Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 15. August 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die erhobene Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Die Sachbeschwerde führt indes zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung.
Rz. 2
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
„Die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge hat hingegen Aussicht auf Erfolg. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite ist lückenhaft.
Der Tatrichter ist verpflichtet, den festgestellten Sachverhalt, soweit er bestimmte Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten nahelegt, im Urteil erschöpfend zu würdigen. Seinem Urteil muss bedenkenfrei entnommen werden können, dass er bei seiner Prüfung keinen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Für die Überzeugungsbildung zur Frage des Vorsatzes ist hierfür eine Auseinandersetzung mit allen festgestellten, für den inneren Tathergang wesentlichen oder sich aufdrängenden Umständen erforderlich (vgl. Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 124 m.w.N.). Darüber hinaus müssen in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, die die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten beeinflussen können (BGH NStZ-RR 2012, 383, 384 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
1. Nach den Urteilsfeststellungen äußerte der Angeklagte unmittelbar nach der Tat spontan gegenüber der Geschädigten, er habe geglaubt, sie sei wach und ‚mache mit’ (UA S. 4). Mit derselben Begründung verband er auch seine Entschuldigung im Rahmen des nachfolgenden Textnachrichtenaustauschs über ‚WhatsApp’, wobei er seine Annahme, die Geschädigte sei wach gewesen, damit begründete, wahrgenommen zu haben, dass sich die Zeugin beim Geschlechtsverkehr bewegt und gestöhnt habe (UA S. 5). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Geschädigte nach den Feststellungen zu diesem Zeitpunkt mit dem Rücken zum Angeklagten lag und er zunächst noch die von ihr getragene ‚Hot-Pants’ herunter zog (UA S. 4), hätte es der näheren Auseinandersetzung bedurft, warum auszuschließen ist, dass der Angeklagte – entgegen seinen Bekundungen unmittelbar nach der Tat – nicht der Fehlvorstellung erlag, die Zeugin sei (zumindest infolge des Herunterziehens der Hose) wach gewesen. Dies gilt um so mehr, als nach den Urteilsfeststellungen der Alkoholisierungsgrad der Geschädigten, die noch vor dem Einschlafen Textnachrichten über ihr Mobiltelefon verschickte, nicht so gravierend war, dass ihre Aussagetüchtigkeit in Frage gestanden hätte (UA S. 8). Im Falle einer – nach den vorgenannten Umständen in Betracht zu ziehenden – Fehlvorstellung vom Wachzustand der Geschädigten bei Ausübung des Geschlechtsverkehrs würde es aber für eine Strafbarkeit nach § 179 StGB am Vorsatz hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Widerstandsunfähigkeit fehlen.
Eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer solchen Fehlvorstellung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Angeklagte bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung die vorgenannte Äußerung, er sei davon ausgegangen, die Geschädigte sei bei Vollzug des Beischlafs wach gewesen, nicht wiederholte, sondern stattdessen einvernehmliche Zärtlichkeiten ohne Geschlechtsverkehr behauptete. Diese – im Rahmen der Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei als widerlegt angesehene (UA S. 10, 11) – Einlassung kann durch das Bestreben motiviert gewesen sein, sich nach Konfrontation mit dem schweren strafrechtlichen Tatvorwurf dadurch zu verteidigen, indem er diesen durch Bestreiten des Beischlafs möglichst weit von sich wies. Auch hiermit hätte sich das Tatgericht auseinandersetzen müssen.
2. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen wäre des Weiteren eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich gewesen, ob der Angeklagte möglicherweise irrig von einer Einwilligung der Zeugin in den Geschlechtsverkehr ausgegangen ist. An der vorsätzlichen Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit einer schlafenden Person fehlt es nämlich auch dann, wenn der Täter eine Einwilligung des schlafenden Sexualpartners angenommen hat (vgl. zum Ganzen BGH NStZ 2009, 90; BGH NStZ-RR 2013, 316). Eine solche irrige Fehlvorstellung lag hier gleichfalls nicht fern: Angeklagter und Zeugin hatten zuvor eine – wenn auch mehrere Jahre zurückliegende – sexuelle Beziehung mit einvernehmlichen Geschlechtsverkehr (UA S. 3) und beide verband bis zum Tattag eine ‚innige Freundschaft’ (UA S. 3). ‚Man verbrachte viel Zeit miteinander, der Angeklagte übernachtete mehrfach bei der Zeugin, wobei er auch mit ihr gemeinsam in ihrem Bett schlief’ (UA S. 3). Feststellungen dazu, dass die Zeugin gegenüber dem Angeklagten die Wiederaufnahme sexueller Kontakte unmissverständlich abgelehnt hätte, enthält das Urteil nicht. Die Behauptung des Angeklagten, die Zeugin habe ihn bei dem Diskothekenbesuch vor der Tat ‚angeflirtet’ und ‚aufreizend’ mit ihm getanzt sowie seinen entblößten Oberkörper als ‚geil’ bezeichnet (UA S. 7), hat die Zeugin ‚ausdrücklich auch nicht in Abrede stellen wollen’ (UA S. 11). Selbst wenn die Geschädigte eine eigene sexuelle Intension dieses von ihr nicht in Abrede gestellten Verhaltens bestritt (UA S. 11) und deshalb zur Überzeugung der Kammer objektiv mangelndes Einverständnis der Zeugin prinzipiell feststellbar sein mag, hätte vor dem Hintergrund, dass die Geschädigte dem Angeklagten selbst anbot, nach dem Diskothekenbesuch gemeinsam mit ihr im Bett zu übernachten (UA S. 4), die Möglichkeit mangelnder Vorstellung des Angeklagten vom fehlenden Einverständnis im Rahmen der Beweiswürdigung näherer Erörterung und Problematisierung bedurft (vgl. auch BGH NStZ-RR 2013, 316, 317). Der Hinweis der Kammer, dem Angeklagten hätte aufgrund des – nach anfänglichem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr – mehrere Jahre nur platonisch gepflegten Charakters der Beziehung bewusst gewesen sein müssen, dass die Zeugin kein Interesse sexueller Natur an ihm gehabt habe (UA S. 13), reicht für eine rechtlich gebotene Auseinandersetzung mit den für die innere Tatseite wesentlichen Umständen nicht aus, denn auch eine fahrlässige irrige Fehlvorstellung würde den Vorsatz entfallen lassen.”
Rz. 3
Dem stimmt der Senat zu.
Unterschriften
Becker, Hubert, Mayer, Gericke, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 6482946 |
NStZ-RR 2014, 108 |
NStZ-RR 2014, 364 |
Kriminalistik 2014, 736 |
StV 2014, 414 |