Entscheidungsstichwort (Thema)
gefährliche Körperverletzung
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. August 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Der Angeklagte, seine Lebensgefährtin und zwei weitere Frauen gingen nach dem Besuch mehrerer Kneipen in der Düsseldorfer Altstadt die Mertensgasse hinunter, als ihnen der erheblich alkoholisierte Zeuge K., der sich in Begleitung von sechs Personen befand, entgegen kam. Der Zeuge packte die Lebensgefährtin des Angeklagten kurz am Oberarm. Unklar geblieben ist, ob, was der Angeklagte gesehen haben will, er diese auch am Gesäß angefaßt hat. Aus Wut schlug der Angeklagte dem Zeugen in den Nacken oder packte ihn am Kragen; er ließ von ihm ab, als drei Begleiter des Zeugen, deren bis dahin fröhliche Stimmung in Aggression und Streitlust umgeschlagen war, in drohender Haltung auf ihn zukamen. Der Angeklagte, der diese Aggression sofort bemerkte, entfernte sich. Nunmehr beschloß der Zeuge K. sowie drei seiner Begleiter, das Verhalten des Angeklagten nicht ungestraft zu lassen. Sie folgten dem Angeklagten und den drei Frauen, die alsbald stehen blieben. Der Angeklagte sah die vier Männer auf sich zurennen. „Anstatt selbst die Flucht zu ergreifen” – so das Landgericht (UA S. 10) –, forderte er die Frauen auf, sich in Sicherheit zu bringen; er selbst war mit einer körperlichen Auseinandersetzung einverstanden. Die Gelegenheit schien ihm günstig, den Zeugen K. wegen dessen Aktion gegen seine Lebensgefährtin zu bestrafen. Einem möglichen Streit sah er gelassen entgegen, hatte er doch ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm und einer Breite von 4 cm bei sich. Bevor der Angeklagte allerdings von sich aus aktiv werden konnte, schlug ihm einer der Begleiter des Zeugen von hinten eine Bierflasche auf den Hinterkopf, die dabei zerbrach. Gleichzeitig erhielt er einen Tritt, so daß er zu Boden ging. Es kam nun zu einer Schlägerei zwischen den beiden Gruppen, an denen sich auch die Frauen beteiligten; diese entfernten sich dann.
Zwischenzeitlich hatte der am Boden liegende Angeklagte sein Messer gezogen, war aufgestanden, hielt es in drohender Haltung gegen die Gruppe um den Zeugen K. und schwang es vom Körper entfernt in weiten Bögen von links nach rechts hin und her, um die ihn Bedrohenden von sich fernzuhalten. Einer der Begleiter des Zeugen K. hatte sich entfernt, zwei andere, die Zeugen T. und H., blieben „in respektvoller Entfernung” stehen und versuchten, den Zeugen K. vom Angeklagten wegzuziehen. Sie haben später ausgesagt, die eigentliche Aggression sei von K. und ihnen ausgegangen, sie hätten aufgrund ihres eigenen Verhaltens Verständnis für den Einsatz des Messers seitens des Angeklagten gehabt.
In dieser Situation ging der Zeuge K. nun in wütender und aggressiver Stimmung auf den Angeklagten zu. Der Angeklagte, der sah, daß K. keine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug bei sich hatte, schwang weiter sein Messer, um K. auf Abstand zu halten. Da dieser trotzdem weiter auf den Angeklagten zukam, erlitt er fünf Schnittverletzungen.
Gleichwohl ging er noch weiter auf den Angeklagten zu. „Wut und Ärger stiegen in dem Angeklagten hoch, war K. doch derjenige, der seine Freundin ‚unsittlich’ angefasst hatte und sich nunmehr auch noch mit ihm – dem Angeklagten – schlagen wollte. Getragen von dieser Wut wollte er dem K. einen Denkzettel verpassen. Bevor K. von sich aus irgendeine körperliche Attacke gegen den Angeklagten ausführte, holte dieser mit dem Messer in der rechten Hand aus und versetzte dem ihm gegenüber stehenden K. einen gezielten und wuchtigen Stich in den linken Oberbauch. Das Messer drang ca. 4 cm durch das Bauchfettgewebe in den Körper des K. ein und durchstach den Darm” (UA S. 12, 13). Der Zeuge wurde alsbald mit lebensgefährlicher Darmperforation in ein Krankenhaus eingeliefert, notfallmäßig operiert, und seine Schnittverletzungen wurden genäht.
Das Landgericht hat eine Notwehrlage sowohl hinsichtlich der fünf Schnittverletzungen als auch bezüglich des Bauchstichs verneint. Der Angeklagte habe genügend Zeit gehabt, zusammen mit den drei Frauen wegzurennen und so der kommenden Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Das habe er nicht getan. Vielmehr habe er sich wütend und erbost auf die körperliche Auseinandersetzung eingelassen, um die Gelegenheit zu nutzen, K. zu bestrafen. Der eigentliche unmittelbare Angriff mit der Bierflasche sei abgeschlossen gewesen, als K. auf den Angeklagten zugegangen sei. „Mag der Zeuge auch die Absicht gehabt haben, sich – vom Messer des Angeklagten unbeeindruckt – mit diesem zu schlagen”, habe doch kein Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut des Angeklagten unmittelbar bevorgestanden. Der „unbewaffnete K. habe weder den Arm zum Schlag erhoben, noch eine sonstige körperliche Aktion gegen den Angeklagten ausgeführt” (UA S. 29). Bei dieser Sachlage sei ein künftiger Angriff durch K. „möglicherweise zu erwarten, die gerechtfertigte Notwehrhandlung (sei) zu dieser Zeit aber noch nicht möglich” (UA S. 29) gewesen.
2. Die Ansicht des Landgerichts, schon die fünf Schnittverletzungen seien nicht durch Notwehr gerechtfertigt, begegnet rechtlichen Bedenken. Dem Urteil liegt insoweit eine zu enge Auffassung vom Umfang des Notwehrrechts zugrunde.
Nach den Feststellungen stand dem Angeklagten unmittelbar ein rechtswidriger Angriff durch den Zeugen K. bevor. Die der Tat vorausgegangene körperliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen war beendet. Mindestens der Zeuge K. und noch zwei seiner Begleiter kamen nun in feindseliger Absicht auf den Angeklagten zu. Der Zeuge K. ließ sich auch durch die Messerschwünge nicht abhalten, weiter auf den Angeklagten zuzugehen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war jetzt nicht nur „ein künftiger Angriff möglicherweise zu erwarten”, sondern gegenwärtig. Das Verhalten des K. konnte unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung umschlagen, so daß durch das Hinausschieben einer Abwehrhandlung dessen Erfolg in Frage gestellt wäre (vgl. BGHR StGB § 32 II Angriff 1). Der Einsatz des Messers war unter den gegebenen Umständen auch erforderlich, da er die sofortige Beseitigung des Angriffs des K. erwarten ließ (vgl. BGHSt 27, 336; BGH NStZ 1996, 29; BGHR StGB § 32 II Verteidigung 4); er war in der Form des im Abstand vor dem Körper Hin- und Herschwingens auch – im Vergleich zum sofortigen Zustechen – das schonendere Mittel zur Erreichung des Abwehrerfolges. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang brauchte sich der Angeklagte nicht einzulassen (vgl. BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 6).
Darauf, daß K. unbewaffnet war und den Arm noch nicht zum Schlag erhoben hatte, kommt es angesichts der unmittelbaren Vorgeschichte und der drohenden Haltung des Zeugen K. und seiner Begleiter, denen der Angeklagte alleine gegenüberstand, nicht an.
Der Angeklagte war auch – weder vor Beginn der Schlägerei, als die Gruppe um den Zeugen K. auf ihn und die drei Frauen zurannte, noch, nachdem er von der Bierflasche getroffen zu Boden gestürzt war, sich erhoben hatte und erneut K. und seine Begleiter in drohender Haltung auf sich zukommen sah – nicht gehalten, „selbst die Flucht zu ergreifen” (UA S. 10, 34) und „wegzurennen” (UA S. 27). Seiner Abwehrhandlung war kein schuldhaft provozierter Angriff seinerseits vorausgegangen (vgl. BGHSt 39, 374 m.w.Nachw.), so daß er nicht verpflichtet war, dem Angriff auszuweichen. Der Zeuge K. war nach den getroffenen Feststellungen auch nicht so betrunken, als daß unter diesem Gesichtspunkt das Notwehrrecht des Angeklagten eingeschränkt gewesen wäre.
Der Angeklagte handelte auch mit Verteidigungswillen. Zwar schien dem Angeklagten vor dem Beginn der körperlichen Auseinandersetzung die Gelegenheit, den Zeugen K. für dessen Verhalten zu bestrafen, günstig und im Hinblick auf sein Messer sah er auch einem Streit trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Angreifer gelassen entgegen. Der Messereinsatz hatte aber dann später in der konkreten Situation nach den getroffenen Feststellungen nur noch den Zweck, zunächst die Gruppe um K. und dann diesen allein von sich fernzuhalten. Selbst wenn er in diesem Augenblick immer noch im Sinn gehabt haben sollte, den Zeugen K. zu bestrafen, so drängte dieses Motiv den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund (vgl. BGH NStZ 1996, 29, 30).
3. Soweit das Landgericht auch bei dem anschließenden Bauchstich eine Notwehrlage verneint hat (vgl. BGHSt 42, 97; BGHR StGB § 32 II Verteidigung 6), kann der Senat nicht ausschließen, daß die rechtsfehlerhafte Beurteilung des ersten Tatkomplexes auch die Bewertung dieses Tatgeschehens beeinflußt hat. Im Hinblick auf die Feststellung, daß der Angeklagte aus Wut und um dem Zeugen einen Denkzettel zu verpassen, zugestochen hat, läßt das Urteil zudem eine Prüfung vermissen, ob der Angeklagte daneben auch noch mit Verteidigungswillen gehandelt hat. Denn eine Tat kann auch dann durch Notwehr gerechtfertigt sein, wenn der Täter neben der Abwehr noch andere Ziele verfolgt, solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen; das gilt auch, wenn Wut bei der Tat eine Rolle spielt (BGH NStZ 1996, 29, 30 m.w.Nachw.).
Unterschriften
Kutzer, Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 556799 |
NStZ 2000, 365 |
Kriminalistik 2000, 520 |