Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 15.02.2008) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. Februar 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Strafausspruch;
- soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat festgestellt, dass der Angeklagte seit 1995/1996 zunächst Kokain, später auch Heroin konsumierte. Im November 2003 geriet er in seiner Wohnung über die Erklärung der Geschädigten F., er erhalte ihm zustehendes Geld erst, wenn sie das nächste Mal wiederkomme, derart in Wut, dass er sie mit den Händen und einem metallenen Fahrradlenker schlug sowie mit dem beschuhten Fuß trat. Später folgte er ihr in das Badzimmer und führte dort gegen ihren Willen mit ihr den Anal- und Vaginalverkehr durch, was die Geschädigte aus Angst vor weiteren Schlägen erduldete.
Rz. 2
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
Der Angeklagte beanstandet zutreffend, dass das Landgericht einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.
Rz. 4
Der Angeklagte hat die Einholung eines medizinischen und psychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass er im Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit und seines aktuellen übermäßigen Betäubungsmittel- und Medikamentenkonsums unter einer krankhaften seelischen Störung litt. Ziel dieses Begehrens war es, die Voraussetzungen der §§ 21 und 64 StGB darzutun.
Rz. 5
Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, ausreichende Anknüpfungstatsachen, die Anlass zur Einholung eines Gutachtens gäben, seien weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Eine Zeugin habe bekundet, der Betäubungsmittelkonsum des Angeklagten am Tattage habe seiner täglichen Drogenmenge entsprochen; er sei normal und wie immer aufgetreten. Erst als die Geschädigte ihre Schulden nicht beglichen habe, sei er wütend geworden und habe auf sie eingeschlagen. Der Konsum von Betäubungsmitteln allein lasse aber keinen sicheren Rückschluss auf das individuelle Maß einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit zu.
Rz. 6
Diese Begründung, mit der die Strafkammer der Sache nach wohl dartun wollte, das Beweismittel sei völlig ungeeignet, trägt die Ablehnung des Beweisantrags nicht; sie ist mit § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vereinbar.
Rz. 7
Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erzielen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen würde (vgl. BGH NStZ 2007, 476). Dies trifft auf einen Sachverständigen dann zu, wenn sein Gutachten zu keinem verwertbaren Beweisergebnis führen kann. Dies kommt etwa in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 6, 14).
Rz. 8
So lag es hier aber nicht. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte seit Jahren Betäubungsmittel konsumierte. Es hat zudem die – am Ende der Beweisaufnahme abgegebene – Einlassung des Angeklagten, er habe kurze Zeit vor der Tat Heroin, Crack sowie eine zerriebene Tablette des Medikaments Fluninoc geraucht, nicht etwa als widerlegt angesehen. Vor diesem tatsächlichen Hintergrund wäre die Anhörung eines Sachverständigen nicht von vornherein aussichtslos gewesen; vielmehr liegt auf der Hand, dass er sich zu der vorgelegten Beweisfrage hätte äußern können.
Rz. 9
Hinzu kommt, dass das Landgericht an das zu erzielende Beweisergebnis einen falschen Maßstab angelegt hat; denn es kommt nicht darauf an, ob ein Sachverständiger aus dem ihm zur Verfügung stehenden Tatsachenmaterial sichere und eindeutige Schlüsse ziehen kann. Selbst wenn der Sachverständige nur solche Erfahrungssätze und Schlussfolgerungen darzulegen vermag, welche die unter Beweis gestellte Behauptung mehr oder weniger wahrscheinlich machen, und sein Gutachten hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen kann, ist dieses nicht berechtigt, den gestellten Beweisantrag wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels zurückzuweisen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 6, 7, 14; BGH NStZ 2007, 476).
Rz. 10
Ein sonstiger gesetzlicher Ablehnungsgrund – etwa die eigene Sachkunde des Gerichts (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) – wird vom Landgericht nicht genannt. Selbst wenn es jedoch – worauf Formulierungen im Ablehnungsbeschluss hindeuten könnten – die Zurückweisung des Beweisantrags (auch) auf diesen Ablehnungsgrund stützen wollte, würde dies an der Begründetheit der Revisionsrüge nichts ändern. Denn das Landgericht hat weder in dem Beschluss noch in den Urteilsgründen die in Rede stehende Beweisbehauptung in einer Weise erörtert, die erkennen ließe, dass es über eine ausreichende Sachkunde verfügt, um die Auswirkungen des gleichzeitigen Konsums von Heroin, Crack sowie des Medikaments Fluninoc auf die Schuldfähigkeit des langjährig betäubungsmittelabhängigen Angeklagten eigenständig ohne die Hilfe eines Gutachtens zu beurteilen. Zur Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB war ohnehin die Zuziehung eines Sachverständigen geboten (§ 246 a Satz 2 StPO). Auch insoweit finden sich weder im Ablehnungsbeschluss noch im Urteil Darlegungen dazu, aus welchen Gründen das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht in Erwägung gezogen hat. Dies stellt im Übrigen auch einen sachlichrechtlichen Mangel des Urteils dar.
Rz. 11
Der Senat schließt aus, dass die beantragte Beweiserhebung zu der Überzeugung des Landgerichts hätte führen können, der Angeklagte habe bei Begehung der Tat ohne Schuld gehandelt (§ 20 StGB). Er hebt wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers das Urteil daher nur im Strafausspruch auf und soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Unterschriften
Becker, Miebach, Pfister, Sost-Scheible, Schäfer
Fundstellen
Haufe-Index 2564746 |
NStZ 2009, 48 |
NStZ 2009, 555 |
NStZ-RR 2009, 166 |
StraFo 2008, 473 |