Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchter Totschlag
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 13. Dezember 2000 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die allgemein erhobene Sachrüge gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist aus den Erwägungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Hingegen hat das Rechtsmittel mit der Sachbeschwerde Erfolg; diese führt zur Aufhebung des Schuld- und des Strafausspruchs.
I.
Nach den getroffenen Feststellungen lag der Angeklagte mit dem Vermieter der von ihm und seiner Familie bewohnten Doppelhaushälfte im Streit. Nachdem ein rechtskräftiger Räumungstitel gegen ihn vorlag, zog er aus dem Hause aus. Aus Verärgerung und um den Vermieter in Verruf zu bringen nahm er zuvor mehrere Veränderungen u.a. an der Elektroinstallation des Hauses vor. So öffnete er im Eßzimmer und im Kinderzimmer jeweils eine Doppelsteckdose, klemmte an je einer der Steckdosen den Schutzleiter und den stromführenden Leiter ab und schloß den stromführenden Leiter an den Schutzleiterkontakt an. Dadurch bewirkte er, daß beim späteren Anschluß eines mit einem Schutzleiter ausgestatteten Elektrogeräts an eine dieser Steckdosen sofort eine Spannung von 230 Volt auf das Gehäuse des angeschlossenen Gerätes übertragen werden konnte. Er wollte erreichen, daß ein nachfolgender Nutzer des Hauses beim bestimmungsgemäßen Gebrauch der manipulierten Steckdosen einen Stromschlag erhielte. Überdies hatte der Angeklagte zuvor im Haussicherungskasten für die drei Stromkreise des Hauses die vorhandenen 16-Ampere-Sicherungen und zudem die Sicherungslastschalter überbrückt, die die stromführenden Phasen zwischen Hausanschlußkasten und dem Haussicherungskasten nochmals mit jeweils 25 Ampere absicherten; sie waren damit funktionslos. Die einzige wirksame Sicherung war danach noch die sog. Panzersicherung im Hausanschlußkasten mit einer Absicherung von 50 Ampere. Die Manipulationen wurden alsbald bei einer Überprüfung der gesamten Elektroinstallation des Hauses entdeckt. Diese fand statt, nachdem der Hausverwalter Veränderungen an der Ölheizungsanlage des Hauses festgestellt hatte, die zu deren Ausfall geführt hatten.
Das Landgericht geht – insoweit sachverständig beraten – davon aus, der Angeklagte habe um der Verwirklichung seines Vorhabens willen in Kauf genommen, daß ein Stromschlag beim Anschluß eines elektrischen Gerätes ohne weiteres auch tödliche Folgen hätte haben können.
II.
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit seinem Handeln bereits das Stadium des Versuchs eines Tötungsdelikts erreicht, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Hingegen leiden die Erwägungen zum bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten an durchgreifenden Erörterungsmängeln. Überdies sind die Feststellungen zur Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit lückenhaft.
1. Zu Recht geht die Strafkammer davon aus, der Angeklagte habe unmittelbar zur Begehung der Tat angesetzt (§ 22 StGB). Er hatte aus seiner Sicht alles für das Gelingen seines Tatplanes Erforderliche getan. Für die Herbeiführung eines deliktischen Erfolges war zwar noch die unbewußte Mitwirkung des Opfers erforderlich, das eine der manipulierten Steckdosen hätte nutzen müssen. Das ändert aber nichts daran, daß bei ungestörtem Fortgang der Dinge alsbald und innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes die Nutzung einer der manipulierten Steckdosen durch einen nachfolgenden Mieter oder Handwerker wahrscheinlich war und nahelag. Hier, bei der Veränderung elektrischer Steckdosen in zentralen Räumen eines Wohnhauses, blieb nicht etwa ungewiß, ob und wann die Manipulationen einmal Wirkung entfalten würden. Es lag vielmehr auf der Hand, daß die Steckdosen in Kürze genutzt würden. Insofern verhält es sich anders als etwa beim Aufstellen eines vergifteten Getränks in der ungewissen Erwartung, Einbrecher würden erneut in ein Haus eindringen und das Getränk zu sich nehmen (dazu Senat, BGHSt 43, 177 = NStZ 1998, 241 – Giftfalle). Vielmehr liegt die Sache ähnlich wie beim Anbringen einer Handgranate an einem vor dem Hause geparkten Pkw (dazu Senat, NStZ 1998, 294, 295 – Sprengfalle).
2. Die Ausführungen des Landgerichts zum bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten halten der rechtlichen Überprüfung indessen nicht stand. Das Urteil läßt nicht erkennen, ob das Landgericht die Grenze zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gezogen hat. Die Würdigung ist lückenhaft.
a) Der Bundesgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben, daß vor allem wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit bestimmter Handlungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber ein zwingender Beweisgrund für die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter ist (sog. voluntatives Element des Vorsatzes). Der Schluß auf den bedingten Tötungsvorsatz ist deshalb nur dann tragfähig, wenn der Tatrichter in seine Erwägungen auch alle diejenigen Umstände einbezogen hat, die eine derartige Folgerung in Frage stellen können. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daß er eine solche Prüfung vorgenommen hat. Bei der Würdigung sind alle dafür maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen, namentlich das Ziel und der Beweggrund für die Tat, die Art der Ausführung, die von der Tat ausgehende Gefährlichkeit, der Kenntnisstand des Täters, aber auch seine psychische Verfassung. Bei der Abgrenzung ist weiter zu bedenken, daß der Täter einen Tötungserfolg zwar als möglich vorausgesehen, aber ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben kann, er werde dennoch nicht eintreten; dann würde er in bezug auf den Tötungserfolg nur fahrlässig handeln. Hingegen kann eine billigende Inkaufnahme des Erfolges und damit bedingter Tötungsvorsatz vorliegen, wenn ihm der Erfolgseintritt an sich unerwünscht ist, er sich aber wegen eines angestrebten anderen Zieles damit abfindet. Die Grenzziehung kann im Einzelfall durchaus schwierig sein; um so mehr bedarf sie in solchen Fällen der Erörterung (vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 1, 5, 8, 11, 14 [Elektroschutzanlage], 30, 35, 37, 38, 39, jeweils m.w.N.).
b) Die Urteilsgründe lassen eine solche Abgrenzung des angenommenen bedingten Tötungsvorsatzes zur bewußten Fahrlässigkeit vermissen. Diese wäre auch im Blick auf besondere Umstände des Falles geboten gewesen. Zwar lag nach dem festgestellten objektiven Tatgeschehen die Annahme nahe, der Angeklagte könne sich um der Erreichung seines eigentlichen Zieles willen auch damit abgefunden haben, daß aufgrund seiner Manipulationen ein Mensch zu Tode kommen könne. Er hat den Beruf eines Elektrikers erlernt, zu dessen Grundwissen die von solchen Veränderungen ausgehenden Gefahren gehören. Darauf stellt auch das Landgericht ab. Zudem hat er nicht nur die Steckdosen manipuliert, sondern durch die Überbrückung der Absicherung der Stromkreise bewirkt, daß eine Stromstärke bis zu 50 Ampere auf dem Leiter möglich war. Schon ab 100 Milliampere können beim Durchfließen des menschlichen Körpers – abhängig von den weiteren Rahmenbedingungen – Herzkammerflimmern und Herzstillstand eintreten und zum Tode führen. Dies hat das Landgericht sachverständig beraten ebenfalls festgestellt.
Das Landgericht hat aber aus subjektiven Gründen das Vorliegen von Mordmerkmalen verneint. Die hierzu angestellten Erwägungen hätte es auch bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes mit einbeziehen und erörtern müssen. Die Strafkammer vermochte nicht die Gewißheit zu erlangen, daß der Angeklagte das Heimtückische seines Vorgehens in sein Bewußtsein aufgenommen und die entsprechenden Umstände gedanklich beherrscht und „gewollt gesteuert” hat. Sie hebt darauf ab, daß dem Angeklagten im Herbst 1996 ein im seitlichen Schädel entstandener Hirntumor operativ entfernt wurde, der Angeklagte dadurch bedingt seine Berufstätigkeit einstellte und finanzielle Einbußen erlitt. Zusammen mit seiner familiären Situation böten sich deshalb ausreichende Anhaltspunkte, daß er sich in einer verzweifelten Lage gesehen habe. Die konkrete Tatausführung stehe nicht der Annahme entgegen, daß er einen „spontan gefaßten Entschluß” umgesetzt habe. Zu seinen Gunsten sei deshalb davon auszugehen, er sei in erster Linie von dem Gedanken beherrscht gewesen, seinem Vermieter zu schaden, indem er ernsthafte Konflikte zwischen diesem und dem erwarteten Nachmieter auslösen und den Vermieter in Verruf bringen wollte. Für ihn habe nicht im Vordergrund gestanden, gerade die Arglosigkeit eines Nachmieters auszunutzen. Ebensowenig seien niedrige Beweggründe ein bestimmendes Motiv für eine Tötungshandlung gewesen. Auch hierzu hebt das Landgericht darauf ab, der Angeklagte sei in einer affektiv angespannten Situation in erster Linie auf die mittelbare Schädigung des Vermieters fixiert gewesen.
Diese zu den subjektiven Elementen der Mordmerkmale angestellten Erwägungen – die für sich gesehen gerade hinsichtlich der Heimtücke wegen des objektiven Tatbildes durchaus fragwürdig erscheinen mögen, den Angeklagten insoweit jedoch nicht beschweren – hätte die Strafkammer auch bei der Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewußter Fahrlässigkeit bedenken und berücksichtigen müssen. Das ist nicht geschehen, obgleich die psychische Verfassung eines Täters für die insoweit zu bewertende Frage mitbedeutsam sein kann. Dabei wäre auch zu erörtern gewesen, welches Gewicht der Befindlichkeit des Angeklagten angesichts der objektiv möglichen Auswirkungen und des Ausmaßes seiner Manipulationen zukommen konnte.
c) Darüber hinaus erweist sich die Würdigung zur subjektiven Tatseite unter einem weiteren Gesichtspunkt als lückenhaft. Das Landgericht hat keine näheren Feststellungen dazu getroffen, von welcher Intensität und Wirkung der operative Eingriff war, bei welchem dem Angeklagten nur wenige Monate vor der Tat im seitlichen Schädel ein Hirntumor entfernt worden war. Bei Verletzungen mit Gehirnbeteiligung gehört die Beurteilung der Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit zu denjenigen Fragen, für die eigene Sachkunde des Tatrichters regelmäßig nicht ausreicht. Die Beiziehung der Krankenunterlagen und die Anhörung eines medizinischen Sachverständigen drängen sich dann oft auf (vgl. dazu BGHR StGB § 21 Sachverständiger 1, 2, 4, 8). Hier ist allerdings eine Aufklärungsrüge von der Revision nicht erhoben. Unbeschadet dessen erweist es sich aber auch als sachlich-rechtlicher Mangel, daß das Urteil keine Ausführungen zur erforderlichen Sachkunde der Strafkammer für die Beurteilung der Auswirkungen des Eingriffs auf den inneren Tatbestand – wie auch auf die Steuerungsfähigkeit – enthält. Das Landgericht hat lediglich die Ehefrau des Angeklagten und weitere Zeugen befragt und führt aus, diese hätten Wesensveränderungen beim Angeklagten oder ein sonst auffälliges Verhalten nach dem Eingriff verneint (UA S. 29 unten). Das genügte hier nicht, um die Frage etwaiger Auswirkungen des Eingriffs zunächst auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, im hier gegebenen Zusammenhang aber auch auf die subjektive Tatseite (Willenselement des Vorsatzes) tragfähig beantworten zu können. Denn die Tat des Angeklagten erscheint eher ungewöhnlich (vgl. dazu BGHR StGB § 21 Sachverständiger 8; BGH, Beschl. vom 10. Mai 1984 – 2 StR 145/84), und nach den Grundsätzen der fachmedizinischen Erfahrung legt ein nachgewiesener Hirnprozeß stets das Vorliegen schuldfähigkeitsmindernder Voraussetzungen nahe (vgl. Langelüddeke/Bresser, Gerichtliche Psychiatrie 4. Aufl. S. 170). Das kann hier auch für die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit Bedeutung erlangen.
3. Der bezeichnete Darlegungs- und Erörterungsmangel wirkt sich weiter auf die Würdigung zur Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus. Das Ausmaß und die Auswirkungen der Tumoroperation hätten auch insoweit näherer Feststellungen und der Bewertung bedurft.
4. Die aufgezeigten Rechtsfehler berühren die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen nicht. Diese können deshalb aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird die Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewußter Fahrlässigkeit sowie die Frage der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Blick auf die Operation eines Hirntumors zu prüfen haben; die Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen dürfte naheliegen. Sollte wiederum ein bedingter Tötungsvorsatz und etwa auch das Vorliegen von Heimtücke bejaht werden, stünde das Verschlechterungsverbot einer Verurteilung wegen versuchten Mordes nicht entgegen; lediglich hinsichtlich der Art und der Höhe der Rechtsfolgen wäre § 358 Abs. 2 StPO zu beachten. Sollte bedingter Tötungsvorsatz nicht anzunehmen sein, wäre auch der Versuch einer gefährlichen Körperverletzung (vgl. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) oder möglicherweise auch – nach Feststellungen insoweit – der schweren Körperverletzung (vgl. § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu prüfen.
Unterschriften
Schäfer, Nack, Wahl, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 599903 |
NStZ 2001, 475 |
JA 2002, 102 |