Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 27.01.2015) |
Tenor
1. Der Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 27. Januar 2015 auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt die Angeklagte.
2. Auf die Revision der Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es sie betrifft,
- im Schuldspruch in den Fällen II. 1. bis 72. der Urteilsgründe dahin neu gefasst, dass die Angeklagte insoweit des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 72 Fällen schuldig ist;
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
aa) soweit sie in den Fällen II. 83. und 84. der Urteilsgründe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist,
bb) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 73. bis 82. der Urteilgründe,
cc) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
dd) hinsichtlich der Anordnung des Verfalls von Wertersatz.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen „gewerbsmäßigen” unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 72 Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt sowie Wertersatzverfall in Höhe von 400.000 EUR angeordnet. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Das Landgericht hat es in allen Einzelfällen verabsäumt, zu den jeweils gehandelten Drogen den Wirkstoffgehalt und die Wirkstoffmenge konkret festzustellen. Solcher Feststellungen bedarf es bei einer Betäubungsmittelstraftat aber regelmäßig, da dadurch das Unrecht der Tat und die Schuld des Täters maßgeblich bestimmt werden. Hierauf kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn – wie hier – das Urteil auf einer Verständigung beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. August 2013 – 3 StR 212/13, StV 2013, 703 mwN).
Rz. 3
a) Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils in den Fällen II. 83. und 84. der Urteilsgründe, da in diesen Fällen deshalb nicht belegt ist, dass die Angeklagte eine nicht geringe Menge Marihuana im Sinne des § 29a BtMG zum Zwecke des Handeltreibens gekauft hat; entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kann der Senat den Einkauf einer jeweils nicht geringen Menge aus den Urteilsfeststellungen zum Gewicht des erworbenen Marihuanas und zum Gesamtkaufpreis auch mit Blick auf den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht hinreichend sicher entnehmen.
Rz. 4
b) In den Fällen II. 73. bis 82. der Urteilsgründe kann zwar der Schuldspruch bestehen bleiben, da sich insoweit aus den von der Angeklagten gekauften Drogenmengen zwischen 50 Gramm Heroin (Fall 73.) sowie ein (Fälle 74. bis 81.) bzw. mehr als zwei Kilogramm Heroin (Fall 82.) zweifelsfrei ergibt, dass sie mit nicht geringen Heroinmengen im Sinne von § 29a BtMG gehandelt hat. Indes können die für diese Fälle verhängten Einzelstrafen zwischen einem Jahr und drei Monaten sowie zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe nicht bestehen bleiben, weil der Schuldgehalt dieser Taten mangels Feststellungen zum Wirkstoffgehalt und zur Wirkstoffmenge der gehandelten Heroinmengen nicht belegt ist. Zwar hat das Landgericht in den Fällen 81. und 82. der Urteilsgründe die – durch labortechnische Untersuchungen des Landeskriminalamtes belegten – Wirkstoffgehalte von mehreren Teilmengen mitgeteilt, die in der Wohnung der Angeklagten aufgefunden worden waren. Das Landgericht hat indes keine Schlüsse aus diesen Ergebnissen gezogen, etwa auf den jeweiligen Mindestwirkstoffgehalt des in diesen beiden Fällen oder auch in den anderen Einzelfällen von der Angeklagten insgesamt eingekauften Heroins. Der Senat kann wegen der sehr stark unterschiedlichen Qualitäten der untersuchten Herointeilmengen diese Feststellungslücken auch mit Blick auf den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht selbst ausfüllen, sodass er im Ergebnis nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei konkreten Feststellungen zu Wirkstoffgehalt und Wirkstoffmenge der Drogen niedrigere Einzelstrafen zugemessen hätte.
Rz. 5
c) Der dargestellte Rechtsfehler gefährdet den Bestand des Urteils allein in den Fällen II. 1. bis 72. der Urteilsgründe nicht, in denen die – vielfach und auch mehrfach einschlägig vorbestrafte – Angeklagte jeweils 2,5 Gramm Heroin für 40 EUR gewinnbringend weiterverkauft hat und deshalb wegen gewerbsmäßig begangenen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 72 Fällen zu jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. In diesen Fällen vermag der Senat aufgrund der Gesamtumstände auszuschließen, dass das Landgericht bei Feststellung der Wirkstoffmengen von der Regelwirkung des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 abgesehen und eine geringere als die in § 29 Abs. 3 Satz 1 BtMG angedrohte Mindeststrafe verhängt hätte. Indes wird die Verwirklichung des Regelbeispiels gewerbsmäßigen Handelns gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG nicht in die Urteilsformel aufgenommen (vgl. Weber, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 2031; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 260 Rn. 25, jeweils mwN). Aus diesem Grund hat der Senat den Schuldspruch in den genannten Fällen entsprechend neu gefasst.
Rz. 6
d) Die teilweise Aufhebung des Urteils führt zum Wegfall des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe.
Rz. 7
2. Die Anordnung über den Verfall von Wertersatz kann ebenfalls nicht bestehen bleiben. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Keinen Bestand haben kann jedoch die Anordnung über den Verfall von Wertersatz in Höhe von 400.000 Euro. Das Landgericht ist bei der Prüfung der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Danach kann nach Ermessen des Gerichts die Anordnung unterbleiben, soweit der Wert des Erlangten in dem Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist. Eine unbillige Härte, wie im Fall des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB, ist nicht erforderlich. Die Entscheidung BGH NStZ 2005, 232 steht nicht entgegen. Zwar konnte in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden, wo sich Geldbeträge aus dem Drogenhandel der Angeklagten befinden. Den Urteilsgründen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass sich die geständige Angeklagte hierzu nicht geäußert hat. Überdies hätte die Strafkammer, die nach den Urteilsgründen davon ausging, dass von den Verkaufserlösen nur noch ein Teil im Vermögen der Angeklagten vorhanden ist (UA S. 20), nach der Feststellung, dass die beschäftigungslose Angeklagte vom Einkommen ihres Ehemanns lebt (UA S. 4), auf Grund des sehr hohen Verfallsbetrages nähere Erörterungen in Hinsicht auf das von § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB auch verfolgte Anliegen, die Resozialisierung des Täters nicht zu gefährden (BGHSt 48, 40 f; BGH NStZ 2001, 42), anstellen müssen. Auch die Feststellung der Höhe des Erlangten ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht legt den gerundeten Bruttowert der in den Fällen II. 73. bis 82. aufgewandten Kaufpreise zu Grunde, berücksichtigt dabei aber nicht, dass bei der Tat II. 82. die über zwei Kilogramm Heroin beschlagnahmt wurden (UA S. 10, 11) und im Fall II. 81. knapp ein Viertel der Heroinmenge (UA S. 10). Selbst unter Berücksichtigung der Verkaufspreise in den Fällen II. 1. bis 72. sowie der Kaufpreise in den Fällen II. 74. bis 84. wird unter Abzug der beschlagnahmten Mengen die Summe von 400.000 Euro nicht erreicht.”
Rz. 8
Dem schließt sich der Senat an.
Unterschriften
Becker, RiBGH Pfister befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker, Hubert, Mayer, Gericke
Fundstellen
Haufe-Index 8386201 |
StV 2017, 287 |