Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 16.04.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 16. April 2018 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen überfiel der Angeklagte am 29. August 2017 die ihm unbekannte 21-jährige Nebenklägerin nachmittags auf einem Parkweg, um mit ihr gewaltsam den Geschlechtsverkehr durchzuführen. In Sichtweite zu Wohnhäusern und in unmittelbarer Nähe zu einem belebten Freibad packte er sie von hinten, hielt ihr den Mund zu und zerrte sie hinter ein Gebüsch. Er drückte ihr Gesicht gewaltsam auf den Boden und würgte sie kräftig, um sie am Schreien zu hindern, ihre anfangs heftige Gegenwehr zu unterbinden und sie wehrlos zu machen. Mindestens dreimal würgte er die Geschädigte so kräftig, dass sie keine Luft mehr bekam und in akuter Lebensgefahr schwebte. Als der Angeklagte ein Geräusch hörte, lockerte er seinen Würgegriff, da er von einer Entdeckung seiner Tat ausging. Daraufhin konnte die Nebenklägerin aufspringen und flüchten.
Rz. 3
2. Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 4
3. Der Maßregelausspruch hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB festgestellt. Jedoch hat es einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht tragfähig begründet. Damit entfällt auch die Grundlage für die Prognose, ob der Angeklagte infolge seines Hanges für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Rz. 5
a) Das Merkmal des Hangs verlangt – was das Landgericht im Ausgangspunkt nicht verkennt – nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster” bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschlüsse vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8; vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15 mwN). Sein Vorliegen hat das Tatgericht unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Symptom- und Anlasstaten maßgebenden Umstände festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die zeitliche Verteilung der Straftaten, wobei längere straffreie Zeiträume grundsätzlich gegen einen Hang sprechen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, aaO).
Rz. 6
b) Das Landgericht hat zur Begründung einer Hangtäterschaft des Angeklagten maßgeblich darauf abgestellt, dass hierfür „vor allem die Anzahl der Vorstrafen” spräche (UA S. 23). Die indizielle Bedeutung der bloßen Anzahl von insgesamt vier Vorstrafen, zu denen der 39-jährige Angeklagte in einem Zeitraum von über 17 Jahren verurteilt worden war, erschließt sich allerdings nicht ohne weiteres und hätte weiterer Darlegung bedurft. Während mit den beiden Vorstrafen aus den Jahren 2003 und 2017 die beiden die formelle Voraussetzung des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB begründenden Symptomtaten geahndet wurden, resultieren die beiden weiteren Vorstrafen aus nicht einschlägigen Vorverurteilungen aus dem Jahr 2000. Die zugrunde liegenden Taten hat das Landgericht nicht näher mitgeteilt und ihnen damit offenbar auch keine Bedeutung als sonstige Beweisanzeichen für eine Hangtäterschaft im Rahmen der Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten beigemessen (vgl. zur Verwertung von Vortaten, die wegen Eintritts der Rückfallverjährung nicht mehr als Symptomtaten herangezogen werden können, BGH, Urteile vom 30. März 1999 – 5 StR 563/98, NStZ 1999, 502, 503; vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172, 173; vom 24. Februar 2010 – 2 StR 509/09, NStZ-RR 2010, 238, 239 mwN).
Rz. 7
4. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht zu Feststellungen gelangt, welche die Annahme des Hangs und der Gefährlichkeit des Angeklagten tragen. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals verhandelt und entschieden werden.
Unterschriften
Mutzbauer, Sander, Schneider, Berger, Mosbacher
Fundstellen
Dokument-Index HI12918294 |