Entscheidungsstichwort (Thema)
unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 9. August 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und ein sichergestelltes Handy eingezogen. Mit der Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts wendet sich der Beschwerdeführer gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
I. Nach den Feststellungen gehörte der Angeklagte zu den Hintermännern eines gescheiterten Rauschgiftgeschäftes, bei dem 30 kg Heroin und 1 kg Kokain für 670.000 DM an die polizeiliche Vertrauensperson B. verkauft werden sollten. Nach deren Angaben kam es zu zahlreichen Treffen, bei denen für die Verkäuferseite unterschiedliche Personen tätig wurden. Der Angeklagte soll an fünf solcher Treffen teilgenommen und dabei neben weiteren im einzelnen dargestellten Handlungen die Vertrauenswürdigkeit des Scheinaufkäufers B. überprüft und seine Beteiligung an dem geplanten Geschäft mit zunächst 10 bis 12 kg, dann mit 8 kg Heroin angegeben haben.
II. Die Beweiswürdigung unterliegt durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des nicht vorbestraften, die Tat bestreitenden Angeklagten auf die Angaben der Vertrauensperson, die diese gegenüber ihrem Führungsbeamten KHK E. in einer Vernehmung zwei Monate nach der Tat und in vier weiteren Nachvernehmungen während der Zeit der Hauptverhandlung gemacht und die dieser als Zeuge in der Hauptverhandlung wiedergegeben hat. Von der Glaubwürdigkeit der Vertrauensperson konnte sich die Strafkammer nicht unmittelbar selbst überzeugen, weil der zuständige Innenminister eine Sperrerklärung abgegeben hatte.
Das Urteil muß schon deshalb aufgehoben werden, weil der Tatrichter bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Vertrauensperson einen rechtlich fehlerhaften Maßstab angelegt hat. Die Strafkammer hat die bestreitende Einlassung des Angeklagten als widerlegt angesehen durch die Angaben der Vertrauensperson, die durch eine „Vielzahl von Kriterien” gestützt würden und bei denen „sich im Laufe der Hauptverhandlung in keinem einzigen Punkt das Gegenteil zu der Darstellung der Vertrauensperson herausgestellt” habe (UA S. 22). In den im Laufe der Hauptverhandlung erforderlich gewordenen Nachvernehmungen, die „zu Modifikationen der Schilderung und ihrer Ergänzung durch zahlreiche Details geführt” habe, sei die Vertrauensperson „in keinem Punkt völlig von ihrer ursprünglichen Aussage abgerückt” (UA S. 19). Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß die Angaben der Vertrauensperson „nicht durch andere Beweismittel widerlegt worden” seien (u.a. UA S. 23, 25), andere Beweismittel diesen ihren Angaben nicht entgegenstehen (UA S. 26, 27) oder ihre Richtigkeit in Frage stellten (UA S. 32). Damit ist den Anforderungen der Rechtsprechung an die Glaubwürdigkeitsüberprüfung einer Vertrauensperson nicht Genüge getan.
1. Zwar werden die Angaben der Vertrauensperson teilweise durch andere Beweismittel gestützt. Diese anderen Beweismittel betreffen jedoch nicht die Tatbeteiligung des Angeklagten, sondern Mitangeklagte und andere anderweitig verfolgte Tatverdächtige, die, so die früheren Mitangeklagten H. und Ha., in Abrede gestellt haben, den Angeklagten zu kennen, oder bei denen dahinstehen könne (UA S. 31), ob sie den Angeklagten persönlich kennengelernt hätten.
Damit fehlt es an Beweismitteln, die die Aussage der Vertrauensperson einerseits in bezug auf seine Wahrnehmungen von der Tatbeteiligung des Angeklagten, andererseits von der Zugehörigkeit des Angeklagten zur Personengruppe der Verkäuferseite bestätigen.
2. In dieser besonderen Beweissituation darf die Strafkammer sich bei der Bildung ihrer Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht darauf beschränken, festzustellen und im einzelnen zu begründen, daß und warum sie die Angaben der Vertrauensperson durch die Beweisaufnahme nicht für widerlegt erachtet. Vielmehr muß sie nachprüfbar darlegen, daß die nach ihrer Beurteilung glaubwürdigen Angaben der Vertrauensperson durch ein oder mehrere andere Beweismittel, die auf eine Tatbeteiligung des Angeklagten hinweisen, ihre Bestätigung finden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei der Beurteilung der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen besondere Vorsicht geboten. Handelt es sich bei den von dem Vetrauensperson-Führer bezeugten Angaben um diejenigen eines anonymen Gewährsmanns, so darf darauf eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Angaben durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt worden sind (BGHSt 42, 15, 25; 39, 141, 145 f.; 36, 159, 166 ff.; BVerfG NStZ 1995, 600 – jew. m. w. Nachw.).
III. Darüber hinaus leidet das Urteil an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.
Das Urteil teilt nachvollziehbar mit, daß im Laufe der Hauptverhandlung Nachvernehmungen der Vertrauensperson erfolgen mußten, weil die Vertrauensperson bei ihrer Ursprungsvernehmung nicht wissen konnte, welche Punkte des sehr umfangreichen Sachverhalts, den sie schilderte, besondere Wichtigkeit erlangen könnten (UA S. 18). Im Anschluß daran heißt es: „Dies hat zu Modifikationen der Schilderung und ihrer Ergänzung durch zahlreiche weitere Details geführt, jedenfalls ist die Vertrauensperson in keinem Punkt völlig von ihrer ursprünglichen Aussage abgerückt” (UA S. 19). Sodann nimmt das Landgericht eine umfangreiche Beweiswürdigung vor, ohne indes deutlich zu machen, inwieweit es sich dabei um Modifikationen oder Ergänzungen handelte und welche Beweistatsache gemeint war, bei der die Vertrauensperson nicht völlig von ihrer ursprünglichen Aussage abgerückt ist. In diesem Zusammenhang verweist der Senat auf die in BGHSt 36, 159, 166, 167 niedergelegten Grundsätze. Angesichts der dargelegten Besonderheit der Beweisaufnahme kann das Revisionsgericht nicht nachprüfen, ob das Landgericht die Beweise rechtsfehlerfrei gewürdigt hat.
IV. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Die Revision rügt einen Verstoß gegen §§ 249, 251 und 244 Abs. 2 StPO, weil der Vorsitzende die Einführung von Teilen der Vernehmung der Vertrauensperson im Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO angeordnet hat, ohne – was sich aus der Sitzungsniederschrift auch nicht ergibt – zu kontrollieren, ob die Schöffen von dem Inhalt dieser Vernehmungsprotokolle auch tatsächlich Kenntnis genommen haben. Damit liegt ein Verstoß gegen § 249 Abs. 2 StPO vor, weil der Vorsitzende feststellen muß, daß die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Schriftstücke Kenntnis genommen haben. Diese Feststellung ist gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO im Protokoll zu vermerken. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 StPO. Da schon die Sachrüge durchgreift, kann der Senat die Frage offen lassen, ob auf diesem Verfahrensverstoß das Urteil beruht.
2. Das Landgericht hat das Beweisbegehren auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, daß es unmöglich ist, zwischen 21.07 Uhr und 23.58 Uhr am gleichen Abend die Strecke Neuss, Further Straße und Frankfurt-Innenstadt und zurück mit einem schnellen Auto unter optimalen Verkehrsbedingungen zurückzulegen, als Beweisantrag behandelt und diesen als ohne Bedeutung zurückgewiesen, da keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß das von der Vertrauensperson geschilderte Treffen in Frankfurt Innenstadt stattgefunden habe (Verfahrensrüge Nr. 17). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift fehlt es bei diesem Antrag nicht schon an der erforderlichen Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung (vgl. dazu BGHSt 43, 321, 329 f. m.w.Nachw.), da dem Antrag entnommen werden kann, daß durch das Beweismittel bewiesen werden sollte, daß der Angeklagte in dem angegebenen Zeitraum nicht an einem Treffen in Frankfurt teilgenommen haben konnte.
Entsprechendes gilt für die Verfahrensrügen Nr. 18 und 19.
3. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Generalbundesanwalts, daß die Verfahrensrügen Nr. 24 bis 29 – in denen die Nichtverwertung aufgezeichneter und in der Hauptverhandlung abgehörter Telefongespräche zwischen dem Angeklagten und der Vertrauensperson, aufgezeichnete und als Urkunden verlesene Telefonate und als Urkunden verlesene Aussagen der Vertrauensperson beanstandet wird – keine verfahrensrechtlichen Verstöße belegen, sondern im Rahmen der Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge berücksichtigt werden müssen. Denn dem Revisionsführer darf nicht die Möglichkeit genommen werden, sein Rechtsmittel auf Verfahrensvorgänge zu stützen, die in den Urteilsgründen nicht behandelt werden.
4. Der Strafausspruch begegnet ebenfalls Bedenken. Die angesichts der gegen den nicht vorbestraften Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von neun Jahren sehr knappen und meist formelhaften Strafzumessungsgründe lassen nicht erkennen, ob der Tatrichter alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei gewürdigt und gegeneinander abgewogen hat. Im vorliegenden Fall hätte zudem ein Eingehen auf die Höhe der Strafen der Mitangeklagten nahegelegen, die trotz erheblich gewichtigerer Tatbeiträge, insbesondere trotz Fortführung des gescheiterten Rauschgiftgeschäfts sowie weiterer Rauschgiftdelikte zu erheblich niedrigeren Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (vgl. dazu BGHR StGB § 46 Zumessungsfehler 1; Wertungsfehler 23).
Unterschriften
VRiBGH Kutzer ist krank und kann daher nicht unterschreiben. Winkler, RiBGH Dr. Rissing-van Saan ist in Urlaub und kann daher nicht unterschreiben. Winkler, Miebach, Winkler, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 540664 |
NStZ 2000, 607 |
StV 2000, 603 |