Verfahrensgang
LG Landshut (Urteil vom 20.08.2008) |
Tenor
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
2. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 20. August 2008 wird
- das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen 1 bis 632 der Urteilsgründe (Tatkomplex I) wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen;
das genannte Urteil
aa) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte schuldig ist des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 25 Fällen, der Steuerhinterziehung in 25 Fällen und der veruntreuenden Unterschlagung,
bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 657 Fällen, wegen Steuerhinterziehung in 25 Fällen und wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Mit seiner Revision macht der Angeklagte ein Verfahrenshindernis geltend und rügt die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Im Zusammenhang mit der Begründung einer Verfahrensrüge beantragt er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Revision des Angeklagten führt zu einer Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 17. April 2009 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer Verfahrensrüge ist unzulässig, da bereits die formalen Voraussetzungen für die sachliche Prüfung des Wiedereinsetzungsantrags gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nicht gegeben sind.
Rz. 3
Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob vorliegend ein Ausnahmefall von dem Grundsatz gegeben ist, dass bei bereits formgerecht begründeter Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder Ergänzung der Verfahrensrüge nicht gewährt werden kann.
Rz. 4
Der Antrag ist jedenfalls deswegen unzulässig, weil er sich nicht dazu verhält, wann das Hindernis, das der fristgemäßen Begründung der Verfahrensrüge entgegenstand, weggefallen ist. Dies gehört zumindest in den Fällen, in denen – wie vorliegend – die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nach Aktenlage nicht offensichtlich ist, zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags (vgl. BGH NStZ 2006, 54, 55 m.w.N.).
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Soweit das Landgericht den Angeklagten im Tatkomplex I in 632 Fällen wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt hat, stellt der Senat das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO ein.
Rz. 6
1. Zum Tatvorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in diesen Fällen hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
Rz. 7
a) Der Angeklagte war Geschäftsführer von neun im Transportgewerbe tätigen Gesellschaften, die im Tatzeitraum insgesamt 195 Arbeitnehmer beschäftigten. Zwischen Januar und September 2003 meldeten die Unternehmen auf Veranlassung des Angeklagten bei den zuständigen Einzugsstellen geringere als tatsächlich geschuldete Bruttoentgelte, was dazu führte, dass die jeweils fälligen Sozialversicherungsbeiträge nicht in der tatsächlich geschuldeten Höhe festgesetzt und in der Folge auch nicht von den vom Angeklagten geleiteten Unternehmen in vollem Umfang gezahlt wurden. Soweit über das gemeldete Bruttoentgelt hinaus Gehaltszahlungen an die Arbeitnehmer erfolgten, wurden diese dadurch verschleiert, dass sie in der Lohnbuchhaltung der Unternehmen als „Spesenzahlungen” ausgewiesen wurden. Den Sozialversicherungsträgern entstand dadurch ein Schaden in Höhe von 124.202,10 Euro.
Rz. 8
b) Die Strafkammer konnte anhand der vorliegenden Lohnunterlagen und der sonstigen Beweismittel nicht zweifelsfrei feststellen, ob es sich bei allen Tagen, für die „Spesen” gezahlt wurden, um Arbeitstage handelte, die einen Entgeltanspruch der Arbeitnehmer begründeten und ob die Zahlung der Spesen daher als Zahlung von Arbeitsentgelt anzusehen war. Denn auf Anweisung des Angeklagten „wurden Spesen bei berufsbedingter Abwesenheit von Fahrern bezahlt ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Arbeitstage im Ausland handelte oder ob der betreffende Fahrer im Ausland einen oder mehrere freie Tage verbrachte” (UA S. 14). Die Strafkammer hat daher das tatsächlich geschuldete und sozialversicherungspflichtige Bruttoarbeitsentgelt im Wege der Schätzung ermittelt. Hierbei ging sie davon aus, dass es in der Hälfte der Fälle, in denen an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen „Spesenzahlungen” erfolgten, um Arbeitstage handelte, an denen ein Gehaltsanspruch der Arbeitnehmer nach Maßgabe des jeweiligen Arbeitsvertrags entstanden war. In den anderen Fällen ging die Strafkammer von arbeitsfreien Tagen aus. Auch die an diesen Tagen geleisteten „Spesenzahlungen”, die indes nicht die Höhe des vertraglich geschuldeten Tagesbruttoentgeltes erreichten, stellen nach Auffassung des Landgerichts sozialversicherungspflichtiges Entgelt dar, da diese nicht zusätzlich, sondern anstatt des Arbeitsentgelts gezahlt wurden.
Rz. 9
2. Bei dieser Sachlage tragen die getroffenen Feststellungen zwar den Schuldspruch in den Fällen 1 bis 632, nicht aber den Strafausspruch. Die Strafkammer hat den Schuldumfang nicht zutreffend bestimmt. Sie hat Teile der Zahlungen der vom Angeklagten geführten Unternehmen an die Arbeitnehmer auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu Unrecht als sozialversicherungspflichtiges Entgelt angesehen und daher in den einzelnen Fällen bei der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu hohe Arbeitsentgelte zu Grunde gelegt.
Rz. 10
a) Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass nach § 14 Abs. 1 SGB IV alle Einnahmen des Arbeitnehmers, die diesem in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen, Arbeitsentgelt und daher der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde zu legen sind (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Die Legaldefinition des § 14 Abs. 1 SGB IV wird jedoch durch § 1 Arbeitsentgeltverordnung (nachfolgend: ArEV), der zur Tatzeit noch Anwendung fand, konkretisiert. Danach gilt, dass einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind, soweit sie lohnsteuerfrei sind und – was vorliegend nicht von Bedeutung ist – sich aus §§ 2, 3 ArEV nichts Abweichendes ergibt.
Rz. 11
b) Unabhängig von der lohnsteuerrechtlichen Einordnung der fraglichen „Spesenzahlungen” verneint das Landgericht die Voraussetzungen des § 1 ArEV in den Fällen, in denen die „Spesenzahlungen” an arbeitsfreien Tagen erfolgten. Insoweit seien die Zahlungen nicht zusätzlich, sondern anstatt des Gehaltes gezahlt worden, so dass bereits aus diesem Grund die Einschränkung des § 1 ArEV nicht greife. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 12
aa) Allerdings ist der Ausgangspunkt des Landgerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Ausgehend von Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 SGB IV, soll es nicht zur Disposition der Parteien eines Arbeitsverhältnisses stehen, welcher Teil der Zahlungen des Arbeitgebers der Beitragspflicht unterliegt. Vielmehr sollen diejenigen Zahlungen, die als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung anzusehen sind, der Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde liegen. Die als Ausnahme vorgesehene Beitragsbefreiung, die die Vorschriften der ArEV im Wesentlichen aus betriebswirtschaftlichen Gründen vorsieht (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 55. Ergänzungslieferung 2007 SGB IV § 14 Rdn. 71), kann daher nicht dann gewährt werden, wenn das Erfordernis der zusätzlichen Gewährung des § 1 ArEV lediglich in formeller Hinsicht erfüllt ist, tatsächlich aber die Zulagen oder Zuschüsse i.S.v. § 1 ArEV sich als umgewandeltes geschuldetes Arbeitsentgelt darstellen (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Urt. vom 15. April 2008 – L 5 KR 68/07; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. vom 4. März 2009 – L 9 KR 157/03).
Rz. 13
bb) Die Kammer hat aber nicht festgestellt, dass die „Spesenzahlungen” an den arbeitsfreien Tagen als Gegenleistung für die erbrachten Arbeiten, z.B. im Wege der Anrechnung auf das tatsächlich geschuldete Entgelt, erfolgten. Eine solche Annahme liegt angesichts der anderweitigen Feststellung, dass nach Anweisung des Angeklagten Spesen bei berufsbedingter Abwesenheit von Fahrern ohne Rücksicht darauf gezahlt wurden, ob es sich um Arbeitstage im Ausland handelte oder ob der betreffende Fahrer im Ausland einen oder mehrere freie Tage verbrachte, auch nicht nahe.
Rz. 14
c) Demnach wurden die Spesen an den Samstagen, Sonntagen und Feiertagen, bei denen es sich um arbeitsfreie Tage handelte, zusätzlich i.S.v. § 1 ArEV geleistet. Da es sich bei diesen Zulagen zudem um nach § 3 Nr. 16 EStG steuerfreie Einnahmen handelte, bestand für diesen Teil der Zahlungen keine Sozialversicherungspflicht. Demgegenüber entstand an den Samstagen, Sonntagen und Feiertagen, bei denen es sich nach den Feststellungen um Arbeitstage handelte, ein Entgeltanspruch der Arbeitnehmer, welcher der Beitragspflicht unterlag. Auf der Grundlage der Schätzungen und Berechnungen des Landgerichts reduziert sich der Betrag der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge daher um etwa 25 %.
Rz. 15
4. Angesichts des demnach verringerten Schuldumfangs fallen die Einzelstrafen, die aufgrund erneuter Verhandlungen für die Taten 1 bis 632 zu erwarten wären, neben den Einzelstrafen, die für die weiteren Taten des Angeklagten verhängt wurden, nicht ins Gewicht. Der Senat stellt daher aus verfahrensökonomischen Gründen auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren hinsichtlich der Taten 1 bis 632 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig ein. Der damit einhergehende Wegfall der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
Rz. 16
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO zu entscheiden. Damit ist die neue Gesamtstrafe im Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zu bilden, in dem auch eine Entscheidung über die Pflicht zur Tragung der Kosten der Revision des Beschwerdeführers zu treffen ist.
Unterschriften
Nack, Wahl, Hebenstreit, Jäger, Sander
Fundstellen
Haufe-Index 2391592 |
wistra 2009, 438 |
NStZ-RR 2009, 339 |