Verfahrensgang
LG Stade (Urteil vom 28.06.2016) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 28. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Urteilsfeststellungen legte sich der alkoholabhängige Angeklagte nach dem Genuss größerer Mengen Bier und der Einnahme von Medikamenten gegen 15:00 Uhr in der Wohnung des Nebenklägers schlafen. Gegen 0:20 Uhr wachte er von der Lautstärke des Fernsehers auf, dessen Programm der schwerhörige Nebenkläger verfolgte. Stark erregt herrschte der Angeklagte den erheblich alkoholisierten Nebenkläger wegen der Störung an. Dieser schrie seinerseits den Angeklagten an; dabei traf er ihn ungewollt mit einem Speicheltropfen ins Gesicht. Erzürnt schlug der Angeklagte daraufhin zunächst mit der Faust gegen Brust oder Schulter des Nebenklägers, der dadurch zu Boden fiel. Nach weiteren Faustschlägen gegen den Kopf des Nebenklägers ergriff der Angeklagte eine zwei bis drei Kilogramm schwere Personenwaage und schlug damit mehrfach mit großer Wucht auf den Kopf des Nebenklägers, wobei er dessen Tod für möglich hielt und billigte. Sodann ergriff der Angeklagte einen etwa 250 Gramm schweren kleinen Hammer, mit dem er kraftvoll auf den Kopf des Nebenklägers schlug. Nachdem sich bereits nach dem ersten Schlag der Hammerkopf vom Stiel löste, nahm der Angeklagte ein Brotmesser mit einer Klingenlänge von 17,5 cm, mit dem er in der Absicht, den Nebenkläger zu töten, diesem einen etwa 20 cm langen Schnitt am Hals vom rechten Ohr bis in die Mitte der linken Halsseite beibrachte. Obwohl er versuchte, den Schnitt tief in den Hals zu führen, drang die Messerklinge aufgrund der gebeugten Kopfhaltung des Nebenklägers nur schräg in die Haut ein, wo sie zwar eine stark blutende klaffende Wunde verursachte, aber keine größeren Gefäße verletzte. Trotz der Verletzungen bestand für den Nebenkläger keine konkrete Lebensgefahr.
Rz. 3
Obwohl dem Angeklagten die Fortführung der Verletzungshandlungen weiterhin möglich war, ließ er von dem Nebenkläger ab. Zu diesem Zeitpunkt hielt er es für möglich, dass der Nebenkläger an den beigebrachten Verletzungen sterben könne. Er begab sich in die Küche und rauchte eine Zigarette. Der Nebenkläger gab währenddessen röchelnde Geräusche von sich und rief um Hilfe. Daraufhin setzte sich der Angeklagte, der seinen Vorsatz, den Nebenkläger zu töten, aufgegeben hatte, neben den Nebenkläger und drückte ihm mindestens zwei Mal ein Kissen auf das Gesicht, um die störenden Laute des Nebenklägers zu unterbinden. Dabei achtete er darauf, dass er das Kissen jeweils zurückzog, wenn er merkte, dass sich der Nebenkläger infolge der Atemnot versteifte, um ihn wieder frei atmen zu lassen. Bis zum Erscheinen der Polizei gegen 1:10 Uhr vernahmen Nachbarn weiterhin gelegentlich Hilferufe des Nebenklägers.
Rz. 4
Das Landgericht hat dies als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 212, 22, 23, §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 52 StGB) in Tatmehrheit (§ 53 StGB) mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) gewertet. Einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 StGB hat es mit der Erwägung verneint, dass ein beendeter Versuch vorgelegen und der Angeklagte sich nicht ernsthaft bemüht habe, die Vollendung der Tat zu verhindern.
Rz. 5
2. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 6
a) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht die zur „Korrektur des Rücktrittshorizonts” entwickelten Grundsätze (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f. jeweils mwN) nicht beachtet, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten.
Rz. 7
Ein unbeendeter Versuch kommt auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seiner letzten Tathandlung den Eintritt des Taterfolgs zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne diesen doch nicht herbeiführen, und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Verwirklichung des Taterfolges absieht (st. Rspr.; vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f.; Urteil vom 19. Juli 1989 – 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; Beschlüsse vom 7. November 2001 – 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73 f. und vom 8. Juli 2008 – 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335 f.). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf bei versuchten Tötungsdelikten insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch zu vom Täter wahrgenommenen körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschlüsse vom 17. Dezember 2014 – 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f.; vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, juris Rn. 9 f., jeweils mwN). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben. Dabei ist die Feststellung der tatsächlichen Vorstellungen des Täters entscheidend; nicht ausreichend sind Feststellungen, die sich auf einen Fahrlässigkeitsvorwurf beschränken, etwa die Wertung, der Täter habe den Erfolg für möglich halten müssen (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2007 – 3 StR 179/07, NStZ 2007, 634 f.).
Rz. 8
Nach diesen Maßstäben leidet das Urteil an einem durchgreifenden Erörterungsmangel. Denn die getroffenen Feststellungen verhalten sich nicht zu einer möglichen Korrektur des Vorstellungsbildes des Angeklagten während des Verlegens der Atemwege und im weiteren Verlauf bis zum Erscheinen der Polizei. Zur eingehenden Erörterung hätte indes Anlass bestanden, weil – anders als zunächst vom Angeklagten angenommen – der Nebenkläger nicht alsbald an den mit Tötungsvorsatz beigebrachten Verletzungen verstarb, sondern noch zu Hilferufen in der Lage war und sich sein – tatsächlich nicht konkret lebensbedrohlicher – Zustand eine geraume Zeitspanne, in der der Angeklagte die Lebenszeichen vernehmen konnte, nicht wesentlich verschlechterte. Daher erscheint es jedenfalls als möglich, dass der Angeklagte im Zeitraum nach der letzten Ausführungshandlung bis zum Eintreffen der Polizei nicht mehr davon ausging, den Nebenkläger tödlich verletzt zu haben. Die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe in der Zeit nach der Tat keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gewonnen und er müsse in dem Bewusstsein des Schnittes in den Hals des Nebenklägers zumindest für möglich gehalten haben, dass dieser noch stirbt, genügt bei dieser Sachlage nicht. Auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen ist daher ein unbeendeter Versuch nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
Rz. 9
b) Durchgreifenden Bedenken begegnet auch die Annahme der Strafkammer, in Anwendung des Zweifelssatzes sei davon auszugehen, dass der Angeklagte dem Nebenkläger den Schnitt in den Hals vor dem Gang in die Küche und nicht erst danach beibrachte, weil er sonst wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen zu verurteilen gewesen wäre.
Rz. 10
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine natürliche Handlungseinheit grundsätzlich dann vor, wenn mehrere strafrechtlich relevante Handlungen des Täters, die durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind, in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen und sein gesamtes Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als einheitliches Tun erscheint (BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Beschluss vom 25. November 1992 – 3 StR 520/92, NStZ 1993, 234); dabei begründet auch der Wechsel eines Angriffsmittels nicht ohne Weiteres die Annahme einer Zäsur (BGH, Urteil vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274). Wegen des engen Zusammenhanges der Ausführungshandlungen und des durchgehend vorhandenen Tötungswillens hätte die kurze Unterbrechung des Geschehens durch den Gang in die Küche und der Wechsel von den Schlagwerkzeugen zu dem Messer die natürliche Handlungseinheit zwischen den Angriffen auf das Leben des Nebenklägers nicht unterbrochen. Es wäre mithin in dieser Sachverhaltsvariante eine Verurteilung nur wegen Totschlagsversuchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Betracht gekommen.
Rz. 11
3. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Becker, Schäfer, Gericke, Tiemann, Hoch
Fundstellen
Haufe-Index 10871772 |
JR 2018, 113 |
NStZ 2017, 459 |
RÜ 2017, 572 |
StV 2018, 707 |
StV 2018, 716 |