Lötkolben. Der Geschädigte gab die Gegenstände heraus und wurde anschließend der Wohnung verwiesen. Dabei äußerten die Angeklagten, er sei „ein toter Mann”, wenn er zur Polizei gehe.
Rz. 4
2. a) Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass die Angeklagten die Herausgabe der Gegenstände durch Drohungen erzwangen. Es hat es ausdrücklich als ungeklärt bezeichnet, ob die Angeklagten dem Geschädigten die ihm abhanden gekommenen Gegenstände einfach weggenommen haben oder ihnen diese von dem Geschädigten unter Zwang ausgehändigt worden sind und ist deshalb im Zweifel zugunsten der Angeklagten von einer Wegnahme der Sachen gegen den erfolglosen Protest des Geschädigten ausgegangen. Die Drohung mit dem Lötkolben sei zwar erfolgt, dies aber, ebenfalls im Zweifel zugunsten der Angeklagten, erst nach der Wegnahme der Sachen. Schließlich habe der Angeklagte F. den Motorroller des Geschädigten für sich behalten.
Rz. 5
b) Wegen des Geschehens in der Wohnung hat das Landgericht die Angeklagten wegen Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung verurteilt, weil die Wegnahme der Sachen eine mildere Bestrafung wegen Diebstahls im Vergleich mit einer schweren räuberischen Erpressung ermögliche.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Die Revision des Angeklagten S. ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie die Tat vom 16. Juni 2015 betrifft, die als versuchte Nötigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch abgeurteilt worden ist. Hinsichtlich der Verurteilung wegen der Tat vom 31. Mai 2015 ist das Rechtsmittel begründet. Insoweit gilt Folgendes:
Rz. 7
1. Der Schuldspruch wegen Diebstahls ist rechtsfehlerhaft.
Rz. 8
a) Sieht sich der Tatrichter nicht in der Lage, den von ihm zu beurteilenden Tatvorgang eindeutig festzustellen, muss er vielmehr mehrere mögliche Geschehensabläufe in Rechnung stellen, dann ist das Verhältnis der möglichen das Tatgeschehen bildenden Verhaltensweisen zueinander dafür maßgebend, ob und aufgrund welcher Strafvorschrift der Angeklagte zu verurteilen ist. Stehen die zu beurteilenden Verhaltensweisen in einem Stufenverhältnis zueinander, so ist nach dem Grundsatz, dass im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist, aufgrund des milderen Gesetzes zu verurteilen. Wenn ein solches Stufenverhältnis nicht vorliegt, kommt im Einzelfall eine gesetzesalternative Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage in Betracht. Ist auch dies rechtlich nicht möglich, kann ein Auffangtatbestand zur Anwendung kommen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 StR 480/82, BGHSt 31, 136, 137).
Rz. 9
b) Danach scheidet auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Verurteilung wegen Diebstahls aus.
Rz. 10
aa) Zwischen schwerer räuberischer Erpressung und Diebstahl besteht kein Stufenverhältnis, das den Rückgriff auf den Diebstahlstatbestand als günstigere Alternative ermöglichen würde.
Rz. 11
Ein derartiges Stufenverhältnis liegt nur vor, wenn die alternativ in Frage kommenden Tatbestände in einem Verhältnis von Mehr und Weniger zueinander stehen. Das ist aber ausschließlich dann der Fall, wenn ein Straftatbestand vollständig in dem anderen enthalten ist, wie etwa bei Diebstahl oder Raub, die jeweils die Wegnahme einer fremden Sache voraussetzen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1973 – 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182, 186; SK-StGB/Wolter, 9. Aufl., Anh. zu § 55 Rn. 43). So liegt es bei den Alternativen von Diebstahl oder (schwerer räuberischer) Erpressung jedoch nicht; denn Diebstahl setzt die Wegnahme einer fremden Sache voraus, eine (schwere räuberische) Erpressung hingegen die Herausgabe der Sache durch den Geschädigten aufgrund einer Nötigung. Das sind rechtlich unterschiedliche Voraussetzungen.
Rz. 12
bb) Eine gesetzesalternative Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage („echte Wahlfeststellung”) kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Rz. 13
Sie erfordert nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die verschiedenen in Frage kommenden Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1956 – GSSt 2/56, BGHSt 9, 390, 394; Beschluss vom 8. Mai 2017 – GSSt 1/17, NJW 2017, 2842, 2845 f.). Das ist bei den Alternativen von Diebstahl oder schwerer räuberischer Erpressung nicht der Fall, und zwar auch dann nicht, wenn Qualifikationen der Erpressung gemäß § 253 durch §§ 255, 250 StGB bei der Vergleichsbetrachtung weggelassen werden; denn Diebstahl und Erpressung unterscheiden sich so sehr, dass sie einander ausschließen. Der Erpresser bereichert sich nicht nur auf Kosten eines anderen, insoweit wertungsmäßig vergleichbar mit dem Dieb, sondern er wirkt mit Gewalt oder Drohung auf die Freiheit der Willensentschließung des Opfers ein. Diese Verletzung eines anderen Rechtsguts steht der Annahme einer rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 1971 – 4 StR 249/71, DRiZ 1972, 30, 31; OLG Hamm, Beschluss vom 21. Juni 2007 – 3 Ss 62/07, NStZ-RR 2008, 143).
Rz. 14
cc) Danach bleibt auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nur ein Rückgriff auf Unterschlagung als Auffangtatbestand möglich. Eine Unterschlagung begeht, wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet (§ 246 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StGB). Dafür genügt jede Handlung, die als Betätigung des Zueignungswillens verstanden werden kann. Nach den Feststellungen des Landgerichts verhielten sich die Angeklagten durch Ergreifen der Sachen des Geschädigten und Verweigerung der Herausgabe jedenfalls so, dass ein Zueignungswille deutlich zu Tage trat.
Rz. 15
c) Der Senat kann den Schuldspruch nicht selbst ändern; denn er kann nicht auszuschließen, dass ein neuer Tatrichter noch Feststellungen zu treffen vermag, die zu einer eindeutigen Verurteilung wegen (schwerer) räuberischer Erpressung oder wegen Diebstahls führen. Demgegenüber wäre der Tatbestand der Unterschlagung subsidiär (§ 246 Abs. 1 Halbs. 2 StGB).
Rz. 16
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Diebstahls zwingt auch zur Aufhebung des Schuldspruchs, soweit tateinheitlich ein Nötigungsversuch abgeurteilt worden ist.
Rz. 17
Mit der Aufhebung des Schuldspruchs entfällt die Grundlage für die Einzelstrafe wegen der Tat vom 31. Mai 2015 sowie die Gesamtfreiheitsstrafe.
Rz. 18
Der neue Tatrichter wird auch die Frage der Konkurrenz verschiedener Einzelakte neu zu bewerten haben. Der Senat verweist dazu auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 7. Dezember 2017.
Rz. 19
3. Die Verletzung materiellen Rechts durch das Landgericht betrifft beide Angeklagte in gleicher Weise. Deshalb ist die Urteilsaufhebung gemäß § 357 StPO auf den Angeklagten F. zu erstrecken, der kein Rechtsmittel eingelegt hat.
III.
Rz. 20
Der Senat verweist die Sache an das Amtsgericht zurück, weil ein Grund für die Zuständigkeit des Landgerichts nicht mehr besteht (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GVG). Die Notwendigkeit einer neuen Gesamtstrafenentscheidung bezüglich des Angeklagten F. führt zur Zuständigkeit des Schöffengerichts (§ 25 Nr. 2, § 28 GVG).
Unterschriften
Schäfer, Appl, Krehl, Eschelbach, Zeng
Fundstellen
Haufe-Index 11663783 |
NJW 2018, 1557 |
NStZ 2018, 465 |
JA 2018, 549 |
JuS 2018, 1009 |
NStZ-RR 2018, 5 |
RÜ 2018, 433 |
StV 2020, 234 |