Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 16.08.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 16. August 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es deshalb nicht.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte die seinerzeit 11- bzw. 12jährige Cornelia P., eine Tochter der Tante seiner Ehefrau, in den Sommerferien 1994, in den Herbstferien 1994 und in den Sommerferien 1995, als das Mädchen bei ihm und seiner Familie zu Besuch war, in mehrfacher Hinsicht sexuell mißbraucht. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten bestritten. Das Landgericht hält den Angeklagten aber für „überführt durch die glaubhaften Bekundungen der mittlerweile verstorbenen Cornelia P.” bei ihrer polizeilichen Vernehmung.
Das Urteil hat keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung nicht stand hält. Sie genügt nicht den Anforderungen, die an die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage eines Hauptbelastungszeugen zu stellen sind, wenn – wie vorliegend – im wesentlichen Aussage gegen Aussage steht und objektive Beweisanzeichen fehlen. Bei einer solchen Beweissituation muß sich der Tatrichter bewußt sein, daß die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen zur Sachlage besitzt (BGH StV 1998, 580, 581). Dies gilt in besonderem Maße, wenn der Belastungszeuge – wie hier Cornelia P. infolge ihres Ablebens – zur Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung steht und deshalb von vornherein Vorhalte und Fragen abgeschnitten sind. Um die revisionsrechtliche Nachprüfung der Überzeugungsbildung des Tatrichters von der Täterschaft des Angeklagten zu ermöglichen, wäre es hier zumindest geboten gewesen, näher auf die Aussageentstehung und alle Umstände, die zur Anzeigenerstattung geführt haben, einzugehen sowie darzulegen und zu erörtern, welche Möglichkeiten als Erklärung für eine – unterstellt – unwahre Aussage von Cornelia P. in Betracht kommen konnten (vgl. dazu BGHSt 45, 164, 167 f.; BGH NStZ 2000, 496; BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 274/02). Ausführungen hierzu waren insbesondere auch mit Blick auf den auffallend langen Zeitraum zwischen den festgestellten Taten und der Anklageerhebung veranlaßt, für den dem Urteil eine Erklärung nicht zu entnehmen ist.
Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu entscheiden. Dabei wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, sich auch mit den Einwendungen der Revision auseinanderzusetzen, soweit sie die Möglichkeit betreffen, daß Cornelia P. anderweitige sexuelle Übergriffe auf den Angeklagten übertragen hat.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2557008 |
NStZ-RR 2006, 259 |