Verfahrensgang
LG Hof (Urteil vom 28.09.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 28. September 2018 im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tatmehrheit mit gewerbsmäßigem und lebensgefährdendem Einschleusen von Ausländern schuldig ist; die erlittene Auslieferungshaft wird im Verhältnis 1: 2 auf die erkannte Strafe angerechnet.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tatmehrheit mit gewerbsmäßigem und lebens- und gesundheitsgefährdendem Einschleusen von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Nach den Urteilsfeststellungen fasste der Angeklagte vor dem Jahr 2016 den Entschluss, sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Gewicht dadurch zu verschaffen, dass er wiederholt Ausländern gegen Entgelt dazu verhalf, ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel nach Europa und insbesondere in das Bundesgebiet einzureisen. In zwei Fällen beauftragte er den anderweitig Verfolgten E. mit der Durchführung folgender Schleusungsfahrten:
Rz. 3
1. Anfang des Jahres 2016 verbrachte E. im Auftrag des Angeklagten 14 Personen syrischer und irakischer Staatsangehörigkeit in einem Lkw von S. (Bulgarien) in die Nähe von M.. Der Angeklagte, der mehr als 10.000 Euro für seine Tätigkeit erhielt, entlohnte E. für dessen Fahrertätigkeit mit 10.000 Euro (Fall II.2. der Urteilsgründe).
Rz. 4
2. Am 6./7. Februar 2017 beförderte E. im Auftrag des Angeklagten mindestens 35 Personen türkischer, irakischer und syrischer Staatsangehörigkeit ohne erforderlichen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland auf der Ladefläche eines Sattelgespanns, das ihm der Angeklagte zur Verfügung gestellt hatte, von T. (Rumänien) über Ungarn und Österreich nach H.. Die Fahrt dauerte etwa 20 Stunden, während derer die Personen die Ladefläche des Lkw nicht verlassen durften. Während der Fahrt herrschten durchgehend Außentemperaturen um oder unter dem Gefrierpunkt. Die Ladefläche war nicht beheizt. Sie verfügte nicht über eine feste Außenkonstruktion und war nur durch eine Plane vor Fahrtwind und Außentemperaturen geschützt. Obwohl sich die Geschleusten alle verfügbaren Kleidungsstücke anzogen, froren viele von ihnen „extrem”. Ihre Notdurft mussten sie in Plastikflaschen oder -tüten verrichten. Auf der Ladefläche befand sich zudem ungesicherte Fracht in Form von Paletten mit Möbelstücken und Kisten. Die Geschleusten hielten sich ungesichert zwischen der Fracht oder auf ihr auf (Fall II.1. der Urteilsgründe).
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
1. Der Senat ändert den Schuldspruch ab, da sich im Fall II.1. der Urteilsgründe die Tat entgegen der Auffassung des Landgerichts lediglich als gewerbsmäßiges und lebensgefährdendes Einschleusen von Ausländern darstellt. Der Qualifikationstatbestand der Herbeiführung der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 3. Alt. AufenthG) ist nicht erfüllt.
Rz. 6
a) Das Landgericht hat im Fall II.1. der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei die Tatbestandsvarianten der Gewerbsmäßigkeit (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) sowie der Aussetzung einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 1. Alt. AufenthG) als verwirklicht angesehen.
Rz. 7
Das Merkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung entspricht der Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, so dass die dazu geltenden Grundsätze zur Auslegung herangezogen werden können (vgl. MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 36). Das Merkmal ist erfüllt, wenn die Behandlung, der der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt ist, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen; eine konkrete Gefährdung des Lebens muss noch nicht eingetreten sein (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2004 – 4 StR 43/04 Rn. 16; MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 36; Hailbronner, Ausländerrecht [Stand: August 2012], § 96 AufenthG Rn. 32; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze [Stand: Juli 2014], § 96 AufenthG Rn. 27). Angesichts der festgestellten Außentemperaturen und des Transports zwischen ungesichertem, sperrigem Frachtgut hat das Landgericht ohne Rechtsfehler in den konkreten Bedingungen der Beförderung eine Gefahr für das Leben der Geschleusten angenommen.
Rz. 8
b) Das Herbeiführen der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung im Sinne von § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 3. Alt. AufenthG wird von den Feststellungen hingegen nicht getragen. Denn diese Tatbestandsvariante setzt anders als das Merkmal einer lebensgefährdenden Behandlung eine konkrete Gefahr voraus.
Rz. 9
Der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung wird ein Ausländer ausgesetzt, wenn er während der Schleusung in die konkrete Gefahr gebracht wird, dass eine der in § 226 Abs. 1 StGB genannten schweren Folgen oder eine diesen nahekommende Schädigung eintritt (vgl. BeckOK AuslR/ Hohoff, 22. Ed., § 96 AufenthG Rn. 20; GK-AufenthG/Mosbacher [Stand: Juli 2008], § 96 Rn. 44; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 225 Rn. 18). Dieses Merkmal entspricht den Qualifikationen unter anderem in § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB und § 330 Abs. 2 Nr. 1 StGB (vgl. MüKoStGB/ Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 38). Für eine konkrete Gefahr ist erforderlich, dass die Sicherheit des Geschleusten nach objektiv-nachträglicher Prognose so stark beeinträchtigt ist, dass das Eintreten oder Ausbleiben einer schweren Gesundheitsschädigung nur noch vom Zufall abhängt (vgl. zu § 306a StGB BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013 – 2 StR 64/13 Rn. 8; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 306a Rn. 10). Den Eintritt einer konkreten Gefahr in diesem Sinne hat das Landgericht nicht festgestellt. Weitergehende Feststellungen dazu sind nicht zu erwarten. Die vom Landgericht tenorierte Tatbestandsvariante entfällt daher.
Rz. 10
c) Soweit die Strafkammer im Fall II.1. der Urteilsgründe nicht geprüft hat, ob eine – von wesentlichen Willensmängeln freie – Einwilligung der Geschleusten mit der Art und Weise ihrer Beförderung die Qualifikation des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG entfallen lassen kann, begründet dies keinen Rechtsfehler.
Rz. 11
In Rechtsprechung und Literatur ist bislang nicht abschließend geklärt, ob eine – von wesentlichen Willensmängeln freie – Einwilligung des Geschleusten mit der Art und Weise seiner Behandlung die Qualifikation des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG entfallen lassen kann. Während der Bundesgerichtshof die Frage bislang nicht entschieden hat (offen gelassen Senat, Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 StR 212/18 Rn. 11), wird in der Literatur eine rechtfertigende Einwilligung mit dem Argument als wirksam angesehen, dass das Ausländerstrafrecht eine Einschränkung der Verfügungsbefugnis über die höchstpersönlichen Rechtsgüter Leib und Leben über die allgemeinen Vorschriften des Strafgesetzbuchs (§§ 216, 228 StGB) hinaus nicht bezweckt (vgl. Fahlbusch in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 74; Bergmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl., § 96 Rn. 64; GK-AufenthG/Mosbacher [Stand: Juli 2008], § 96 Rn. 47 f.).
Rz. 12
Die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung ist ausgehend von dem durch die Schleusungstatbestände in §§ 96, 97 AufenthG geschützten Rechtsgut zu beantworten. Die Vorschriften in §§ 96, 97 AufenthG dienen primär der Bekämpfung der Schleuserkriminalität und damit der Kontroll- und Steuerungsfunktion des ausländerrechtlichen Genehmigungsverfahrens (MüKoStGB/ Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 1) und somit einem nicht disponiblen Allgemeininteresse. Zudem dienen die Strafvorschriften – auch im Grundtatbestand des § 96 Abs. 1 AufenthG – dem Schutz der Migranten (vgl. Art. 2 des Zusatzprotokolls gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität vom 15. November 2000, BGBl. II 2005, S. 1007, 1008). Dafür, dass durch den Grundtatbestand bereits Individualinteressen (mit-)geschützt werden, spricht auch die Erfolgsqualifikation in § 97 AufenthG, die – entsprechend allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen – gerade einen gefahrspezifischen Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt des § 96 AufenthG und der besonderen Folge voraussetzt (vgl. BeckOK AuslR/ Hohoff, 22. Ed., § 97 AufenthG Rn. 3 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 66. Aufl., § 18 Rn. 2; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 18 Rn. 8 jeweils mwN). Damit dient der Qualifikationstatbestand insgesamt dem kumulativen Schutz eines indisponiblen und eines disponiblen Rechtsguts. Die Einwilligungsbefugnis in die Gefährdung individueller Rechtsgüter kann in derartigen Konstellationen nicht abstrakt festgelegt werden, sondern ist im Sachzusammenhang des jeweiligen Normenbereichs zu bestimmen (vgl. grundlegend Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, S. 98 ff.). Maßgeblich ist insoweit, dass § 96 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG vorrangig ein Rechtsgut der Allgemeinheit schützt, das ebenfalls geschützte Individualinteresse des Geschleusten sich lediglich als sekundäres Teilunrecht, also als bloße Steigerung des Unrechts darstellt (vgl. Sternberg-Lieben aaO S. 100 f.). Vor diesem Hintergrund wäre eine Einwilligung des betroffenen Ausländers in eine Gefährdung seiner Person unwirksam. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass – wie Art. 2 des Zusatzprotokolls zeigt – nach Auffassung des nationalen Gesetzgebers und der internationalen Staatengemeinschaft mit einer Schleusung typischerweise Gefahren für Leib und Leben der Geschleusten verbunden sind und im Fall illegaler Migration typischerweise eine Schwächesituation des Geschleusten gegenüber dem Schleuser gegeben ist.
Rz. 13
2. Einer Aufhebung der im Fall II.1. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe bedarf es nicht. Der Senat kann angesichts der bei der konkreten Strafzumessung im Fall II.1. der Urteilsgründe aufgeführten Erwägungen ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Beurteilung dieser Tat eine geringere Einzelfreiheitsstrafe verhängt hätte, da die Strafkammer auf das Vorliegen mehrerer Qualifikationsvarianten des § 96 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht strafschärfend abgestellt hat.
Rz. 14
3. Die Revision des Angeklagten hat – entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – zudem insoweit Erfolg, als die vom Angeklagten in Bulgarien erlittene Freiheitsentziehung im Maßstab 1: 2 auf die Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB). Das Landgericht hat den Anrechnungsmaßstab in den Urteilsgründen angeführt, diesen aber nicht im Urteilstenor aufgenommen. Der Senat holt dies entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nach.
Rz. 15
4. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Unterschriften
Jäger, Bellay, Hohoff, Leplow, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 13211221 |
NStZ 2019, 7 |
NStZ 2020, 677 |
NStZ-RR 2019, 6 |
NJW-Spezial 2019, 474 |
StV 2020, 609 |