Verfahrensgang
LG Ravensburg (Urteil vom 26.02.2014) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 26. Februar 2014 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Ergänzend bemerkt der Senat:
Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK i.V.m. einem Verstoß gegen § 257c StPO) dringt nicht durch.
1. Der Verfahrensbeanstandung liegt zugrunde, dass am sechsten und siebten Hauptverhandlungstag Gespräche zwischen allen Verfahrensbeteiligten mit dem Ziel einer Verfahrensverständigung stattfanden. Dabei stellte das Landgericht für den Angeklagten eine Freiheitsstrafe zwischen sechs und neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung in Aussicht. Am siebten Hauptverhandlungstag kam es bezüglich des Angeklagten zu einer Verständigung gemäß § 257c StPO. Auf der Grundlage dieser Verständigung verurteilte das Landgericht den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Anschluss an das Urteil verkündete es einen Bewährungsbeschluss, in dem der Angeklagte angewiesen wurde, dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich und unaufgefordert mitzuteilen. Über die Ausgestaltung der Bewährung war zuvor weder im Rahmen der Vorgespräche noch der Verständigung selbst gesprochen worden.
2. Ob die Rüge in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt ist, kann dahinstehen. Sie bleibt jedenfalls in der Sache ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer ist nicht in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) verletzt. Zumindest bei der hier erteilten Anweisung der Anzeige jedes Wohnsitzwechsels erfordern es weder das Fairnessgebot noch sonstige Rechtsgrundsätze, dass das Gericht vor einer Verständigung (§ 257c StPO) offenlegt, solches anweisen zu wollen. Die Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zu den aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens resultierenden tatgerichtlichen Offenlegungspflichten bei Verfahrensverständigungen, bei denen eine zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt wird (BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 – 4 StR 254/13, NJW 2014, 238 f.; vom 11. September 2014 – 4 StR 148/14 Rn. 9 f., NJW 2014, 3173, 3174), steht nicht entgegen. Diese bezieht sich ausschließlich auf im Rahmen der Verständigung nicht offengelegte Bewährungsauflagen (§ 56b StGB). Sie lässt sich nicht auf die nach ihrer Zwecksetzung und ihrer rechtlichen Natur völlig verschiedene Anweisung der Anzeige des Wohnsitzwechsels übertragen.
a) Der 4. Strafsenat hat aus dem Anspruch eines Angeklagten auf ein faires Verfahren abgeleitet, dass er vor einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen werden muss, die nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und deren Erfüllung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Strafaussetzung ist (BGH aaO mwN; zustimmend Bachmann, JR 2014, 357). Mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens sei die Verständigung im Strafverfahren nur dann zu vereinbaren, wenn durch eine vorherige Belehrung sichergestellt sei, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung informiert ist. Lediglich eine solche umfassende Information könne die Autonomie der Entscheidung des Angeklagten gewährleisten, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen, Einlassungen zur Sache zu verweigern oder sich auf eine Verständigung einzulassen (BGH aaO unter Bezugnahme auf BVerfG, NJW 2013, 1058, 1071 = BVerfGE 133, 168, 237 Rn. 125 [bzgl. der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO]).
Aus diesen Grundsätzen folgert der 4. Strafsenat die bereits angesprochene Pflicht des Gerichts zur Offenlegung, dass es zur Verwirklichung der Genugtuungsfunktion des Strafverfahrens außer der Verhängung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auch Bewährungsauflagen in Betracht zieht. Eine autonome Entscheidung über seine Mitwirkung an einer Verständigung könne der Angeklagte lediglich in Kenntnis der gesamten Rechtsfolgenerwartung treffen. Angesichts der Genugtuungsfunktion von Bewährungsauflagen (§ 56b Abs. 1 Satz 1 StGB) und ihres strafähnlichen Charakters seien diese Teil der Rechtsfolgenerwartung. Erst die Information darüber, dass neben der Strafe selbst weitere Maßnahmen mit Vergeltungscharakter und möglichen erheblichen Belastungen drohen, versetzten den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit auf einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage Gebrauch zu machen (BGH aaO Rn. 11 und 12).
b) Ob dieser Rechtsprechung bei Verfahrensabsprachen (§ 257c StPO), auf deren Grundlage das Tatgericht eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe bei Erteilung von Bewährungsauflagen (§ 56b StGB) verhängt, uneingeschränkt zu folgen wäre, bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls für die vorliegende Konstellation einer mit einer Anweisung des Verurteilten, jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht mitzuteilen, verbundenen Bewährungsstrafe, die durch ein auf einer Verfahrensabsprache beruhendes Urteil verhängt wird, bedarf es keiner vorherigen Information des Angeklagten über die in Betracht kommende Weisung. Dient – wie hier – die im Bewährungsbeschluss erteilte Anweisung dem Zweck, auf die zukünftige Lebensführung des Verurteilten helfend spezialpräventiv einwirken zu können, ist sie einer Bewährungsweisung im Sinne von § 56c Abs. 2 Nr. 1 StGB gleichzustellen (vgl. zum Diskussionsstand bzgl. der bewährungsrechtlichen Einordnung einer Anweisung der Wohnsitzwechselanzeige OLG Köln, Beschluss vom 28. März 2006 – 2 Ws 123/06, zit. nach juris, Rn. 9; OLG Oldenburg, NStZ 2008, 461 einerseits; OLG Celle, NStZ 2004, 627 andererseits; vgl. auch OLG Frankfurt/M., NStZ 2009, 39; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 56c Rn. 6 aE mwN; Mosbacher in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 56c Rn. 2 und 9).
Bewährungsweisungen dienen – anders als Bewährungsauflagen – nicht dem Ausgleich für das vom Täter schuldhaft verursachte Unrecht. Wie sich aus § 56c Abs. 1 Satz 1 StGB ergibt, kommt ihnen die Aufgabe zu, dem zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe Verurteilten zu helfen, zukünftig ein straffreies Leben zu führen (näher Groß in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 56c Rn. 5 und 7 mwN). Sie haben damit ausschließlich spezialpräventiven Charakter (Thüringer OLG, Beschluss vom 13. Dezember 2010 – 1 Ws 455/10, zit. nach juris, Rn. 26; Stree/Kinzig aaO § 56c Rn. 1 mwN; Mosbacher aaO § 56c Rn. 1). Weisungen dürfen grundsätzlich auch lediglich zu dem Zweck erteilt werden, dem Verurteilten Hilfe zu seiner zukünftigen Straffreiheit zu gewähren. Fehlt es an einer solchen Zwecksetzung, ist die Weisung gesetzwidrig (vgl. § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO). In der unterschiedlichen Zwecksetzung liegt der fundamentale Unterschied (Groß aaO Rn. 2) zwischen Bewährungsauflagen einerseits und -weisungen andererseits.
Die in der Rechtsprechung des 4. Strafsenats tragende Erwägung für das Gebot umfassender Information bei einer Verfahrensabsprache auch über Bewährungsauflagen knüpft an deren sanktionsähnlichen Charakter und die mit ihnen verbundene Genugtuungsfunktion an. Sie geht erkennbar von der Vorstellung aus, erst mit der Kombination aus verhängter Strafart, Strafhöhe und der Bewährungsauflage (bzw. dem Unterbleiben ihrer Anordnung) bestimme das Tatgericht das Genugtuungsbedürfnis für die begangene Straftat vollständig (vgl. zu dieser Erwägung Groß aaO § 56e Rn. 14 mwN). Auf die ausschließlich der Hilfe des Verurteilten dienenden Weisungen bzw. Anweisungen lässt sich dies schon wegen der gänzlich unterschiedlichen Zwecksetzung nicht übertragen.
Auch der vom 4. Strafsenat angeführte Aspekt der mit Bewährungsauflagen möglicherweise verbundenen erheblichen Belastungen für den Verurteilten trägt nicht für die hier ausschließlich in Rede stehende Anweisung, jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht mitzuteilen. Eine solche Anweisung ist gesetzmäßig, wenn – wie im vorliegenden konkreten Einzelfall – damit der Zweck verfolgt wird, auf die zukünftige Lebensführung des Verurteilten positiv Einfluss nehmen zu können (vgl. OLG Celle aaO; OLG Frankfurt/M. aaO; Groß aaO § 56c Rn. 21; Mosbacher aaO § 56c Rn. 9). Mit ihrer Erfüllung sind keine Belastungen verbunden, die aus Gründen der Verfahrensfairness eine der Verfahrensabsprache vorausgehende Information des Angeklagten darüber gebieten würden. Auf die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich beurteilte Frage, ob auf Verstöße gegen eine solche Anweisung gemäß § 56f StGB ein Bewährungswiderruf gestützt werden kann (OLG Celle, Frankfurt/M., Köln und Oldenburg jeweils aaO), kommt es vorliegend nicht an. Ein im Rahmen der Beurteilung der Verfahrensfairness einer Urteilsabsprache gemäß § 257c StPO zu berücksichtigender Aspekt resultierte daraus selbst dann nicht, wenn Verstöße gegen die fragliche Anweisung Maßnahmen nach § 56f StGB begründen könnten. Der Eintritt von Umständen, die zu Entscheidungen gemäß § 56e oder § 56f StGB führen können, hängt jeweils ausschließlich von dem eigenen Verhalten des Verurteilten nach der Urteilsabsprache ab. Die mit der Befolgung der Anweisung und damit zur Meidung von Maßnahmen nach § 56e oder § 56f StGB einhergehenden Verhaltensanforderungen an den Verurteilten sind derart marginal, dass von einer Belastung nicht die Rede sein kann.
Gegen ein aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens abgeleitetes Gebot vorheriger Information des Angeklagten spricht hinsichtlich von Bewährungsweisungen allgemein und für die hier fragliche Anweisung besonders auch eine weitere Erwägung, die wiederum mit den Unterschieden zwischen Bewährungsauflagen auf der einen Seite und Bewährungsweisungen auf der anderen Seite in Zusammenhang steht. Im Hinblick auf den strafähnlichen Charakter der Auflagen und ihrer Genugtuungsfunktion wird im Rahmen nachträglicher Anordnung oder Änderung der Ausgestaltung der Bewährung gemäß § 56e StGB, obwohl das Verbot der reformatio in peius bei Bewährungsauflagen nicht gilt (BGH, Beschluss vom 16. Februar 1982 – 5 StR 1/82, NJW 1982, 1544), in der Strafrechtswissenschaft und gelegentlich in der Strafrechtsprechung die Auffassung vertreten, den Verurteilten belastende Auflagen dürften nicht allein auf eine vom Tatrichter abweichende Beurteilung des Genugtuungsbedürfnisses seitens des für die Entscheidung nach § 56e StGB zuständigen Gerichts gestützt werden (vgl. Groß aaO § 56e Rn. 13; Stree/Kinzig aaO § 56e Rn. 4 mwN; siehe auch OLG Stuttgart, NStZ-RR 2004, 362, 363). Bei der nachträglichen Anordnung von belastenden Bewährungsweisungen werden solche Beschränkungen nicht gefordert (Stree/Kinzig aaO § 56e Rn. 5 mwN; Mosbacher aaO § 56e Rn. 6); die spezialpräventive Ausrichtung erfordert hier gerade eine jederzeitige Anpassung an gewandelte, für die Prognose relevante Umstände. Angesichts dieser jederzeitigen nachträglichen Abänderbarkeit von Bewährungsweisungen ist eine der Verfahrensverständigung (§ 257c StPO) vorausgehende Information über die in Aussicht genommenen Bewährungsweisungen nicht geboten.
Unterschriften
Rothfuß, Cirener, Radtke, Mosbacher, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 7436580 |
NStZ 2015, 179 |
wistra 2015, 114 |
PStR 2015, 59 |
AO-StB 2015, 128 |
NJW-Spezial 2015, 25 |
StRR 2015, 139 |
StV 2015, 151 |