Verfahrensgang
OLG Köln (Entscheidung vom 08.05.2023; Aktenzeichen 19 U 48/20) |
LG Köln (Entscheidung vom 17.12.2019; Aktenzeichen 21 O 8/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin und der Drittwiderbeklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 8. Mai 2023 wird als unzulässig verworfen.
Von den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin 60 % und die Drittwiderbeklagten jeweils 20 %. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten im Nichtzulassungs-beschwerdeverfahren selbst.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 15.000 € (10.000 € für die Klage; 5.000 € für die Widerklage/Drittwiderklage). Hieran ist die Klägerin in Höhe von 15.000 € beteiligt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin und die Beklagten sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Die Grundstücke wurden 1953 von einer Wohnungsbaugesellschaft als Teil eines architektonischen Gesamtbauprojekts in der Weise mit Wohngebäuden bebaut, dass die auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze stehende westliche Außenwand des Hauses der Beklagten zugleich als Terrassenwand bzw. Wand des Freisitzes des Hauses der Klägerin dient. Auf deren Grundstück steht eine ca. 50 Jahre alte Hainbuche, deren Wurzeln bis zu 75 cm an die Grenze zu dem Grundstück der Beklagten heranreichen. Die Drittwiderbeklagten, die Geschäftsführerin der Klägerin und deren Ehemann, bewohnen das Haus der Klägerin. Die Beklagten wollen auf ihrem Grundstück einen Neubau errichten und haben ihr Wohngebäude abreißen lassen. Nicht abgerissen wurde bislang die auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze stehende westliche Außenwand (nachfolgend: Mauer). Gegen deren Abriss erwirkte die Klägerin eine einstweilige Verfügung.
Rz. 2
Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagten mit einem Haupt- und einem Hilfsantrag auf Unterlassung des Abrisses der Mauer sowie auf Unterlassung von Erdarbeiten in Anspruch, die schädigende Wirkung auf die Struktur bzw. Standfestigkeit der Mauer sowie auf die Hainbuche haben, dies jeweils unter Androhung von Ordnungsmitteln. Mit der Widerklage verlangen die Beklagten von der Klägerin und den Drittwiderbeklagten die Duldung der Nutzung eines 1,5 Meter breiten Streifens auf dem Grundstück der Klägerin entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze zum Zwecke des Abrisses der Mauer. Das Landgericht hat der Unterlassungsklage hinsichtlich der Mauer nach dem Hauptantrag stattgegeben und sie hinsichtlich der Hainbuche insgesamt abgewiesen; die (Dritt)Widerklage hat es ebenfalls abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die wechselseitigen Berufungen der Klägerin und der Beklagten die Klage abgewiesen und der (Dritt)Widerklage stattgegeben; die Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgen die Klägerin und die Drittwiderbeklagten ihre Anträge weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Rz. 3
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und der Drittwiderbeklagten ist unzulässig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Rz. 4
1. Für die Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist der Wert des Beschwerdegegenstands aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend; um dem Revisionsgericht die Prüfung dieser Zulässigkeitsvoraussetzung zu ermöglichen, muss der Beschwerdeführer innerhalb laufender Begründungsfrist darlegen und glaubhaft machen, dass er mit der Revision das Berufungsurteil in einem Umfang, der die Wertgrenze von 20.000 € übersteigt, abändern lassen will (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZR 94/15, juris Rn. 5; Beschluss vom 21. März 2019 - V ZR 127/18, WuM 2019, 349 Rn. 4).
Rz. 5
2. Mit der Revision, deren Zulassung die Klägerin erstrebt, will sie ihre Unterlassungsklage und den Antrag auf Abweisung der Widerklage in vollem Umfang weiterverfolgen. Dass die sich daraus ergebende Beschwer 20.000 € übersteigt, hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht.
Rz. 6
a) In Bezug auf die Abweisung der Klage auf Unterlassung der Eigentumsstörung bemisst sich die Beschwer der Klägerin nach ihrem Interesse an der Unterlassung der Störung; dieses Interesse ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gemäß § 3 ZPO zu bestimmen (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZR 94/15, juris Rn. 7; Beschluss vom 11. November 2021 - V ZB 21/21, WuM 2022, 177 Rn. 6; Beschluss vom 7. Juli 2022 - V ZB 75/21, NJW-RR 2022, 1669 Rn. 7). Anhaltspunkte für die Bemessung des Interesses können ein Wertverlust des Eigentums oder sonstige durch die behaupteten Störungen unmittelbar entstehende Nachteile sein (vgl. Senat, Beschluss vom 24. September 2020 - V ZR 296/19, juris Rn. 5). Die Kosten, die für die Beklagten mit der zu unterlassenden Handlung verbunden sind, entsprechen dagegen nicht dem Interesse der Klägerin an der Unterlassung der Störung (vgl. Senat, Beschluss vom 21. März 2019 - V ZR 127/18, WuM 2019, 349 Rn. 6).
Rz. 7
aa) Ihr Interesse an der Unterlassung bewertet die Klägerin in der Nichtzulassungsbeschwerde mit mindestens 25.000 €. Hiermit kann sie aber schon deshalb nicht gehört werden, weil die Vorinstanzen den Gesamtstreitwert für die Unterlassungsklage und für die Widerklage auf nur 15.000 € festgesetzt haben, sich daraus ein Wert für die Klage von jedenfalls nicht mehr als 15.000 € ergibt, dieser Wert den Angaben der Klägerin in der Klageschrift entspricht, und die Klägerin erstmals nach Abschluss des Berufungsverfahrens mit der Gegenvorstellung eine abweichende Festsetzung des Streitwerts verlangt hat.
Rz. 8
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es einer Partei verwehrt, sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf der Grundlage neuen Vorbringens auf einen höheren, die erforderliche Rechtsmittelbeschwer erreichenden Streitwert der Klage zu berufen, wenn sie die Streitwertfestsetzung in den Vorinstanzen nicht beanstandet und auch nicht glaubhaft gemacht hat, dass bereits in den Vorinstanzen vorgebrachte Umstände, die die Festsetzung eines höheren Streitwerts - und einer damit einhergehenden entsprechenden Beschwer - rechtfertigen, nicht ausreichend berücksichtigt worden sind (vgl. Senat, Beschluss vom 24. September 2020 - V ZR 296/19, juris Rn. 7; Beschluss vom 20. Januar 2022 - V ZR 78/21, juris Rn. 7; jeweils mwN). Bemessen sich Streitwert und Beschwer nach dem Wert eines Grundstücks, muss sich deshalb die klagende Partei im Grundsatz an dem von ihr als Streitwert angegebenen Wert festhalten lassen (vgl. Senat Beschluss vom 20. Februar 2020 - V ZR 167/19, WuM 2020, 308 Rn. 6 mwN; Beschluss vom 20. Januar 2022 - V ZR 78/21, aaO).
Rz. 9
(2) Dies gilt gleichermaßen, wenn der Streitwert der Klage von den Vor-instanzen auf der Grundlage der Angaben in der Klageschrift festgesetzt worden ist und die klagende Partei erstmals nach ihrem Unterliegen in der Berufungsinstanz mit der Streitwertbeschwerde oder Gegenvorstellung eine abweichende Festsetzung auf einen 20.000 € übersteigenden Betrag beantragt. Denn in diesem Fall - und so auch hier - dient die Streitwertbeschwerde oder Gegenvorstellung ersichtlich allein dazu, der unterlegenen Partei die Nichtzulassungsbeschwerde zu eröffnen, die nach ihren bisherigen Angaben zu dem Wert der eigenen Klage nicht statthaft ist.
Rz. 10
bb) Aber auch unabhängig davon wäre das Vorbringen der Klägerin in der Gegenvorstellung, auf das die Beschwerde verweist, zur Darlegung und Glaubhaftmachung einer 20.000 € übersteigenden Beschwer durch die Abweisung der Klage nicht geeignet. Die Klägerin erkennt zwar, dass die Kosten, die die Beklagten im Zusammenhang mit der Beseitigung der Mauer aufwenden müssen, nicht ihrem Interesse an der Unterlassung der Eigentumsstörung entsprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. März 2019 - V ZR 127/18, WuM 2019, 349 Rn. 6). Gleichwohl legt sie aber lediglich solche Kosten dar, die für den Abriss der Mauer, den Abtransport und die Entsorgung der Mauerteile sowie für die anschließende Wiederherrichtung des Grundstücks anfallen, und macht geltend, diese Kosten würden einen Betrag von 20.000 € übersteigen. Zu dem Wertverlust, den ihr Grundstück durch die Beseitigung der Mauer erleidet, macht sie hingegen keine Angaben. Dasselbe gilt in Bezug auf die Hainbuche. Insoweit legt die Klägerin nur dar, der Baum werde durch die beabsichtigten Abgrabungen eingehen und für einen Ersatzbaum müsse nach der Auskunft einer Baumschule ein Betrag von 25.000 € gezahlt werden; glaubhaft gemacht hat sie diese Angaben aber nicht. Welchen Wertverlust ihr Grundstück dadurch erleidet, lässt sich dem Vorbringen zudem nicht entnehmen (zur Wertermittlung bei Schädigung von Gehölzen vgl. Senat, Urteil vom 25. Januar 2013 - V ZR 222/12, BGHZ 196, 111 Rn. 7).
Rz. 11
b) In Bezug auf die Verurteilung der Klägerin zur Duldung ist ebenfalls nicht, auch nicht unter Zusammenrechnung der mit der mit der Klageabweisung verbundenen Beschwer, eine 20.000 € übersteigende Beschwer dargelegt und glaubhaft gemacht. Zwar ist die beklagte Partei - wie hier die Klägerin als Widerbeklagte -, deren Beschwer aus einer Verurteilung nicht dem Streitwert der Klage entspricht, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht gehindert, sich zur Glaubhaftmachung ihrer nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Rechtsmittelbeschwer auf neues Vorbringen zu stützen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZR 118/22, NJW-RR 2023, 839 Rn. 7). An einem solchen Vorbringen fehlt es aber.
Rz. 12
aa) Maßgebend für die Bemessung der Beschwer der Klägerin ist das wirtschaftliche Interesse an der Abwehr des Duldungsanspruchs (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juni 2011 - V ZB 293/10, Grundeigentum 2011, 1080 Rn. 9 mwN). Der Umfang der Beschwer beurteilt sich nach der angegriffenen Verurteilung. Danach ist die Klägerin zu einer Duldung der Inanspruchnahme ihres Grundstücks für die Zeit der Abrissarbeiten verpflichtet worden. Nur die mit dieser vorübergehenden Duldungsverpflichtung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile der Klägerin sind für die Bemessung ihrer Beschwer maßgeblich. Beeinträchtigungen, die von den Abrissarbeiten selbst ausgehen, haben dagegen außer Betracht zu bleiben, da eine Verpflichtung zur Duldung solcher Beeinträchtigungen nicht Gegenstand der Verurteilung der Klägerin ist (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juni 2011 - V ZB 293/10, aaO).
Rz. 13
bb) An einer Darlegung des Werts der so zu bemessenden Beschwer fehlt es. Zu dem wirtschaftlichen Nachteil, der der Klägerin durch die vorübergehende Nutzung des Streifens ihres Grundstücks während der Abrissarbeiten durch die Beklagten entsteht, ist nichts vorgetragen. Auch im Wege der Schätzung kann hierfür nur ein geringer Wert veranschlagt werden.
Rz. 14
3. Auch die Drittwiderbeklagten, die mit der Revision, deren Zulassung sie erstreben, die Abweisung der Widerklage erreichen wollen, haben eine 20.000 € übersteigende Beschwer nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Die Beschwerde befasst sich mit der Drittwiderklage überhaupt nicht.
III.
Rz. 15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO. Den Gegenstandswert für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit den Vorinstanzen auf insgesamt 15.000 € festgesetzt (10.000 € für die Klage; 5.000 € für die Widerklage/Drittwiderklage; § 3 ZPO).
Brückner |
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Göbel |
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Haberkamp |
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Laube |
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Grau |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16256655 |