Verfahrensgang
LG Detmold (Urteil vom 11.06.2019; Aktenzeichen 31 Js 326/18 23 KLs 7/19) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 11. Juni 2019
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung, des Raubs in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und der versuchten Nötigung schuldig ist, und
- im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „besonders schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen, wobei es in zwei Fällen bei dem Versuch blieb, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, sowie wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung” zu der Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der nicht näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Verurteilung wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gemäß §§ 22, 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB im Fall II. 3 der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Feststellungen des angefochtenen Urteils keinen auf eine Erpressung nach § 253 Abs. 1 StGB gerichteten Vorsatz des Angeklagten ergeben.
Rz. 3
a) Nach den Feststellungen bedrohte der Angeklagte, der auf der Suche nach einer Einnahmequelle war, um sich Marihuana kaufen zu können, zwei 13-jährige Jungen mit einem Messer und forderte sie auf, für ihn in der Innenstadt von Detmold Wertgegenstände zu stehlen. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, hatten die beiden Jungen Angst vor dem Angeklagten und waren von dem vorgehaltenen Messer so beeindruckt, dass sie sich zunächst nicht zu widersetzen wagten. Auf dem Weg in die Innenstadt gelang es ihnen aber, wegzulaufen und sich dem Angeklagten zu entziehen.
Rz. 4
b) Diese rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben in subjektiver Hinsicht keinen auf die Begehung einer Erpressung gerichteten Tatplan des Angeklagten. Eine Erpressung zum Nachteil der beiden Nötigungsopfer liegt nicht vor, weil die Handlung, zu welcher die beiden Jungen nach dem Vorstellungsbild des Angeklagten genötigt werden sollten, nicht mit einem Vermögensnachteil für die Genötigten verbunden war. Denn einem abverlangten Verhalten, das sich in der Begehung strafbarer Handlungen erschöpft, kommt im Vermögen des Genötigten kein wirtschaftlicher Wert zu, sodass die erzwungene Vornahme solcher Handlungen keinen Vermögensschaden beim Nötigungsopfer begründen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 2008 – 2 StR 421/08, NStZ-RR 2009, 106; vom 2. Mai 2001 – 2 StR 128/01, NStZ 2001, 534). Eine Erpressung zum Nachteil der durch die angestrebten Diebstahlstaten Geschädigten kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil es nach den Vorstellungen des Angeklagten im Zeitpunkt der Nötigungshandlung an dem für eine Dreieckserpressung erforderlichen Näheverhältnis der Genötigten zu den geschädigten Vermögensinhabern fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 1995 – 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 125 f.; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 253 Rn. 16 f.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 253 Rn. 6 jeweils mwN).
Rz. 5
c) Auf der Grundlage der Feststellungen hat sich der Angeklagte indes der versuchten Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen gemäß § 240 Abs. 1, 2 und 3 StGB schuldig gemacht. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend, wobei nach § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO davon abgesehen wird, die gleichartige Idealkonkurrenz in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 6
2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hat keinen Bestand, da die Jugendkammer es versäumt hat, über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zu befinden (§ 7 Abs. 1 JGG).
Rz. 7
a) Nach den Feststellungen begann der am 1. Januar 2001 geborene Angeklagte auf der Flucht von Syrien nach Deutschland im Alter von 13 Jahren mit dem Konsum von Cannabis. In der Folgezeit konsumierte er bis zu seiner Festnahme am 31. Januar 2019 täglich Marihuana, sofern er dieses finanzieren konnte. Als er nach der Verbüßung einer sechsmonatigen Jugendstrafe im August 2017 wieder begann, Marihuana zu konsumieren, verübte der Angeklagte, der nur über geringe finanzielle Mittel verfügte, zur Finanzierung seines Konsums die verfahrensgegenständlichen Taten. In der Untersuchungshaft nimmt der Angeklagte keine Drogen und kommt gut damit zurecht. Eine therapeutische Behandlung hält er nicht für erforderlich. Im Rahmen ihrer Ausführungen zum Vorliegen schädlicher Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG hat die Jugendkammer berücksichtigt, dass eine zureichende Aufarbeitung der Taten einschließlich der Bedeutung des Rauschmittelkonsums für sein Fehlverhalten durch den Angeklagten noch nicht erfolgt sei.
Rz. 8
b) Vor dem Hintergrund dieser Urteilsausführungen erscheint es in tatsächlicher Hinsicht naheliegend, dass die Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB in Betracht kommt. Die Jugendkammer hätte sich daher aus Gründen sachlichen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11 Rn. 24; Beschlüsse vom 2. Oktober 2019 – 3 StR 406/19 Rn. 3; vom 3. Dezember 2019 – 4 StR 553/19 Rn. 9) veranlasst sehen müssen, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen näher zu erörtern. Dies ist nicht geschehen.
Rz. 9
Die Frage der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB bedarf daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) einer neuen tatrichterlichen Entscheidung. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Rz. 10
c) Der Erörterungsmangel hat auch die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge. Denn die Jugendstrafe von vier Jahren, die vom Landgericht an sich rechtsfehlerfrei unter Bewertung des erforderlichen Erziehungsbedarfs bemessen worden ist und die auch durch die vom Senat vorgenommene Schuldspruchänderung nicht in Frage gestellt worden wäre, kann wegen des sich aus der gesetzlichen Regelung des § 5 Abs. 3 JGG ergebenden untrennbaren Zusammenhangs zwischen Jugendstrafe und Maßregelanordnung nach § 64 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2010 – 4 StR 126/10 Rn. 7; Diemer in Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 7. Aufl., § 5 Rn. 21 mwN) nicht bestehen bleiben.
Unterschriften
Sost-Scheible, Cierniak, Bender, Quentin, Bartel
Fundstellen
Haufe-Index 13678878 |
NStZ 2020, 286 |
JA 2020, 551 |
NStZ-RR 2020, 6 |
RÜ 2020, 310 |
StV 2020, 672 |