Verfahrensgang
LG Köln (Entscheidung vom 04.04.2022; Aktenzeichen 104 Ks 37/21) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird die Urteilsformel des Urteils des Landgerichts Köln vom 4. April 2022 dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Totschlags unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Köln vom 29. Juni 2021 (651 Ls 113/21 = 169 Js 96/21 Staatsanwaltschaft Köln) zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt wird.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen; jedoch hat er die den Nebenklägern insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten ausweislich der in der Hauptverhandlung vom 4. April 2022 verlesenen Urteilsformel wegen Totschlags zu einer „Jugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten“ verurteilt. Es hat diesen Tenor durch Beschluss vom 16. Mai 2022 wegen „offensichtlicher Unrichtigkeit“ dahin berichtigt, „dass gegen den Angeklagten anstelle einer Jugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Köln vom 29.06.2021 (651 Ls 113/21 = 169 Js 96/21 Staatsanwaltschaft Köln) eine Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verhängt wird.“ Zur Begründung hat es ausgeführt, die Offensichtlichkeit des Versehens ergebe sich bereits aus der mündlichen Begründung des verkündeten Urteils, da dargelegt worden sei, „dass die vorherige Verurteilung des Angeklagten entsprechend der Regelung des § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG in das Urteil einbezogen und bei der Zumessung der neu zu bildenden Einheitsjugendstrafe berücksichtigt wurde.“ In den schriftlichen Urteilsgründen hat es die berichtigte Urteilsformel übernommen und eine Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten unter Einbeziehung der Vorverurteilung begründet.
Rz. 2
Die auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 3
1. Die Verfahrensrüge versagt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift dargestellten Gründen.
Rz. 4
2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung der schriftlichen Urteilsgründe hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen bedarf der Strafausspruch der Abänderung.
Rz. 5
a) Die in den Urteilsgründen unter Einbeziehung einer Vorverurteilung des Amtsgerichts Köln vom 29. Juni 2021 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlichem Raub, Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, Verstoß gegen das Waffengesetz, Beleidigung sowie einer weiteren gefährlichen Körperverletzung und eines weiteren Raubes dargestellte und begründete Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten steht nicht im Einklang mit der in der Hauptverhandlung verkündeten Urteilsformel, wonach der Angeklagte allein wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden ist. Zwar weist der in die Urteilsurkunde aufgenommene Urteilstenor eine Einheitsjugendstrafe unter Einbeziehung dieser Vorverurteilung aus. Dies beruht jedoch auf dem Berichtigungsbeschluss des Landgerichts vom 16. Mai 2022, der unzulässig und damit unwirksam ist.
Rz. 6
aa) Eine Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung kommt nur bei einem offensichtlichen Schreib- bzw. Verkündungsversehen in Betracht. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer solchen Berichtigung eine unzulässige inhaltliche Abänderung des Urteils verbunden ist. Insbesondere ist in Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die - anders als die schriftlichen Urteilsgründe - bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten. Ein der Berichtigung zugängliches offensichtliches Verkündungsversehen kann nur angenommen werden, wenn sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten - auch ohne Berichtigung - klar zutage liegen und der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist, die Berichtigung also lediglich dazu dient, die äußere Übereinstimmung der Urteilsformel mit der tatsächlich beschlossenen herzustellen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteile vom 14. Januar 2015 - 2 StR 290/14, juris Rn. 8; vom 8. November 2017 - 2 StR 542/16, juris Rn. 17 f.; Beschluss vom 11. November 2020 - 2 StR 48/20, juris Rn. 4, jeweils mwN).
Rz. 7
bb) Hieran gemessen liegen die Voraussetzungen für die vom Landgericht vorgenommene Berichtigung nicht vor.
Rz. 8
(1) Die ausweislich der Sitzungsniederschrift verkündete Urteilsformel lässt einen offensichtlichen Fehler oder eine sonstige offensichtliche Unrichtigkeit nicht erkennen.
Rz. 9
(2) Auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass ein offensichtliches Verkündungsversehen vorliegt.
Rz. 10
(a) Das gilt auch in Ansehung des vom Landgericht in seinem Berichtigungsbeschluss angeführten Umstandes, wonach in der mündlichen Urteilsbegründung dargelegt wurde, dass „die vorherige Verurteilung des Angeklagten entsprechend der Regelung des § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG in das Urteil einbezogen und bei der Zumessung der neu zu bildenden Einheitsjugendstrafe berücksichtigt wurde.“
Rz. 11
(aa) Ausweislich des Berichtigungsbeschlusses fehlt bei der verkündeten Urteilsformel nicht nur die Einbeziehung der Vorverurteilung, sondern auch der Hinweis, dass der Angeklagte zu einer „Einheitsjugendstrafe“ verurteilt wurde. Die Urteilsformel divergiert damit an zwei Stellen von dem sehr knapp gehaltenen Berichtigungsbeschluss, so dass sich nicht erschließt, warum für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage gelegen haben soll, dass der Urteilsbegründung der Vorsitzenden eine höhere Verlässlichkeit beizumessen ist als der schriftlich vorliegenden und verlesenen Urteilsformel.
Rz. 12
(bb) Dies gilt umso mehr, als sich der Berichtigungsbeschluss weder zum Inhalt noch zum Umfang der Darstellung der Vorsitzenden in der mündlichen Urteilsbegründung zur Einbeziehung der Vorverurteilung verhält. Es bleibt auch offen, wann und wie das Gericht seinen Fehler bemerkt hat. Der Berichtigungsbeschluss wurde erst rund sechs Wochen nach Verkündung des Urteils und einen Monat vor der Fertigstellung des Protokolls gefasst (vgl. demgegenüber zu einer am Tag der Verkündung erfolgten Berichtigung Senat, Urteil vom 15. April 1981 - 2 StR 645/80, NStZ 1983, 208, 212).
Rz. 13
(b) Auch unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass ein offensichtliches Verkündungsversehen vorliegt.
Rz. 14
(aa) Die Sitzungsniederschrift weist unter der Urteilsformel keine Liste der angewendeten Vorschriften aus (§ 260 Abs. 5 StPO), die gegebenenfalls einen Rückschluss auf die Anwendung des § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ermöglicht hätte (vgl. zur Zweckmäßigkeit der Liste unter der Urteilsformel Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 260 Rn. 52). Im Übrigen wird § 31 JGG auch in der Liste der angewandten Vorschriften in den schriftlichen Urteilsgründen nicht erwähnt.
Rz. 15
(bb) Eine dienstliche Erklärung der beteiligten Berufsrichter (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 15. April 1981 - 2 StR 645/80, aaO) und ggf. der Schöffen zum Beratungsergebnis und der mündlichen Urteilsbegründung findet sich ebenso wenig in den Akten wie eine Stellungnahme durch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, die Nebenklagevertreterin (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 16. Juni 1953 - 1 StR 508/52, BGHSt 5, 5, 10) bzw. die Verteidiger im Berichtigungsverfahren zur Frage der Offenkundigkeit des Verkündungsversehens aufgrund der mündlichen Urteilsbegründung oder sonstiger Verfahrensgeschehnisse. Die bei den Akten befindliche „Anlage zum Sitzungsbericht vom 04.04.2022“ der Staatsanwaltschaft (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14. Januar 1954 - 3 StR 752/53, NJW 1954, 730) verhält sich nicht zur Verhängung einer Einheitsjugendstrafe und der Einbeziehung der Vorverurteilung.
Rz. 16
(cc) Die Unwirksamkeit der Berichtigung des Urteilstenors nach Abschluss der Urteilsverkündung führt dazu, dass der Berichtigungsbeschluss im Revisionsverfahren unbeachtlich ist (vgl. Senat, Urteil vom 8. November 2017 - 2 StR 542/16, juris Rn. 20).
Rz. 17
b) Der Senat hat zur Vermeidung einer weiteren Verzögerung des jugendgerichtlichen Verfahrens und um jede Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen, den Strafausspruch der Urteilsformel in analoger Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 13. September 2022 - 4 StR 90/22, juris Rn. 1) auf die in den schriftlichen Urteilsgründen rechtsfehlerfrei zugemessene Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten unter Einbeziehung der Vorverurteilung abgeändert.
Rz. 18
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 JGG, § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Franke |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15654869 |