Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 23.12.2002) |
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 23. Dezember 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
- soweit der Angeklagte wegen Untreue (Fall II. 1 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren auf Kosten der Staatskasse, die auch die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt, eingestellt (§ 206a StPO);
- mit den Feststellungen, soweit der Angeklagte im übrigen verurteilt worden ist.
II. Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren, soweit es nicht eingestellt ist, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im übrigen – wegen Untreue, Betrugs in drei Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der Sachrüge, ferner macht er ein Verfahrenshindernis geltend. Die Revision des Angeklagten führt zur Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Tatvorwurfs der Untreue wegen Verjährung und zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte im übrigen verurteilt worden ist.
1. Die Verurteilung wegen Untreue hat keinen Bestand, weil insoweit jedenfalls Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 2 Nr. 4 StGB) eingetreten ist.
a) Das Landgericht hat hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte bemühte sich nach seinem Rücktritt als Bundesminister, eine Existenz als selbständiger Unternehmer aufzubauen. Im Sommer 1993 erwarb er zu diesem Zweck 75 % der Gesellschaftsanteile der I. … GmbH, die später als A I GmbH bzw. A I. … GmbH firmierte (A I GmbH) und deren alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer er wurde. Darüber hinaus wurde er Mehrheitsgesellschafter der in der Schweiz gegründeten Firma A I AG. In dieser Gesellschaft übernahm er die Funktion des Präsidenten des Verwaltungsrates und wurde neben dem Zeugen W. … alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer.
Am 26. Juli 1993 erhielt der Angeklagte von der Bayerischen Landesbank ein – nur unzureichend besichertes – Darlehen in Höhe von elf Mio. DM, dessen Zweck nach dem zugrundeliegenden Rahmenvertrag die Mitfinanzierung diverser Bauträgermaßnahmen war. Das Geld aus dem Darlehen stellte der Angeklagte der A I GmbH mit mehreren Gesellschafterdarlehen zur Verfügung und leitete es in der Folgezeit an die A. … I AG weiter. Zu diesem Zweck wurden zwischen diesen beiden Gesellschaften Treuhandverträge abgeschlossen, nach denen die A I. AG das Geld „künftig für Rechnung der A I GmbH verwalten und möglichst zinsgünstig anlegen” sollte; eine Absicherung zugunsten der A. … I GmbH war nicht vorgesehen. Die A I AG schloß mit der Firma F A S (FAS), welche ihrerseits mit der F. C. T. AG (FCT AG) zusammenarbeitete, einen Anlage- und Treuhandvertrag ab, mit dem das Geld in einem angeblich risikolosen und außerordentlich ertragreichen Dollar-Yen-Programm (5 % Zinsen pro Monat) angelegt werden sollte. Eine Absicherung des Investors war in dem Vertrag nicht vorgesehen. In der Folgezeit flossen insgesamt 8,7 Mio. DM an die FAS, wobei der Angeklagte den Verlust des Geldes zumindest billigend in Kauf nahm. Darüber hinaus wurde ein Teil der angeblichen Renditen in das Dollar-Yen-Programm reinvestiert, so daß sich eine Anlagesumme von rund 9,78 Mio. DM ergab.
Im November 1993 bemühte sich der Angeklagte bei der Deutschen Bank vergeblich um einen Kredit von bis zu 260 Mio. DM zur Umsetzung eines weiteren Projekts. Gelder aus dem Darlehen, die bei der Projektumsetzung nicht unmittelbar benötigt wurden, sollten über die A I AG bei Investmentgesellschaften mit einer garantierten Rendite von 12 % jährlich angelegt werden. Bei der Ablehnung des Kreditwunsches warnten Mitarbeiter der Bank den Angeklagten ausdrücklich vor vermeintlich hochverzinslichen Geldanlagen, da diese oft hochspekulativ und risikobehaftet seien.
Im Anschluß daran versuchte der Angeklagte etwa ab Januar 1994, Anteile einer in Deutschland ansässigen Bank zu erwerben, um sich so eine Geldquelle für seine Geschäfte zu erschließen. Um den Kaufpreis für den in Aussicht genommenen Erwerb von 50 % des Aktienkapitals der B C. … N AG (BCN AG) aufzubringen, schlossen die A I AG und die FAS am 3. Februar 1994 einen Darlehensvertrag über 10 Mio. DM ab. Als Sicherheit verpfändete die A I AG die Dollar-Yen-Anlage. Der Darlehensbetrag wurde bis Anfang März 1994 tatsächlich fast vollständig auf privaten Konten des Angeklagten gutgeschrieben.
Etwa zur gleichen Zeit hatte der Finanzvermittler S dem ihm bekannten R, der als Vertreter der FCT AG auftrat, eine weitere Investition in ein angeblich hochverzinsliches Tradingprogramm angeboten. Da R selbst nicht in der Lage war, das erforderliche Kapital aufzubringen, drängte er den Angeklagten, ihm das Geld zur Verfügung zu stellen. Unter erneuter Zurückstellung aller vernünftigen Zweifel und Bedenken hinsichtlich der Seriosität und Machbarkeit solcher Anlagen, ging der Angeklagte darauf ein, indem er 8,3 Mio. DM am 15. Juni 1994 an S. überwies. S bestätigte mehrfach wahrheitswidrig, das Geld sei – durch werthaltige Sicherheiten besichert – in das Investmentprogramm geflossen. Tatsächlich hatte er den gesamten Betrag am 2. Juli 1994 dem anderweitig verfolgten B zur freien Verfügung gestellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte B damit kein Investmentprogramm durch, sondern er verbrauchte das Geld bis zum 31. Dezember 1994 fast vollständig im eigenen Interesse für andere Zwecke.
Bereits ab Februar 1994 gab es wegen angeblicher „interner Probleme bei der Abwicklung” Unregelmäßigkeiten bei den Renditezahlungen aus dem Dollar-Yen-Programm. Ungeachtet dessen schlossen die A I AG und die FCT AG (die FAS findet keine Erwähnung mehr) einen weiteren Anlage- und Treuhandvertrag, der mit dem ursprünglichen weitgehend übereinstimmte und diesen ersetzte. Nachdem auch in der Folgezeit keine weiteren Renditezahlungen erfolgten, kam es bei einer Unterredung am 23. Juli 1994 zwischen dem Angeklagten und R zur vorfristigen Kündigung des Dollar-Yen-Programms und der Investition der Anlagesumme in eine „alternative Finanzanlage” bei einer monatlichen Verzinsung von 5 %.
Im Frühsommer 1995 erfuhr der Angeklagte, daß S die ihm zur Geldanlage überlassenen 8,3 Mio. DM an B weitergereicht hatte. Der Angeklagte erreichte, daß „die A I AG die Anlage bei B in Höhe von 5 Mio. US-Dollar nunmehr unmittelbar übernahm”. Damit sollten die Ansprüche der A I AG gegen die FAS und die FCT AG abgegolten sein. In Verhandlungen mit B gelang es dem Angeklagten, diesen in der Zeit zwischen Juni und August 1995 zu Rückzahlungen von ca. 1,5 Mio. DM zu veranlassen.
Trotz des Abschlusses weiterer Nachfolgeverträge (unter anderem mit einer weiteren Firma A F G L mit Renditen von jährlich bis zu 100 % sowie dem Abschluß von Managementverträgen betreffend wertlose goldgestützte Deutsche Äußere Anleihen von 1924) blieben Renditezahlungen aus. Im Jahr 1997 kam es zum Konkursverfahren über das Vermögen der FCT AG. Forderungen der A I AG konnten im Konkurs wegen der durch den Angeklagten erklärten Verrechnungen nicht mehr durchgesetzt werden.
Die Weitergabe der als Gesellschafterdarlehen in die A I. GmbH eingebrachten Beträge an die A I AG und deren Anlage in dem hochspekulativen und unseriösen Dollar-Yen-Programm führten zu einer Überschuldung der GmbH und letztlich zu deren Insolvenz.
Das Landgericht hat dieses Vorgehen des Angeklagten als Untreue zum Nachteil der A I GmbH gewertet, weil die Weggabe fast des gesamten Gesellschaftsvermögens der A I AG ohne erforderlichen Gesellschafterbeschluß erfolgt sei und der Kapitalverlust zu einer dauerhaften Überschuldung der Gesellschaft geführt habe. Nach Auffassung des Landgerichts war insoweit auch keine Verjährung eingetreten. Der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche Beendigungszeitpunkt der Untreue sei hier in den von B auf Druck des Angeklagten vorgenommenen Rückzahlungen im Zeitraum Juni bis August 1995 zu sehen. Danach habe die staatsanwaltschaftliche Anordnung der Beschuldigtenvernehmung wegen des Vorwurfs der Untreue vom 20. Oktober 1999 die Verjährungsfrist rechtzeitig unterbrochen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
b) Nach § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verjährung mit der Beendigung der Tat. Die Untreue im Sinne von § 266 StGB ist beendet mit dem Eintritt des vom Vorsatz umfaßten Nachteils. Entsteht der Nachteil erst durch verschiedene Ereignisse oder vergrößert er sich nach und nach, dann ist der Zeitpunkt des letzten Ereignisses maßgebend (vgl. BGHR StGB § 78a Satz 1 Untreue 1; BGH NStZ 2003, 540 f. m.w.N.).
Es erscheint nicht gänzlich ausgeschlossen, die Beendigung der Untreue zum Nachteil der A I GmbH bereits in der ursprünglichen Überweisung des Geldes zur Anlage in ein völlig unseriöses Investmentprogramm wie das Dollar-Yen-Programm zu sehen. Aber auch wenn man eine Ersetzung der ursprünglichen Geldanlage darin sieht, daß der Angeklagte im Juni 1994 einen – darlehensweise erlangten – Betrag von 8,3 Mio. DM für ein weiteres hochspekulatives Investmentprogramm bereitstellte, war der Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB jedenfalls mit Überweisung dieses Betrages am 15. Juni 1994 durch den Angeklagten an S eingetreten und spätestens durch dessen Überweisung an B am 2. Juli 1994 endgültig. Der Lauf der Verjährung wurde erstmals durch die Anordnung der Beschuldigtenvernehmung wegen des Vorwurfs der Untreue am 20. Oktober 1999 unterbrochen, mithin erst nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 2 Nr. 4 StGB).
Dabei kommt es nicht darauf an, ob bei dem vom Landgericht festgestellten Geschehen neben der ausgeurteilten Untreue (unbesicherte Verschiebung fast des gesamten Gesellschaftsvermögens der A I. GmbH an die A I AG zur Anlage in hochspekulativen Geldgeschäften) weitere untreuerelevante Handlungen des Angeklagten vorliegen. So könnte die zweckwidrige Verwendung des bei der FAS aufgenommenen Darlehens (Überweisung an S statt Erwerb von Anteilen der BCN AG) ebenso als Untreue zu werten sein, wie die „Verpfändung” der Dollar-Yen-Anlage als Sicherheit (insoweit verfügte die A I AG über treuhänderisch angelegtes Geld der A I GmbH und entwertete letztlich deren Rückzahlungsanspruch). Eine genaue rechtliche Bewertung ist indes mangels ausreichend getroffener Feststellungen hinsichtlich der jeweiligen konkreten vertraglichen Ausgestaltungen und der Verantwortlichkeiten nicht möglich. So bleibt unklar, auf welcher Grundlage die Überweisung an S. … erfolgte und wer insoweit Vertragspartner des S war (der Angeklagte persönlich, R oder die A I AG). Weiterhin unterzeichnete nach den Feststellungen des Landgerichts der Zeuge W. die für die A I AG abgeschlossenen Verträge. Inwieweit der Angeklagte auf den Abschluß der Verträge bzw. auf den Zeugen W Einfluß nahm, ist im Urteil nicht näher dargelegt.
Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil hier der Nachteil – sowohl der vom Landgericht ausgeurteilten Untreue als auch der weiteren in Betracht kommenden Untreuehandlungen, die den ursprünglichen Nachteil vertieften – mit der Überweisung der 8,3 Mio. DM am 15. Juni 1994 an S. … eingetreten war. Wie das Landgericht zutreffend feststellt, hatte sich der Angeklagte durch die unbesicherte Weggabe der 8,3 Mio. DM aus der Sphäre der A I AG jeglicher Zugriffsmöglichkeiten auf die angelegten Beträge beraubt; Sicherheiten waren nicht vereinbart. Der Rückzahlungsanspruch der A I AG gegen S war wertlos und damit auch der Rückzahlungsanspruch der A I GmbH gegen die A. I. AG. Nach Eingang des Geldes auf dem Konto des S und spätestens mit der Weitergabe des Geldes durch S an B am 2. August 1994 bestand keine reale Möglichkeit mehr, das Geld zurückzuerhalten. Damit war die Untreue beendet. Selbst wenn man auf die vertragsmäßige Beendigung des ursprünglichen Dollar-Yen-Programms und dessen Ersetzung durch eine alternative Finanzanlage abstellen würde (einvernehmliche vorfristige Kündigung am 23. Juli 1994) würde dies nichts am Eintritt der Verjährung ändern.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts wurde der Beendigungszeitpunkt auch nicht durch die verschiedenen Teilrückzahlungen, die B. aufgrund des Drucks des Angeklagten bis Mitte 1995 erbrachte, hinausgeschoben. Weder durch diese zum Teil erfolgte Schadenswiedergutmachung, noch durch die verschiedenen vom Angeklagten nachträglich abgeschlossenen Vereinbarungen, die letztlich Rückzahlungsverpflichtungen von S. … und B zum Gegenstand hatten, vertiefte sich der bei der GmbH eingetretene Schaden.
2. Die Verurteilung wegen versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen war aufzuheben, weil die Revision insoweit zutreffend das durchgeführte Selbstleseverfahren (§ 261, § 249 Abs. 2 StPO) beanstandet.
a) Das Landgericht hat am 35. und am 38. Hauptverhandlungstag die Durchführung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO für eine Vielzahl von Urkunden angeordnet und den Verfahrensbeteiligten jeweils Kopien der Schriftstücke ausgehändigt. Dies wurde jeweils im Protokoll vermerkt ebenso wie der Hinweis des Vorsitzenden, daß die Berufsrichter die Schriftstücke gelesen hätten (Prot. Bd. III, Bl. 488 ff. und Bd. IV, Bl. 531 ff.). Bis zum Abschluß der Hauptverhandlung findet sich dagegen kein Eintrag im Protokoll, daß auch die Schöffen vom Wortlaut der Schriftstücke Kenntnis genommen haben. Das Landgericht stützt seine Beweisführung hinsichtlich des Vorwurfes der versuchten Steuerhinterziehung maßgeblich auf verschiedene Beträge über Zinsen, Aufwendungen, Tilgungszahlungen und Rechnungsabgrenzungsposten, welche sie aus den Berichten über den Jahresabschluß der A I GmbH zum 31. Dezember 1993 und 1994 entnommen hat. Die Revision rügt die Verletzung der Förmlichkeiten des Selbstleseverfahrens und bezieht sich dabei auf sechs Urkunden bzw. Urkundenkonvolute, darunter auch die maßgeblichen Jahresabschlüsse.
b) Macht das Tatgericht von der Möglichkeit des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO Gebrauch, müssen sowohl die Berufsrichter als auch die Schöffen vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis nehmen, diese also tatsächlich gelesen haben. Eine Differenzierung hinsichtlich der Vorgehensweise zwischen Berufsrichtern und Schöffen ist unzulässig. Der Vorsitzende muß gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die Feststellung über die Kenntnisnahme in das Protokoll aufnehmen. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 StPO (vgl. BGH NStZ 2000, 47; 2001, 161; StV 2000, 603, 604). Der Nachweis hierüber kann somit nur durch das Protokoll geführt werden (§ 274 StPO).
Wurde die Feststellung der Kenntnisnahme durch die Schöffen nicht protokolliert, ist somit aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls davon auszugehen, daß das Beweismittel nicht zur Kenntnis gelangt ist (vgl. Schlüchter in SK-StPO 6. Aufbau-Lfg. § 249 Rdn. 71; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 4. Aufl. Rdn. 2070; a.A. Diemer in KK 5. Aufl. § 249 Rdn. 39; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 249 Rdn. 31). Dem Revisionsgericht ist es damit verwehrt, freibeweislich nachzuforschen, ob die Kenntnisnahme tatsächlich unterblieben ist (abw. Diemer aaO; Meyer-Goßner aaO). Die Beweiskraft des Protokolls kann nur bei offenkundiger Fehler- oder Lückenhaftigkeit entfallen (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 12 m.w.N.); solches ist hier insoweit nicht ersichtlich. Eine Lückenhaftigkeit ergibt sich auch nicht schon daraus, daß die Anordnung des Selbstleseverfahrens, nicht aber die nach § 249 Abs. 2 StPO notwendige Feststellung über dessen erfolgreiche Durchführung vermerkt ist. Denn die Anordnung des Selbstleseverfahrens läßt keinen Schluß auf die weitere Beachtung des Verfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO zu (vgl. BGH NStZ 2000, 47 m.w.N.).
Der Inhalt der verwendeten Jahresabschlußberichte, namentlich die vom Landgericht hieraus entnommenen Zahlenwerke, konnte auch nicht im Wege des Vorhalts an Zeugen zulässig in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Denn bei Jahresabschlußberichten handelt es sich um umfangreiche, inhaltlich schwierige und komplexe Urkunden (vgl. BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1). Für die Erfassung des Sinns der verwendeten Zahlen kommt es auf den genauen Kontext an, in dem diese in der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung bzw. deren Erläuterungen stehen.
3. Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Betrugs in drei Fällen hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts zum Eintritt eines Vermögensschadens bei den Geschädigten sind nicht ausreichend.
a) Das Landgericht ist in bezug auf die Betrugsvorwürfe von folgenden Feststellungen ausgegangen:
Die Zeugen Sc, Ka, F und Ra waren Arbeitnehmer der A I GmbH. Sie beendeten ihre Arbeitsverhältnisse, nachdem die GmbH nicht mehr in der Lage war, ihre Gehälter zu bezahlen. Um Zeit zu gewinnen, legte der Angeklagte in dem vom Zeugen Sc betriebenen arbeitsgerichtlichen Mahnverfahren Widerspruch ein und bot dem Zeugen eine außergerichtliche Einigung an; im Januar 1997 erkannte er dessen Forderungen in Höhe von 21.080 DM an und verpflichtete sich zu Ratenzahlungen. Auch gegen den vom Zeugen Ka beantragten Mahnbescheid legte der Angeklagte Widerspruch ein; er nahm aber Gesprächstermine für eine außergerichtliche Einigung nicht wahr, so daß Ka ein Versäumnisurteil über 37.091 DM erwirkte. Um die drohende Erzwingungshaft zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und das Insolvenzverfahren für die A. … I GmbH, insbesondere im Hinblick auf seine Kandidatur bei der Bundestagswahl 1998, zu vermeiden, übernahm der Angeklagte am 11. Januar 1998 jeweils eine selbstschuldnerische, unbeschränkte Bürgschaft für die ausstehenden Lohnforderungen von Ka und Sc. Im Gegenzug stundeten diese jeweils zwei Drittel ihrer Forderungen. Der Angeklagte zahlte – wie von Anfang an beabsichtigt – jeweils nur die erste Rate der Ratenzahlungsvereinbarung. Zahlungen bei Fälligkeit der zweiten Rate – kurz nach der Bundestagswahl im September 1998 – erfolgten nicht mehr.
Auch zur Abwendung der Vollstreckung des vom Zeugen F. erwirkten Versäumnisurteils über 49.741 DM übernahm der Angeklagte im März 1998 eine selbstschuldnerische Bürgschaft und vereinbarte mit dem Zeugen einen Ratenzahlungsvergleich, den er ebenfalls nicht einhielt. Erst auf Drohung mit einer Strafanzeige zahlte der Angeklagte einmalig 4.000 DM. Die rückständigen Lohnforderungen seiner langjährigen Sekretärin Ra in Höhe von 108.126 DM erkannte der Angeklagte nach längerer Hinhaltetaktik schließlich im Oktober 1998 an; er verbürgte sich auch für diese Forderungen persönlich. Die gleichzeitig abgeschlossene Ratenzahlungsvereinbarung erfüllte der Angeklagte – seiner ursprünglichen Absicht entsprechend – nicht. Im Wege der Zwangsvollstreckung eines im Oktober 1999 erwirkten Versäumnisurteils konnte die Zeugin nur noch 14.000 DM beitreiben.
Die A I GmbH verfügte 1998 noch über laufende Mieteinnahmen von monatlich mindestens 10.000 DM sowie über nicht unerhebliche, zumindest teilweise einbringliche Werklohnforderungen. Auch der Angeklagte hatte in den Jahren 1998 und 1999 noch Einnahmen. So erlöste er im Dezember 1998 aus dem Verkauf seiner Gesellschaftsanteile an der A. … I GmbH 10.000 DM und erhielt für seinen Verzicht auf eine stille Beteiligung an der B V GmbH einen Barscheck über 75.000 DM. Ab Januar 1999 erhielt er von der Firma A&I B GmbH ein monatliches Beraterhonorar von 8.000 DM.
b) Die vier Fälle stellen jeweils einen Stundungsbetrug dar. Der Angeklagte hielt im Ergebnis die Geschädigten (vorübergehend) von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ab, indem er Versprechungen hinsichtlich der Zahlungen durch die A I GmbH machte und persönliche Bürgschaften übernahm. Ein solcher Stundungsbetrug ist indes nur dann strafbar, wenn die Chancen für die Erfüllung eines Anspruchs gerade durch den Zeitablauf verschlechtert werden und damit die Forderung an Wert verliert (vgl. BGHSt 1, 262, 264; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 263 Rdn. 211, 229 m.w.N.). Dies kann dann der Fall sein, wenn der Angeklagte zum Zeitpunkt der Stundung noch zahlungsfähig oder in höherem Maße zahlungsfähig war als später (BGHSt aaO).
Zwar hat das Landgericht – das in rechtlich nicht zu beanstandender Weise von Zahlungsunwilligkeit des Angeklagten ausgeht – dargelegt, daß sowohl die A I GmbH als auch der Angeklagte selbst in den Jahren 1998 und 1999 über laufende Einnahmen und werthaltige Forderungen gegenüber Dritten verfügten. Indes wird nicht hinreichend deutlich, daß bei Abschluß der Stundungsvereinbarungen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die GmbH bzw. den Angeklagten hinsichtlich der nicht unerheblichen Verbindlichkeiten erfolgversprechender gewesen wären als zu einem späteren Zeitpunkt. Es wird insoweit nicht mitgeteilt, ob der Angeklagte auch tatsächlich über die bezeichneten Einnahmen verfügen konnte. Angesichts der schlechten finanziellen Lage der GmbH und der desolaten Finanzlage des Angeklagten versteht sich dies nicht von selbst. Das Landgericht hätte folglich darlegen müssen, daß Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zum Zeitpunkt der jeweiligen Stundungsvereinbarungen eine größere Erfolgsaussicht gehabt hätten, als zu den Zeitpunkten, in denen der Angeklagte die Vereinbarungen nicht einhielt.
Unterschriften
Harms, Häger, Raum, Brause, RiBGH Schaal ist wegen urlaubsbedingter Abwesenheit an der Unterschrift gehindert Harms
Fundstellen
Haufe-Index 2558389 |
NStZ 2005, 160 |
wistra 2004, 429 |
DAR 2005, 249 |
JuS 2005, 381 |
PStR 2004, 222 |
AUR 2004, 399 |
StV 2004, 521 |
StraFo 2004, 359 |