Leitsatz (amtlich)
Bei einer über dem Durchschnitt liegenden Anzahl von Zählpunkten pro Anschlusspunkt ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter zur Ermittlung der proportional mengenabhängigen Kostenanteile je Zählpunkt einen Kostennachweis heranzieht, in den die Kosten aller vorhandenen Zählpunkte eingeflossen sind. Die theoretische Möglichkeit, dass dabei einzelne Kostenpositionen noch Synergie- oder Degressionseffekte enthalten könnten, steht dem nicht entgegen.
Normenkette
ARegV § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 03.12.2014; Aktenzeichen VI-3 Kart 180/09 (V)) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des OLG Düsseldorf vom 3.12.2014 wird zurückgewiesen.
Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 421.020 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz in Sachsen, an das mehr als 100.000 Kunden unmittelbar oder mittelbar angeschlossen sind. Mit Beschluss vom 3.2.2009 setzte die Bundesnetzagentur die einzelnen Erlösobergrenzen für die Jahre 2009 bis 2013 niedriger als von der Betroffenen begehrt fest. Zudem lehnte sie die von der Betroffenen begehrte Bereinigung des Effizienzwerts nach § 15 Abs. 1 ARegV ab.
Rz. 2
Mit ihrer Beschwerde hat die Betroffene, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse, geltend gemacht, der Effizienzwert sei wegen der in ihrem Netz im Verhältnis zu den Anschlusspunkten überdurchschnittlich hohen Zahl von Zählpunkten zu bereinigen. Das Beschwerdegericht hat den Beschluss der Bundesnetzagentur aufgehoben und diese verpflichtet, den Festlegungsbeschluss mit der Maßgabe neu zu erlassen, dass die Betroffene u.a. eine Bereinigung des Effizienzwerts wegen des Verhältnisses der Anzahl der Zählpunkte zur Anzahl der Anschlusspunkte verlangen könne. Hiergegen richtet sich die - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 5
Die Betroffene könne eine Bereinigung des Effizienzwerts im Hinblick auf das Verhältnis der Anzahl der Zählpunkte zur Anzahl der Anschlusspunkte verlangen. Die im Netz der Betroffenen über dem Durchschnitt liegende Anzahl von 164.690 Zählpunkten bei 23.146 Anschlusspunkten, d.h. 7,11 Zählpunkten pro Anschlusspunkt, stelle eine Besonderheit ihrer Versorgungsaufgabe i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV in der bis zum 21.8.2013 geltenden Fassung dar, weil dieses Verhältnis durchschnittlich nur 2,85 betrage.
Rz. 6
Die Betroffene habe auch dargelegt, dass sich die nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ARegV ermittelten Kosten infolge dieser Besonderheit um mehr als drei Prozent erhöhten. Nach der Rechtsprechung des BGH sei insoweit ein Nachweis derjenigen Mehrkosten erforderlich, die gerade dadurch entstünden, dass die Anzahl der Zählpunkte pro Anschlusspunkt über dem Durchschnitt liege. Diese Mehrkosten beliefen sich hier auf 1.032.807,28 EUR und lägen damit über der Erheblichkeitsschwelle i.H.v. unstreitig 807.601 EUR. Die Betroffene habe zutreffend zwischen mengenabhängigen (variablen) und mengenunabhängigen (fixen) Kosten unterschieden und die Mehrkosten ausschließlich auf der Basis der mengenabhängigen Kosten unter Zugrundelegung des von ihr mit 60 % bezifferten Anteils der Mehrzähler berechnet. Im Ergebnis mache es keinen Unterschied, wenn insoweit - wie vom Beschwerdegericht - mit dem rechnerisch exakten Anteil von 59,94 % gerechnet werde.
Rz. 7
Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur sei die Betroffene nicht gehalten, die Kosten anschlusspunktbezogen zu ermitteln und diejenigen Anschlusspunkte für den Mehrkostennachweis außer Betracht zu lassen, an denen keine überdurchschnittliche Anzahl von Zählpunkten vorhanden sei. Angesichts der Anzahl der Zählpunkte der Betroffenen würde dies oder gar eine zählpunktescharfe Ermittlung der Mehrkosten deren Nachweis unzumutbar erschweren. Soweit die Betroffene der Annahme der Bundesnetzagentur, eine Mehrzahl von Zählpunkten pro Anschlusspunkt führe zu Synergieeffekten bei dem für die Zählerablesung vor Ort anfallenden Personalaufwand, nicht schlüssig entgegengetreten sei, könnten solche nicht auszuschließenden Synergieeffekte dadurch bereinigt werden, dass die entsprechenden Kostenpositionen ganz oder teilweise den fixen Kosten zugeordnet würden. Im Streitfall würden selbst bei vollständiger Außerachtlassung derjenigen Kostenpositionen, bei denen die Betroffene Synergieeffekte nicht habe ausschließen können, die verbleibenden Mehrkosten den Schwellenwert übersteigen.
Rz. 8
Die Betroffene habe die Kostenarten, bei denen eine erhöhte Anzahl von Zählpunkten zu Mehrkosten führen könne, zutreffend bei dem Aufwand für Messungen und für die Abrechnung in der Niederspannung identifiziert und zu Recht sämtliche Verwaltungsgemeinkosten für den Mehrkostennachweis außer Betracht gelassen. Den Unterschieden zwischen verschiedenen Zählergruppen habe sie in ausreichender Weise dadurch Rechnung getragen, dass sie ausschließlich die Zählpunkte der Haushalts- und kleinen Gewerbekunden berücksichtigt habe.
Rz. 9
Im Hinblick auf die Kosten des Messstellenbetriebs Niederspannung habe die Betroffene den Mehraufwand bei den anfallenden Materialkosten einschließlich der Kosten für Fremdleistungen und bei den in Eigenleistung erbrachten Montagearbeiten der Sache nach - von der Bundesnetzagentur nicht angegriffen - mit 151.965 EUR und 162.735,95 EUR richtig ermittelt. Dagegen seien die für die Zählerablesung vor Ort anfallenden geschlüsselten Personalkosten wegen möglicher Synergieeffekte wie auch die - an sich anzuerkennenden - Personalkosten für die Eingabe der Ableseergebnisse, für Kontrollablesungen und für die Daten- und Belegpflege mangels präziser Zuordnung nicht zu berücksichtigen. Die Betroffene habe ferner zu Recht die Kapitalkosten, d.h. kalkulatorische Abschreibungen (168.905,01 EUR), kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung (143.486,18 EUR) und kalkulatorische Gewerbesteuer (26.354,96 EUR), sowie die Verluste aus dem Abgang von Anlagevermögen (187.287,25 EUR) als mengenabhängig bewertet und kostenmindernde Erlöse i.H.v. 29.731 EUR abgezogen.
Rz. 10
Im Hinblick auf die Kosten der Abrechnung Niederspannung habe die Betroffene für die Kostenstellen "Verbrauchsabrechnung" und "Zählerwesen/Außendienst" die Personalkosten zutreffend ausgesondert und auf dieser Basis die Mehrkosten - von der Bundesnetzagentur nicht angegriffen - mit 246.991,15 EUR richtig ermittelt sowie kostenmindernde Erlöse i.H.v. 2.190,40 EUR abgezogen.
Rz. 11
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 12
a) Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass eine Besonderheit der Versorgungsaufgabe i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV vorliegt, weil dazu - wie hier - auch eine über dem Durchschnitt der Netzbetreiber von Elektrizitätsverteilernetzen liegende Anzahl von Zählpunkten gehören kann (vgl. BGH vom 9.10.2012 - EnVR 88/10, RdE 2013, 22 Rz. 70 ff. - SWM Infrastruktur GmbH; ebenso für die Anzahl der Zählpunkte eines Gasverteilernetzes BGH vom 16.12.2014 - EnVR 54/13, RdE 2015, 183 Rz. 40 m.w.N. - Festlegung Tagesneuwerte II). Dies wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Abrede gestellt.
Rz. 13
b) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des Beschwerdegerichts, die Betroffene habe hinreichend nachgewiesen, dass die überdurchschnittliche Anzahl von Zählpunkten pro Anschlusspunkt die nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ARegV ermittelten Kosten um mindestens drei Prozent (§ 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV in der bis 21.8.2013 geltenden Fassung) erhöht.
Rz. 14
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats können Mehrkosten nur insoweit berücksichtigt werden, als sie durch die in Rede stehende Besonderheit der Versorgungsaufgabe verursacht werden. Besteht die Besonderheit darin, dass eine mit hohen Kosten verbundene Leistung überdurchschnittlich häufig erbracht werden muss, genügt es deshalb nicht, die Mehrkosten allein anhand der Zahl der Leistungseinheiten und der für eine Leistungseinheit durchschnittlich anfallenden Kosten zu berechnen. Vielmehr ist darzulegen und erforderlichenfalls unter Beweis zu stellen, in welchem Umfang die Kosten für diese Leistung - hier die Einrichtung und der Betrieb von Zählpunkten - gerade dadurch angestiegen sind, dass ihr Anteil an den insgesamt erbrachten Leistungen größer ist, als dies dem Durchschnitt entspricht (BGH, Beschl. v. 9.10.2012 - EnVR 88/10, RdE 2013, 22 Rz. 76 f. - SWM Infrastruktur GmbH; v. 16.12.2014 - EnVR 54/13, RdE 2015, 183 Rz. 44 m.w.N. - Festlegung Tagesneuwerte II). Erforderlich ist ein Nachweis der Mehrkosten, die gerade dadurch entstehen, dass die Anzahl der Zählpunkte pro Anschlusspunkt über dem Durchschnitt liegt. Maßgeblich ist insoweit die Kostensituation des betroffenen Netzbetreibers (Senat, Beschl. v. 16.12.2014, a.a.O., - Festlegung Tagesneuwerte II).
Rz. 15
bb) Von diesen Maßgaben ist das Beschwerdegericht ausgegangen. Seine Entscheidung kann in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt überprüft werden. Lediglich wenn die ihr zugrunde liegende Würdigung unvollständig oder widersprüchlich ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, darf das Rechtsbeschwerdegericht eine solche Wertung beanstanden (vgl. BGH, Beschl. v. 16.12.2014 - EnVR 54/13, RdE 2015, 183 Rz. 45 m.w.N. - Festlegung Tagesneuwerte II). Entgegen der Rechtsbeschwerde weist die Beschwerdeentscheidung einen solchen Fehler nicht auf.
Rz. 16
(1) Das Beschwerdegericht hat zunächst zwischen Fixkosten, (möglicherweise aufgrund von Synergieeffekten) degressiv mengenabhängigen Kostenanteilen und proportional mengenabhängigen Kostenanteilen unterschieden. Sodann hat es die proportional mengenabhängigen Kostenanteile der Höhe nach ermittelt und die Mehrkosten nur auf Basis dieser Kostenanteile berechnet, indem es diese - soweit es sich um Kosten pro tatsächlichem Zählpunkt handelt - mit der Anzahl der "überzähligen" Zählpunkte multipliziert oder zu dem Anteil der Mehrzähler ins Verhältnis gesetzt hat.
Rz. 17
(2) Diese Vorgehensweise zum Nachweis der in § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV normierten Voraussetzungen hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
Rz. 18
(a) Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts sind in seine Berechnung nur solche Mehrkosten eingeflossen, die gerade dadurch entstanden sind, dass die Anzahl von Zählpunkten pro Anschlusspunkt über dem Durchschnitt liegt. Dagegen wurden etwaige Mehrkosten, die im Hinblick auf die mit der Zuordnung zu einem gemeinsamen Anschlusspunkt zu erwartende räumliche Nähe der Zählpunkte oder wegen anderer Besonderheiten geringer als die Durchschnittkosten sein könnten, vom Beschwerdegericht zu Lasten der Betroffenen gänzlich unberücksichtigt gelassen. Damit ist den Anforderungen des Senats an den Nachweis der in § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV normierten Voraussetzungen Genüge getan (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 9.10.2012 - EnVR 88/10, RdE 2013, 22 Rz. 77 - SWM Infrastruktur GmbH und EnVR 86/10, ZNER 2012, 609 Rz. 25 sowie vom 16.12.2014 - EnVR 54/13, RdE 2015, 183 Rz. 47 - Festlegung Tagesneuwerte II).
Rz. 19
(b) Gegen diese tatbestandlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg. Das Beschwerdegericht hat seine Feststellungen im Rahmen der freien Würdigung der ihm vorliegenden Beweise getroffen. Damit berührt die Rüge den Kernbereich der tatrichterlichen Würdigung, die in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt überprüft werden kann. Diese Würdigung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Rz. 20
(1) Soweit sich die Rechtsbeschwerde dagegen wendet, dass die Berechnung des Beschwerdegerichts auch die Kosten derjenigen Zählpunkte erfasst, die auf die Zähler entfallen, die nicht über dem Durchschnitt von 2,85 Zählpunkten je Anschlusspunkt liegen, ist dies unerheblich. Das Beschwerdegericht hat seiner Berechnung lediglich die proportional mengenabhängigen Kostenanteile zugrunde gelegt, die nach seinen Feststellungen - unabhängig von der Anzahl der Zählpunkte je Anschlusspunkt - tatsächlich je Zählpunkt anfallen. Die vom Beschwerdegericht seiner Berechnung ausschließlich zugrunde gelegten (rein) proportional mengenabhängigen Kosten für einen einzelnen Zählpunkt enthalten somit keine Kostenanteile, die wiederum von der Anzahl der Zählpunkte pro Anschlusspunkt abhängig sind. Auf dieser Grundlage entspricht die Berechnungsweise des Beschwerdegerichts im Ergebnis derjenigen der Rechtsbeschwerde. Eine darüber hinausgehende kausalitätsscharfe Betrachtung im Sinne einer konkreten Berechnung der Mehrkosten für jeden einzelnen "Mehrzähler" wird von § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV nicht gefordert und fände auch in den Vorgaben der Stromnetzentgeltverordnung zur Darlegung von aufwandsgleichen und kalkulatorischen Kostenpositionen keine rechtliche Grundlage. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter - wie hier das Beschwerdegericht - zur Ermittlung der proportional mengenabhängigen Kostenanteile je Zählpunkt einen Kostennachweis heranzieht, in den die Kosten aller vorhandenen Zählpunkte eingeflossen sind. Die theoretische Möglichkeit, dass einzelne Kostenpositionen noch Synergie- oder Degressionseffekte enthalten könnten, steht dem nicht entgegen.
Rz. 21
(2) Unbehelflich ist auch der Einwand der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe Synergieeffekte, wie sie insb. bei Wartungskosten oder Kosten für die Störungsbeseitigung auftreten würden, für irrelevant gehalten. Das Gegenteil ist der Fall. Das Beschwerdegericht hat solche Kostenanteile gerade wegen möglicher Synergieeffekte von seiner Berechnung ausgenommen.
Rz. 22
(3) Im Hinblick auf die Kapitalkosten rügt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg, dass der pauschalierte Ansatz der Betroffenen die Altersstruktur der Anlagen nicht berücksichtige. Insoweit hat die Rechtsbeschwerde schon keine ordnungsgemäße Verfahrensrüge erhoben, weil sie auf kein entsprechendes Vorbringen der Bundesnetzagentur in der Tatsacheninstanz verweist, das vom Beschwerdegericht übergangen worden ist. Davon abgesehen stellt das Vorbringen der Rechtsbeschwerde eine bloße Mutmaßung dar, die die Feststellungen des Beschwerdegerichts zu dem konkreten Netz der Betroffenen nicht in Frage stellen können und einen Rechtsfehler der tatrichterlichen Würdigung nicht aufzuzeigen vermögen.
Rz. 23
(4) Soweit die Rechtsbeschwerde eine sachgerechte Zuschlüsselung von Gemeinkosten vermisst, geht dieser Einwand ins Leere. Das Beschwerdegericht hat solche Kosten zu Lasten der Betroffenen zur Gänze unberücksichtigt gelassen.
III.
Rz. 24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG.
Fundstellen
JZ 2016, 647 |
RdE 2016, 460 |
ZNER 2016, 405 |