Leitsatz (amtlich)

Eine zulässige Rechtsbeschwerde der Behörde gegen den die Anordnung von Abschiebungshaft ablehnenden Beschluss kann nach der Abschiebung des Betroffenen während des Rechtsbeschwerdeverfahrens zwar nicht mit einem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG fortgeführt werden. Die beteiligte Behörde kann das Rechtsmittel aber auf den Kostenpunkt beschränken und das Verfahren in diesem beschränkten Umfang fortführen (Bestätigung von BGH, Beschl. v. 31.1.2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rz. 6 ff.).

Die in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung vorgesehene Höchstfrist von sechs Wochen gilt nur in dem Fall, dass sich der Betroffene bereits in Haft befindet, wenn eines der beiden in dieser Bestimmung angeführten Ereignisse (Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs oder das Ende der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer solchen Entscheidung) eintritt (im Anschluss an EuGH, Urt. v. 13.9.2017, Khir Amayry, C-60/16, EU:C:2017:675, Rz. 39; Modifizierung von Senat, Beschluss vom 6.4.2017 - V ZB 126/16, InfAuslR 2017, 290).

 

Normenkette

FamFG § 70 Abs. 3 S. 3; Dublin-III-VO Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3

 

Verfahrensgang

LG Landau (Pfalz) (Beschluss vom 03.11.2017; Aktenzeichen 3 T 145/17)

AG Landau (Pfalz) (Beschluss vom 17.10.2017; Aktenzeichen 2 XIV 56/17 B)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Landau in der Pfalz vom 3.11.2017 im Kostenpunkt aufgehoben.

Die Beteiligten tragen ihre außergerichtlichen Kosten in allen Instanzen selbst. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene, ein eritreischer Staatsangehöriger, reiste unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge richtete am 31.10.2016 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Italien. Hierauf reagierte Italien nicht. In der Folgezeit wurde der Asylantrag des Betroffenen als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet.

Rz. 2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das AG mit Beschluss vom 17.10.2017 Haft bis zum 16.1.2018 zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen angeordnet. Auf seine Beschwerde hat das LG den Beschluss des AG aufgehoben und den Antrag der beteiligten Behörde auf Anordnung von Sicherungshaft abgelehnt. Dagegen richtet sich die am 23.11.2017 bei dem BGH eingegangene Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde. Nach der Abschiebung des Betroffenen am 21.12.2017 nach Italien beantragt sie jetzt, nachdem sie zunächst die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des LG beantragt hatte, dem Betroffenen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

II.

Rz. 3

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts durfte Sicherungshaft nicht angeordnet werden, weil die Überstellung des Betroffenen in den zuständigen Mitgliedstaat nicht innerhalb der mit der Vollziehung der Haft beginnenden sechswöchigen Frist des Art. 28 Abs. 3 Dublin-III-VO durchführbar sei.

III.

Rz. 4

1. Die Rechtsbeschwerde der Behörde ist zulässig. Sie ist nach § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, weil sie sich gegen einen eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden Beschluss richtet. Die Rechtsbeschwerde der Behörde ist auch im Übrigen zulässig, insb. ist sie nicht dadurch unzulässig geworden, dass der Betroffene während des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach Italien abgeschoben wurde. Das schließt zwar eine Sachentscheidung über die Haftanordnung aus; mangels Feststellungsinteresses kann die beteiligte Behörde die Rechtsbeschwerde auch nicht mit einem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG aufrechterhalten. Sie kann das Rechtsmittel aber - wie hier geschehen - auf den Kostenpunkt beschränken und das Verfahren in diesem beschränkten Umfang fortführen (vgl. BGH, Beschl. v. 31.1.2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rz. 6 ff.).

Rz. 5

2. Die Entscheidung über die Kosten ist gem. § 83 Abs. 2 i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG nach billigem Ermessen zu treffen. Eine Entscheidung über die Kosten zugunsten des Rechtsbeschwerdeführers hat danach zu ergehen, wenn sein Rechtsmittel ohne die Erledigung der Hauptsache begründet gewesen wäre (Senat, Beschl. v. 19.12.2013 - V ZB 145/13, juris Rz. 5). Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen, dass jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da offen ist, wie das Verfahren ohne das erledigende Ereignis ausgegangen wäre.

Rz. 6

a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts, das sich auf die Entscheidung des Senats vom 6.4.2017 (V ZB 126/16, InfAuslR 2017, 290) stützt, stand Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung der Anordnung von Haft nicht entgegen. Nach dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des EuGH vom 13.9.2017 (Khir Amayry, C-60/16, EU:C:2017:675, Rz. 39) gilt die in dieser Vorschrift vorgesehene Höchstfrist von sechs Wochen, innerhalb deren die Überstellung einer in Haft genommenen Person erfolgen muss, nur in dem Fall, dass sich diese bereits in Haft befindet, wenn eines der beiden in dieser Bestimmung angeführten Ereignisse (Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs oder das Ende der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer solchen Entscheidung) eintritt (vgl. auch Senat, Beschl. v. 11.10.2017 - V ZB 81/17, juris Rz. 3). Hier wurde die Haft aber erst nach der (gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO fingierten) Annahme des Wiederaufnahmegesuchs angeordnet. Daher findet die Sechs-Wochen-Frist des Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 Dublin-III-Verordnung keine Anwendung.

Rz. 7

b) Daraus dass das Beschwerdegericht zu Unrecht annimmt, dass Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung der Haftanordnung entgegenstand, folgt jedoch lediglich, dass es aus diesem Grund die Haftanordnung nicht hätte aufheben dürfen. Ob die von dem Betroffenen mit der Beschwerde vorgebrachten weiteren Einwendungen eine Aufhebung der Haftanordnung gerechtfertigt hätten, ist dagegen offen, weil sich das Beschwerdegericht hiermit - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht befasst hat. Diese von dem Beschwerdegericht als Tatsacheninstanz (BGH, Beschl. v. 10.10.2013 - V ZB 127/12, FGPrax 2014, 39 Rz. 8) vorzunehmende Prüfung kann von dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht nicht nachgeholt werden. Eine Zurückverweisung an das Beschwerdegericht kommt nicht in Betracht, da nur noch über die Kosten zu entscheiden ist.

Rz. 8

3. Hat sich die Hauptsache erledigt, muss im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Entscheidung über die Gerichtskosten für alle Rechtszüge ergehen, selbst wenn und soweit sie nur klarstellende Bedeutung hat (Senat, Beschl. v. 7.11.2013 - V ZB 111/12, juris Rz. 5). Gemäß §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG werden Gerichtskosten in allen Instanzen nicht erhoben.

Rz. 9

4. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11863946

NVwZ 2018, 10

NVwZ 2019, 424

InfAuslR 2018, 368

JZ 2018, 621

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