Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 03.11.2022; Aktenzeichen Pat A-Z 5/21) |
Tenor
Auf Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Senats für Patentanwaltssachen des Oberlandesgerichts München vom 3. November 2022 zugelassen, soweit diese darauf gerichtet ist, den Bescheid des beklagten Amts vom 21. Juli 2021 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 15. November 2021 aufzuheben und das beklagte Amt zu verpflichten, dem Kläger die Eignungsprüfung nach § 5 Nr. 1 EuPAG zu erlassen, soweit diese materielles Patentrecht betrifft.
Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Gründe
Rz. 1
I. Der Kläger war nach einem in Italien abgeschlossenen Physikstudium von September 2014 bis Juni 2017 als Patentanwaltskandidat für die europäische Eignungsprüfung beim Europäischen Patentamt in zwei deutschen Kanzleien beschäftigt. Seit Juli 2017 ist er bei einer Patent- und Rechtsanwaltskanzlei in M tätig. Von November 2019 bis Januar 2021 absolvierte er den Studiengang "Corso Brevetti Polimi-IP ed. 2019/2020" am Polytechnikum Ma, der Vorlesungen zum italienischen, europäischen und internationalen Patentrecht, Patentstreitigkeiten sowie Grundzüge des italienischen Design-, Gebrauchsmuster- und Markenrechts umfasste. Seit Juli 2019 ist der Kläger in die Liste der zugelassenen Vertreter vor dem Europäischen Patentamt eingetragen, seit 25. Februar 2021 als "Consulente in Brevetti" in Italien zugelassen und seit 19. April 2021 als niedergelassener europäischer Patentanwalt in die Patentanwaltskammer aufgenommen.
Rz. 2
Der Kläger beantragte beim beklagten Amt die Feststellung der Gleichwertigkeit seiner Berufsqualifikation sowie den teilweisen Erlass von Prüfungsleistungen gemäß § 6 Abs. 2 EuPAG: für die Prüfungsleistung nach § 5 Nr. 1 EuPAG "ausschließlich" für das europäische und das internationale Patentrecht, für die Prüfungsleistung nach § 5 Nr. 2 EuPAG "ausschließlich" für das Unions- und das internationale Designrecht, für die Prüfungsleistung nach § 5 Nr. 5 EuPAG "nur" für das Unions- und internationale Wettbewerbsrecht einschließlich Kartellrecht sowie für die Prüfungsleistung nach § 5 Nr. 6 EuPAG "nur" für das Unions- und internationale Sortenschutzrecht. Am 24. März 2021 beantragte er, ihm die Prüfung nach § 5 Nr. 1 EuPAG ganz zu erlassen, da er durch die Berufspraxis Kenntnisse im Bereich des deutschen Patentrechts und des deutschen Verfahrensrechts erworben habe.
Rz. 3
Das beklagte Amt erlegte dem Kläger mit Bescheid vom 7. Juni 2021 die Ablegung einer Eignungsprüfung auf. Seinen Antrag auf Erlass von Prüfungsleistungen wies die Vorsitzende der Prüfungskommission mit Bescheid vom 21. Juli 2021 zurück. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 15. November 2021 zurück.
Rz. 4
Dagegen hat der Kläger Klage mit dem Antrag erhoben, den Bescheid des beklagten Amts vom 21. Juli 2021 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 15. November 2021 aufzuheben und das beklagte Amt zu verpflichten, ihm die Eignungsprüfung nach § 5 Nr. 1 EuPAG, soweit diese materielles Patentrecht betrifft, und die Eignungsprüfung nach § 5 Nr. 2 EuPAG, soweit diese materielles Designrecht betrifft, zu erlassen. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Dagegen richtet sich der Antrag des Klägers.
Rz. 5
II. Der nach § 23 EuPAG, § 94b Abs. 1 Satz 1, § 94d PAO in Verbindung mit §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat teilweise Erfolg.
Rz. 6
1. Hinsichtlich der Annahme des Oberlandesgerichts, die Klage sei unzulässig, soweit sie sich auf den Erlass der Eignungsprüfung im materiellen Designrecht richtet, folgt aus den mit dem Zulassungsbegehren vorgebrachten, für die Prüfung maßgeblichen Einwänden (§ 23 EuPAG, § 94d Satz 1 PAO i.V.m. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) kein Zulassungsgrund.
Rz. 7
a) Das Zulassungsvorbringen begründet insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 23 EuPAG, § 94d Satz 2 PAO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NJW 2009, 3642; NVwZ-RR 2008, 1; NVwZ 2000, 1163, 1164; BGH, Beschlüsse vom 8. März 2021 - PatAnwZ 1/20, juris Rn. 14; vom 27. April 2017 - PatAnwZ 1/17, juris Rn. 13; vom 13. Oktober 2014 - PatAnwZ 1/14, NJW-RR 2015, 382 Rn. 7). Dies ist hier nicht der Fall.
Rz. 8
Die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage hängt allgemein davon ab, dass der Kläger den klageweise verlangten Erlass des Verwaltungsakts in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren ohne Erfolg beantragt hat (vgl. BVerwG, NVwZ 2023, 596 Rn. 28 m.w.N.). Ein entsprechender Antrag ist hier außerhalb des Klageverfahrens nicht gestellt worden und kann auch nicht im Wege der Auslegung festgestellt werden. Der Wortlaut des Antrags vom 8. März 2021 ist insoweit eindeutig. Der Kläger hat mit dem Antrag auf "teilweise[n] Erlass der Prüfungsleistung nach § 5 Nr. 2 EuPAG (Markenrecht und Designrecht, jeweils einschließlich des zugehörigen Verfahrensrechts)" zunächst den Gesetzeswortlaut zitiert, den Antragsinhalt jedoch im Folgenden unmissverständlich beschränkt: "Der Erlass ist ausschließlich für das Unions- und Internationales- Designrecht beantragt". Die auch auf öffentlich-rechtliche Erklärungen anwendbare Vorschrift des § 133 BGB gebietet zwar eine Auslegung, die nicht beim Wortlaut stehen bleibt, sondern stets Sinn und Begleitumstände einbezieht (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2005, 591, 592). Entgegen der Ansicht des Klägers kam aber aus Sicht des beklagten Amts auch im Übrigen kein auf den Erlass der Prüfung im deutschen Designrecht gerichteter Wille zum Ausdruck. Der Kläger hat seinen Antrag vielmehr damit begründet, dass sich seine - in Italien absolvierte - Ausbildung auf die genannten Fächer bezogen habe; auch dies zeigte seinen Willen, den Erlass für das europäische und internationale Designrecht und nicht für das deutsche Recht zu beantragen. Eine davon abweichende Auslegung hätte eine nach Lage der Dinge eindeutige und als solche ohne weiteres erkennbare Sinnlosigkeit des Antragsbegehrens vorausgesetzt (vgl. BVerwG, aaO), die hier jedoch nicht vorlag, da der Antrag auf den Nachweis der durch die Ausbildung bereits erworbenen Rechtskenntnisse abzielte.
Rz. 9
b) Weitere Zulassungsgründe macht der Kläger diesbezüglich nicht geltend.
Rz. 10
2. Hinsichtlich der Abweisung des Klageantrags, das beklagte Amt unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, dem Kläger die Eignungsprüfung nach § 5 Nr. 1 EuPAG zu erlassen, soweit diese materielles Patentrecht betrifft, ist die Berufung dagegen zuzulassen. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 23 EuPAG, § 94d Satz 2 PAO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Rz. 11
a) Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, der Kläger habe bezogen auf das materielle Patentrecht nicht nachgewiesen, dass er durch seine berufliche Ausbildung oder anderweitig die für die Ausübung des Patentanwaltsberufs in Deutschland erforderlichen materiellrechtlichen Kenntnisse im deutschen Recht erworben habe. Es sei nicht schon aufgrund der Ausbildung und Zulassung zum "Consulente in Brevetti" in Italien davon auszugehen, dass der Kläger über die materiellrechtlichen Kenntnisse im deutschen Patentrecht verfüge. Trotz der Harmonisierung habe das materielle Patentrecht in Deutschland seine spezielle Ausformung erhalten, deren Kenntnis durch die Ausbildung zum Patentanwalt in Italien nicht nachgewiesen sei.
Rz. 12
b) Diese Ausführungen begegnen ernstlichen Zweifeln an ihrer Richtigkeit. Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass der Gesetzgeber aufgrund der weitgehenden Harmonisierung des Patentrechts in der Europäischen Union in der Vergangenheit davon ausging, europäische Patentanwälte als Prüflinge verfügten bereits über die erforderlichen materiellrechtlichen Kenntnisse (vgl. BT-Drucks. 18/9521, S. 186). Die mit Verabschiedung des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Patentanwälte in Deutschland (EuPAG) 2016 erfolgte Erweiterung der Prüfungsfächer um das materielle Patentrecht wurde nur deswegen für erforderlich gehalten, weil inzwischen auch Patentanwälte aus Mitgliedstaaten, in denen dieser Beruf nicht reglementiert sei, Zugang zur Eignungsprüfung hätten, und auch Patentanwälte, deren Beruf sich in ihrem Heimatstaat auf die Vertretung in Markensachen beschränkte, die vollständige Zulassung als Patentanwalt in Deutschland anstrebten (vgl. BT-Drucks. 18/9521, aaO). Italien gehört jedoch zu den Ländern, in denen der Beruf des Patentanwalts reglementiert ist (vgl. BT-Drucks. 18/9521, S. 93). Es bedarf daher der Klärung im Berufungsverfahren, ob der Kläger die erforderlichen materiellrechtlichen Kenntnis im deutschen Recht für den Bereich des Patentrechts bereits durch seine berufliche Ausbildung in Italien erworben hat.
Rz. 13
c) Offenbleiben kann, ob die Zulassung auch aus den weiteren vom Kläger geltend gemachten Gründen angezeigt wäre.
Rz. 14
III. Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 23 EuPAG, § 94d Satz 2 PAO i.V.m. § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Rechtsmittelbelehrung:
Rz. 15
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Im Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO (ggf. i.V.m. § 5 RDGEG) bezeichneten Personen zugelassen.
Schoppmeyer |
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Graßnack |
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Bußmann |
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Lasch |
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Herzog |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15972111 |