Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 07.11.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. November 2003, soweit es die Angeklagte O. betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unterlassener Hilfeleistung zur Jugendstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Revision der Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Nach den Feststellungen unterließ es die Angeklagte, ihrem Stiefvater – zu dem sie ein konfliktbeladenes Verhältnis hatte – zu helfen, obwohl sie wußte, daß dieser von ihrem Freund durch Schläge, Tritte und Messerstiche lebensgefährlich verletzt worden war.
1. Die aufgrund der Sachrüge veranlaßte Überprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch keinen zum Nachteil der Angeklagten wirkenden Rechtsfehler ergeben.
2. Hingegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Die Jugendkammer hat bei der zur Tatzeit 17 Jahre und sieben Monate alten Angeklagten das Vorliegen schädlicher Neigungen rechtsfehlerfrei verneint, indes wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 2. Alt. JGG) Jugendstrafe gegen sie verhängt. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Jugendkammer ist zunächst im Ansatz rechtlich zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Schwere der Schuld aus dem Gewicht der Tat und der in der Persönlichkeit des Jugendlichen begründeten Beziehung zu seiner Tat bemißt (vgl. Brunner/Dölling, JGG 11. Aufl. § 17 Rdn. 14 m. w. N.). Dabei kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat gegenüber der charakterlichen Haltung und dem Persönlichkeitsbild zwar keine selbständige Bedeutung zu. Die Schwere der Schuld ist indes nicht abstrakt meßbar, sondern nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen, so daß der äußere Unrechtsgehalt der Tat, insbesondere die Bewertung des Tatunrechts, die in den gesetzlichen Strafdrohungen ihren Ausdruck findet, nicht unberücksichtigt bleiben darf (vgl. BGH NStZ 1982, 332; Brunner/Dölling, aaO § 17 Rdn. 15 m. w. N.). Demgemäß ist die Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG vor allem bei Kapitalverbrechen zu bejahen und wird daneben in der Regel nur bei anderen besonders schweren Taten in Betracht kommen. Dagegen kann ein Vergehen mit vergleichsweise geringem Gewicht – selbst wenn es eine äußerst niederträchtige Tat darstellt und bedenkenlos begangen wurde – die Schwere der Schuld nicht begründen (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 2; Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG 4. Aufl. § 17 Rdn. 25; Grethlein NJW 1961, 687). Zwar hat die Jugendkammer erkannt und in ihre Überlegungen eingestellt, daß die von der Angeklagten begangene unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c StGB) ein Vergehen mit relativ geringem Tatunrecht und demgemäß lediglich mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist. Sie hat auch berücksichtigt, daß die nicht vorbestrafte und geständige Angeklagte zunächst spontan telefonisch Hilfe für das Opfer herbeirufen wollte, sich jedoch von dem Einwand ihres Freundes – dem Täter der vorangegangenen Gewalttat –, sie müsse als seine Freundin jetzt zu ihm halten und dürfe ihn nicht verdächtig machen, davon abbringen ließ. Die Jugendkammer hat aber nicht hinreichend gewürdigt, daß das Verhältnis der Angeklagten zu ihrem Stiefvater, das sich wegen dessen Alkoholismus schon seit längerem zunehmend negativ entwickelt hatte, zum Zeitpunkt ihrer strafbaren Unterlassung zusätzlich mit einem aktuellen Konflikt beladen war. Bereits in den Wochen vor der Tat war es zum Streit der Angeklagten mit ihrem Stiefvater, zu gegenseitigen Beleidigungen sowie am Tag vor der Tat zu einer ersten körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Freund der Angeklagten und dem Geschädigten gekommen, weil dieser den Freund nicht akzeptierte. Um dessen nochmaliges Betreten der Familienwohnung zu verhindern, hatte der Stiefvater der Angeklagten am Nachmittag des Tattages ein neues Schloß in die Wohnungstür eingebaut, so daß auch die Angeklagte diese nicht mehr öffnen konnte. Deshalb und weil der Geschädigte sich weigerte, den Schlüssel für das neue Schloß herauszugeben, hatte mehrere Stunden vor der Tat schon eine weitere körperliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern stattgefunden, bei der auch die Angeklagte anwesend war.
Über den Rechtsfolgenausspruch ist daher neu zu befinden.
Unterschriften
Winkler, Pfister, von Lienen, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2557841 |
StV 2005, 66 |
StraFo 2005, 83 |