Entscheidungsstichwort (Thema)
Betreuungsverfahren. Persönliche Anhörung des Betroffenen. Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. Erweiterung der Aufgabenkreise. Betreuungsverlängerung. Erforderlichkeit des Einwilligungsvorbehalts. Berichterstatterin. Beauftragte Berichterstatterin. Persönlicher Eindruck von dem Betroffenen. Zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten
Leitsatz (amtlich)
a) Zu den Voraussetzungen, unter denen die Beschwerdekammer im Betreuungsverfahren eines ihrer Mitglieder mit der Anhörung des Betroffenen beauftragen kann (im Anschluss an BGH v. 15.6.2016 - XII ZB 581/15, FamRZ 2016, 1446).
b) Zu den Voraussetzungen der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (im Anschluss an BGH v. 27.4.2016 - XII ZB 7/16, FamRZ 2016, 1070).
Normenkette
FamFG §§ 26, 68 Abs. 3 S. 2, § 278 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München II (Beschluss vom 15.02.2016; Aktenzeichen 6 T 4553/15) |
AG Starnberg (Entscheidung vom 23.06.2015; Aktenzeichen XVII 447/14) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG München II vom 15.2.2016 unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen insoweit aufgehoben, als die Beschwerde der Betroffenen gegen die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts zurückgewiesen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Betroffene steht seit Oktober 2014 unter rechtlicher Betreuung. Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen hat das AG die bestehende Betreuung unter Erweiterung der Aufgabenkreise verlängert und einen Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge angeordnet. Gegen diese Entscheidung hat die Betroffene Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hat das LG einen Verfahrenspfleger bestellt, eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen zur Erforderlichkeit des Einwilligungsvorbehalts und zur Fähigkeit der Betroffenen zur freien Willensbildung eingeholt und die Betroffene durch die Berichterstatterin der Beschwerdekammer persönlich angehört. Anschließend hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Rz. 2
Die Rechtsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückzuverweisen.
Rz. 3
1. Allerdings greift die von der Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge, wonach das Beschwerdegericht die Anhörung der Betroffenen nicht durch die Berichterstatterin der Beschwerdekammer als beauftragte Richterin habe vornehmen lassen dürfen, nicht durch.
Rz. 4
a) Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1, 2 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören. Es hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Die persönliche Anhörung des Betroffenen ist auch für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers (§ 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG) und für die Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers (§ 293 Abs. 1 Satz 1 FamFG) zwingend vorgeschrieben. Da sich gem. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG das Beschwerdeverfahren nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug bestimmt, gelten die in § 278 Abs. 1 FamFG enthaltenen Verpflichtungen grundsätzlich auch für das Beschwerdegericht. Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. hierzu BGH v. 26.2.2014 - XII ZB 503/13, FamRZ 2014, 828 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 5
b) Gemessen daran durfte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall - wie es zutreffend erkannt hat - nicht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Mit der Einholung der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen hat es für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage geschaffen, zu der die Betroffene im amtsgerichtlichen Verfahren noch nicht angehört werden konnte. Dies macht eine erneute Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren erforderlich (vgl. BGH v. 2.12.2015 - XII ZB 227/12, FamRZ 2016, 300 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 6
c) Wie der Senat bereits entschieden hat, muss die Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren jedoch nicht zwangsläufig durch alle Mitglieder der Beschwerdekammer erfolgen (BGH v. 9.11.2011 - XII ZB 286/11, FamRZ 2012, 104 Rz. 28 ff. m.w.N.; v. 15.6.2016 - XII ZB 581/15, FamRZ 2016, 1446 Rz. 16 f.). Dies folgt bereits aus § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG, wonach das Beschwerdegericht im Regelfall von einer Anhörung absehen kann, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Die Beschwerdekammer hat anderenfalls im Rahmen der ihr obliegenden Amtsermittlung nach § 26 FamFG darüber zu befinden, ob es für ihre Entscheidung wegen der Besonderheiten des Falles darauf ankommt, dass sich die gesamte Kammer einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschafft oder ob der Kammer durch eine vom beauftragten Richter durchgeführte Anhörung eine ausreichende Grundlage für die zu treffende Entscheidung vermittelt wird (vgl. BGH v. 9.11.2011 - XII ZB 286/11, FamRZ 2012, 104 Rz. 31). Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Anhörung durch den beauftragten Richter nur in ihrem objektiven Ertrag und als dessen persönlicher Eindruck verwertet werden darf (BGH v. 9.11.2011 - XII ZB 286/11, FamRZ 2012, 104 Rz. 31 m.w.N.; v. 15.6.2016 - XII ZB 581/15, FamRZ 2016, 1446 Rz. 17 m.w.N.).
Rz. 7
d) Auf dieser rechtlichen Grundlage begegnet die durch die beauftragte Richterin erfolgte Anhörung im vorliegenden Beschwerdeverfahren rechtlich keinen Bedenken, weil das Beschwerdegericht der Anhörung der Betroffenen kein besonderes Gewicht beigemessen hat. In der angegriffenen Entscheidung wird zwar ausgeführt, die Feststellungen der Sachverständigen zur Betreuungsbedürftigkeit und zum Betreuungsbedarf der Betroffenen würden auch von dem persönlichen Eindruck, den das Beschwerdegericht bei der Anhörung der Betroffenen gewonnen habe, gestützt.
Rz. 8
Zur Begründung, weshalb das Beschwerdegericht die Ausführungen der Sachverständigen für überzeugend erachtet, zieht es den von der Berichterstatterin gewonnenen persönlichen Eindruck von der Betroffenen nur ergänzend heran. In erster Linie stützt es sich hingegen auf die Ergebnisse der erstinstanzlichen Anhörung der Betroffenen vom 23.6.2015 und auf die Ausführungen der Verfahrenspflegerin in ihrem Schreiben vom 22.10.2015. Unter diesen Umständen wurde durch die von der beauftragten Richterin durchgeführte Anhörung eine ausreichende Grundlage für die getroffene Entscheidung vermittelt.
Rz. 9
2. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist die angefochtene Entscheidung dagegen nicht frei von Rechtsfehlern.
Rz. 10
Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen zwar die Verlängerung der Betreuung mit den vom AG angeordneten Aufgabenkreisen, nicht aber die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts. Denn die erheblich in Freiheitsrechte der Betroffenen eingreifende Anordnung des Einwilligungsvorbehalts lässt sich nur rechtfertigen, wenn ihre Voraussetzungen auch in der zur Überprüfung gestellten Entscheidung verlässlich festgestellt sind (vgl. BGH v. 19.1.2011 - XII ZB 256/10, FamRZ 2011, 637 Rz. 19; zur Verlängerung des Einwilligungsvorbehalts Staudinger/Bienwald BGB [Stand: 6.6.2016] § 1903 Rz. 39).
Rz. 11
a) Soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, ordnet das Betreuungsgericht nach § 1903 Abs. 1 BGB an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt). Ob dies der Fall ist, hat das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen. Ein Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge kann nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen. Der Grundsatz der Erforderlichkeit bedeutet dabei auch, dass der Einwilligungsvorbehalt je nach den Umständen auf einen einzelnen Vermögensgegenstand oder eine bestimmte Art von Geschäften beschränkt werden kann (BGH v. 27.4.2016 - XII ZB 7/16, FamRZ 2016, 1070 Rz. 16; v. 28.9.2016 - XII ZB 275/16 - juris Rz. 6 m.w.N.).
Rz. 12
b) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.
Rz. 13
Die Ausführungen des LG hierzu beschränken sich auf die Feststellung, die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts sei wegen der mangelnden Fähigkeit der Betroffenen, ihr Geld einzuteilen, nötig. Auch in der erstinstanzlichen Entscheidung ist ohne weitere Begründung ausgeführt, die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts erfolge zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für das Vermögen der Betroffenen.
Rz. 14
Dies kann die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts, der einen gravierenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen darstellt, nicht rechtfertigen. Hierzu bedarf es vielmehr konkreter Anhaltspunkte für eine Vermögensgefährdung erheblicher Art und Feststellungen dazu, ob und ggf. in welchem Umfang die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts erforderlich ist, um eine erhebliche Gefahr für das Vermögen der Betroffenen abzuwenden. Tragfähige Feststellungen, die diesen Anforderungen genügen, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen.
Rz. 15
3. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat hinsichtlich der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts verwehrt, weil die Sache mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben und die Sache ist insoweit an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
FamRZ 2017, 478 |
FuR 2017, 204 |
NJW-RR 2017, 517 |
FGPrax 2017, 32 |
BtPrax 2017, 73 |
JZ 2017, 222 |
MDR 2017, 599 |
FF 2017, 129 |
NZFam 2017, 235 |