Leitsatz (amtlich)
Einem Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 2 ZPO ist regelmäßig der Erfolg nicht nur dann zu versagen, wenn in der Berufungsinstanz ein Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO nicht gestellt oder nicht begründet worden ist, sondern auch dann, wenn die Einstellungsgründe erstmals im Revisionsrechtszug substantiiert vorgetragen werden, obwohl sie bereits im Berufungsrechtszug erkennbar und nachweisbar waren.
Normenkette
ZPO § 719 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung der Klägerin aus dem Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 25. April 1991 einstweilen einzustellen, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Durch Urteil des Oberlandesgerichts München vom 25. April 1991 ist die Beklagte unter anderem zur Zahlung von 100.000,– DM nebst Zinsen verurteilt worden (Ausspruch zu Ziffer II). Ihr ist weiter unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt worden, Arzneimittel oder deren Verpackung oder Umhüllung mit der Bezeichnung „I. 5m. – r.” zu versehen oder so gekennzeichnete Arzneimittel in der Bundesrepublik Deutschland im Bestand vor dem 3. Oktober 1990 einschließlich West-Berlin feilzuhalten, in den Verkehr zu bringen oder in Ankündigungen, Preislisten oder sonstigen geschäftlichen Unterlagen die Bezeichnung für Arzneimittel zu verwenden (Ausspruch zu Ziffer III). Schließlich ist die Beklagte auch zur Rechnungslegung über den Umfang ihrer Handlungen zu Ziffer III verurteilt worden (Ausspruch zu Ziffer V). Außerdem hat das Oberlandesgericht ausgesprochen, daß das Urteil vorläufig vollstreckbar sei und der Beklagten gestattet werde, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000,– DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leiste. Einen weitergehenden Antrag der Beklagten auf Vollstreckungsschutz hat das Oberlandesgericht (ohne besonderen Ausspruch) abgelehnt und dazu in den Entscheidungsgründen ausgeführt, ein hoher Umsatz sowie eine Lagerhaltung im Wert von 3,5 Mio. DM reichten nicht aus, die Voraussetzungen des § 712 ZPO darzulegen. Die Beklagte könne die Packungen umetikettieren, so daß auch nicht der volle Wert des Lagerbestandes zu berücksichtigen sei.
Die Beklagte hat Revision gegen das Berufungsurteil eingelegt. Auf ihren Antrag hat der I. Zivilsenat durch Beschluß vom 16. Mai 1991 die Zwangsvollstreckung vorläufig bis zu einer abschließenden Beurteilung des Einstellungsantrags einstweilen eingestellt.
Die Beklagte trägt vor, die Klägerin drohe mit der Zwangsvollstreckung, durch die ihr, der Beklagten nicht zu ersetzende Nachteile drohten, weil sie das unter der streitgegenständlichen Bezeichnung gut eingeführte Präparat schlagartig vom Markt nehmen müsse. Derzeit habe sie Präparate im Wert von über 850.000,– DM auf Lager. Die voraussichtlich zur Umstellung auf eine andere Bezeichnung erforderliche Zeit betrage etwa sechzehn Wochen, hierfür bedürfe es auch einer Änderung des Zulassungsbescheides des Bundesgesundheitsamtes. Selbst ohne Vertriebsunterbrechung werde wenigstens ein halbes Jahr benötigt, um mit der neuen Bezeichnung den Bekanntheitsgrad der bisherigen Bezeichnung zu erreichen. Der Umsatzverlust werde etwa 1,2 Mio. DM betragen und sei – ebenso wie die Umstellungskosten selbst – im Fall des Erfolgs der Revision nicht nach § 717 Abs. 3 ZPO durch die Klägerin auszugleichen.
Die Beklagte beantragt,
die Einstellung der Zwangsvollstreckung aufrechtzuerhalten.
Die Klägerin beantragt,
den Antrag der Beklagten zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die Beklagte habe ihren vor dem Oberlandesgericht gestellten Antrag nach § 712 ZPO nicht begründet. Die jetzt vorgebrachten Gründe seien schon damals erkennbar und nachweisbar gewesen, so daß die begehrte Einstellung nicht gerechtfertigt sei.
Der Einstellungsantrag der Beklagten ist unbegründet.
1. Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, daß die Zwangsvollstreckung eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht (§ 719 Abs. 2 ZPO). Die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 179 Abs. 2 Satz 1 ZPO wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als ein letzes Hilfsmittel des Vollstreckungsschuldners angesehen, dem regelmäßig der Erfolg zu versagen ist, wenn der Schuldner von anderen ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten, seine Interessen zu wahren, kein Gebrauch gemacht hat. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist deshalb regelmäßig dann abgelehnt worden, wenn es der Schuldner versäumt hatte, im Berufungsrechtszug einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 712 ZPO zu stellen, obwohl ihm ein solcher Antrag möglich und zuzumuten gewesen wäre (BGH, Beschl. v. 25.6.1978 – X ZR 17/78, GRUR 1978, 726 – Unterlassungsvollstreckung; Beschl. v. 11.12.1979 – KZR 25/79, GRUR 1980, 329 – Rote Liste; st. Rspr., zuletzt Beschl. v. 7.9.1990 – I ZR 220/90, GRUR 1991, 159 – Zwangsvollstreckungseinstellung). Über einen Antrag nach § 712 ZPO wird nämlich regelmäßig erst nach mündlicher Verhandlung entschieden, mithin nach zuverlässiger Sicherung des rechtlichen Gehörs des Vollstreckungsgläubigers, so daß dessen Interessen in diesem verfahren angemessen berücksichtigt werden, was im Verfahren des Antrags nach § 719 Abs. 2 ZPO nicht gewährleistet ist, da die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 719 Abs. 3 ZPO), unter Umständen sogar ohne Anhörung des Gläubigers ergehen kann. Von der Möglichkeit einer derartigen Antragstellung im Berufungsrechtszug ist regelmäßig dann auszugehen, wenn die Gründe, die eine Einstellung der Zwangsvollstreckung rechtfertigen können, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor den Berufungsgericht bereits erkennbar und nachweisbar waren.
Nicht anders ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Fall behandelt worden, daß zwar – wie hier – ein Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 712 ZPO gestellt worden ist, ihn rechtfertigende Gründe aber trotz Erkennbarkeit und Nachweisbarkeit nicht vorgebracht worden sind, und der Antrag aus diesem Grund keinen Erfolg haben konnte (BGH, Beschl. v. 14.7.1983 – X ZR 10/82, NJW 1983, 455, 456 – Reibebrett). Denn auch in einem derartigen Fall verhindert der Vollstreckungsschuldner, wie im Fall der überhaupt fehlenden Antragstellung, die Prüfung der bereits erkennbaren und nachweisbaren Gründe für die begehrte Einstellung im Berufungsverfahren, in dem regelmäßig nach Anhörung des Vollstreckungsgläubigers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden wird. So liegt der Fall auch hier.
2. Soweit der Einstellungsantrag, weil in ihm eine Beschränkung auf einzelne Aussprüche des Berufungsurteils nicht enthalten ist, die Urteilsaussprüche zu Ziffer II (Zahlung von 100.000,– DM) und zu Ziffer V (Rechnungslegung) erfaßt, fehlt es überhaupt an einer Begründung. Insoweit ist nicht ersichtlich, daß der Beklagten nicht zu ersetzende Nachteile drohten. Hierzu fehlt es auch derzeit an Sachvortrag, so daß insoweit die begehrte Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht in Betracht kommt.
3. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist aber auch bezüglich der Verurteilung zur Unterlassung (Ausspruch zu Ziffer III) nicht gerechtfertigt.
Die beklagte hat sich, wie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 20. Dezember 1990 vor dem Berufungsgericht ausweist (GA 295), zur Stützung ihres Vollstreckungsschutzantrages darauf bezogen, daß ihr Jahresumsatz 7 Mio. DM betrage und sie einen Halbjahresvorrat des Präparates auf Lager halte. Allein daraus kann jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, keine Begründung für einen infolge der Vollstreckung drohenden nicht zu ersetzenden Nachteil entnommen werden. Denn weder die Umsatzangabe noch die Angabe über die Lagerbestände besagen für sich etwas über einen im Fall der Einhaltung des Unterlassungsgebotes eintretenden nicht zu ersetzenden Nachteil. Auch insoweit hat die Beklagte mithin eine Begründung für ihren Antrag nicht gegeben. Sie hat damit dem Berufungsgericht der Einstellungsvoraussetzungen unter den Umständen, wie sie sie jetzt geltend macht, nicht ermöglicht. Davon, daß die nunmehr vorgetragenen Einstellungsgründe bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erkennbar und nachweisbar waren, kann ohne weiteres ausgegangen werden, das wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
III.
Danach war die begehrte Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem in Frage stehenden Urteil insgesamt abzulehnen. Hiermit ist der nur eine vorläufige Regelung enthaltene Beschluß vom 16.5.1991 gegenstandslos.
Fundstellen
Haufe-Index 609434 |
BB 1991, 2114 |
NJW 1992, 376 |
GRUR 1991, 943 |
JR 1992, 292 |
PharmaR 1991, 376 |