Verfahrensgang
LG Aachen (Entscheidung vom 08.01.2024; Aktenzeichen 64 KLs 3/23) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 8. Januar 2024 aufgehoben:
a) im Schuldspruch wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zwei Fällen, hiervon in einem Fall versucht, jeweils in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung (Fälle II.2.b) und II.2.c) der Urteilsgründe) mit den Feststellungen, ausgenommen diejenigen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben;
b) in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den vorbezeichneten Fällen und die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zwei Fällen, hiervon in einem Fall versucht, jeweils in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, und wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl und Nötigung sowie wegen Bedrohung eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Die Verurteilung des Angeklagten hat in den Fällen II.2.b) und II.2.c) der Urteilsgründe keinen Bestand, weil es die Strafkammer rechtsfehlerhaft unterlassen hat, einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung und zudem des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Fall II.2.c) der Urteilsgründe zu erörtern, obwohl der festgestellte Sachverhalt hierzu gedrängt hat.
Rz. 3
1. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, stellt dies einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel dar (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2024 - 3 StR 245/24 Rn. 5 mwN; Beschluss vom 27. Juni 2018 - 4 StR 110/18 Rn. 5 mwN).
Rz. 4
Nach den Feststellungen des Landgerichts war dem Angeklagten in den vorbezeichneten Fällen die Beförderung in einem Linienbus wegen seiner Verweigerung des pandemiebedingten Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes verwehrt worden. Daraufhin warf er aus Rache für den Busverweis jeweils einen etwa faustgroßen Stein gegen die fahrenden Linienbusse. Hierzu lauerte der mit dem Streckenverlauf vertraute Angeklagte der Rückkehr des Busses nach Passieren des Wendepunktes auf. Im Fall II.2.b) der Urteilsgründe betrat er plötzlich die Fahrbahn und warf den Stein von vorn gegen die Frontscheibe im Bereich des Sichtfeldes des Busfahrers des ihm mit einer Geschwindigkeit von mindestens 20 km/h entgegenkommenden Busses, wodurch die Scheibe splitterte. Im Fall II.2.c) warf der „seitlich stehende“ Angeklagte den Stein gegen die vordere rechte Seitenscheibe des sich ihm mit der gleichen Mindestgeschwindigkeit nähernden Busses, so dass der Stein die Scheibe durchschlug, gegen die Fahrerkabine prallte und von dort auf den Boden fiel. Durch die Steinwürfe kam es zu Sachschäden, wobei sich beim Wurf von der Seite (Fall II.2.c) der Urteilsgründe) fahrdynamische Kräfte auf die Schadensentstehung nicht auswirkten. In beiden Fällen konnten die den Bus steuernden Personen ihre Fahrzeuge gefahrlos zum Stehen bringen. Diese und Passagiere blieben unversehrt. Anschließend lief der Angeklagte weg. Im Fall II.2.c) der Urteilsgründe erschrak die Busfahrerin derart, dass sie sich - für den Angeklagten nicht vorhersehbar - (erst) beim panikartigen Verlassen des Busses verletzte.
Rz. 5
2. Der festgestellte Sachverhalt lässt ausdrückliche Ausführungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227) gänzlich vermissen. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Darlegungen zum Vorstellungsbild drängten sich hier aber schon deshalb auf, weil nach dem mitgeteilten Sachverhalt der Busfahrer bzw. die Busfahrerin infolge des Schadensereignisses den von ihnen geführten Bus gefahrlos zum Stehen brachten, ohne dabei die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Daher bleibt offen, ob die jeweiligen Körperverletzungsversuche und zudem der Versuch des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Fall II.2.c) der Urteilsgründe fehlgeschlagen, unbeendet oder beendet waren. Dies durfte indes nicht dahinstehen, da im Fall eines unbeendeten Versuchs gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB bereits das freiwillige Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen als Rücktrittsleistung für eine Strafbefreiung ausreichend wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2024 - 4 StR 82/24 Rn. 7; Beschluss vom 15. Januar 2020 - 4 StR 587/19 Rn. 5 mwN).
Rz. 6
3. Der dargelegte Rechtsfehler führt in beiden Fällen zur Aufhebung des Schuldspruchs, die sich auf die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen (vollendeten) schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Fall II.2.b) der Urteilsgründe erstreckt. Dies zieht die Aufhebung der deswegen verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe nach sich.
Rz. 7
4. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die vom Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende, hierzu nicht im Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich.
Quentin Maatsch Marks
Tschakert Gödicke
Fundstellen
Dokument-Index HI16676200 |